© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/02 13. September 2002

 

Sachsen-Anhalt als Sahnehäubchen
NPD: Die vom Verbotsverfahren bedrohte NPD präsentiert sich als einzige Rechtspartei, die bundesweit zur Wahl steht
Manuel Ochsenreiter

In der Nacht zum Sonntag flogen zur Abwechslung mal keine Steine oder Farbbeutel über das Gitter des ehemaligen Werkgeländes in Berlin-Lichtenberg. Diesmal waren es Brandsätze. Innerhalb weniger Stunden vernichtete das Feuer vollständig die Auto-Werkstatt des KFZ-Meisters Albrecht Reither und damit seine Existenz. Ein politischer Hintergrund der Tat wird nicht ausgeschlossen. In der Werkstatt stand neben einer großen Zahl von Kundenfahrzeugen auch der Lautsprecherwagen der Berliner NPD. Reither ist Direktkandidat der NPD für den Wahlkreis Berlin-Lichtenberg.

Solche und ähnliche Ereignisse finden in den Medien - wenn überhaupt - nur als kleine, eventuell zynisch kommentierte Meldung Erwähnung. Viel interessanter waren da schon die fast täglichen V-Mann-Enttarnungen, die mit der totalen Blamage der Verfassungsschutzämter einhergingen. Noch vor einem Jahr hätte kaum jemand erwartet, daß zur Bundestagswahl 2002 wieder NPD-Plakate adrett aufgereiht an den Straßenlaternen vor allem Mitteldeutschlands hängen würden. Viel zu sicher schienen die Antragssteller für ein Parteiverbot der Nationaldemokraten.

Vor der Wiedervereinigung spielte die NPD bis auf ganz wenige kommunale Ausnahmen in Deutschland keine Rolle mehr. Ihre große Zeit schien die Partei, die zwischen 1966 und 1969 mit Wahlergebnissen zwischen 5,8 und 9,8 Prozent in sieben Länderparlamente der Bundesrepublik einzog, weit hinter sich zu haben. Unter ihrem damaligen nationalkonservativen Vorsitzenden Adolf von Thadden, der im ersten Bundestag als jüngster Abgeordneter für Adenauer stimmte, hatte sie bis zu 24.000 Mitglieder. Ihr Niedergang schien 1989 mit nur noch 8.000, zumeist älteren Mitgliedern und der weitgehenden Bedeutungslosigkeit besiegelt. Nach der Wiedervereinigung wandelte sich das Bild. Statt des biederen Seniorenvereins sieht man immer mehr junge Aktivisten, meist bei martialisch anmutenden Aufmärschen mit Fahnen und Trommeln.

Strategisch nicht ungeschickt konnte die Partei sogenannte "Freie Kameradschaften" für sich einbinden und instrumentalisieren, was zu einer erheblichen Verjüngung der Mitgliederstruktur führte. So liegt der Altersdurchschnitt der Mitglieder in Thüringen weit unter 30 Jahren. Ein weiterer Grund hierfür ist das kommunale jugendpolitische Engagement vieler NPD-Funktionäre. Heute hat die Partei insgesamt etwa 7.000 Mitglieder, davon allein 1.000 in Sachsen.

Die NPD versucht sich globalisierungskritisch

Bei der kommenden Bundestagswahl - so scheint es zumindest - steht die NPD voll im Saft. Der Bundesgeschäftsführer und Thüringer Spitzenkandidat Frank Schwerdt (58) äußerte sich gegenüber der JUNGEN FREIHEIT mehr als zufrieden über die Tatsache, daß die NPD die einzige rechte Partei sei, die flächendeckend im gesamten Bundesgebiet mit ihren Landeslisten antritt, und somit "die einzige nationale Alternative" sei. Über das allein der NPD vorbehaltene "Sahnehäubchen Sachsen-Anhalt" freut sich der ehemalige CDU-Mann ganz besonders. Dort wählten bei den Landtagswahlen 1998 über 50 Prozent aller Erstwähler "rechts". In Sachsen-Anhalt treten weder die Deutsche Volksunion (DVU) des Münchners Verlegers Gerhard Frey, die bereits im Vorfeld ihren Wahlverzicht bekanntgab, noch die Republikaner an. Diese bekamen dort sowie in Brandburg nicht die erforderlichen Unterstützungsunterschriften zusammen. Auch Ronald Schills Partei Rechtsstaatlicher Offensive tritt in Sachsen-Anhalt nach einigen Pannen nicht zur Wahl an (JF 35/02).

Programmatisch versucht sich die Partei zur Bundestagswahl unter anderem globalisierungskritisch. Die sozialen Forderungen könnten ohne Probleme auch dem Programm der PDS entstammen: "Entflechtung internationaler Konzerne - Die Wirtschaft hat dem Volk zu dienen und nicht das Volk der Wirtschaft; Gleiche Löhne für gleiche Arbeit - Die Ungerechtigkeit der Zahlung unterschiedlicher Löhne in West- und Mitteldeutschland muß beendet werden", um nur zwei Beispiele zu nennen. Weitere zentrale Forderungen in einer "Wir-räumen-auf"-Rhetorik sind die Beseitigung des bundesrepublikanischen Korruptions- und Parteienfilzes sowie der Truppenabzug der Bundeswehr aus ihren Einsatzgebieten in aller Welt. Natürlich fehlen auch nicht die klassischen Forderungen nach einem sofortigen Einwanderungstopp und der "Stärkung von Familie und Brauchtum".

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Familien- und Bildungspolitik. Hier fordert die NPD "500 Euro Kindergeld für jedes deutsche Kind" sowie eine besondere Unterstützung hochbegabter Kinder.

Kommunale Schwerpunkte der NPD liegen, so Schwerdt gegenüber der jungen freiheit, vor allem in der sächsischen Schweiz und in Vorpommern. Allein in Sachsen zogen nach der letzten Kommunalwahl insgesamt neun Kandidaten in die Kommunalparlamente ein. Hochburg ist das Städtchen Königstein mit 11,9 Prozent und zwei Sitzen im Stadtparlament für die NPD. In der Landeshauptstadt Dresden gelang den Nationaldemokraten zwar nicht der Einzug in den Stadtrat, aber dennoch respektable 3,6 Prozent. Weitere Achtungserfolge erzielten sie in den Städten Hirschfelde (7,9 Prozent), Trebsen (6,6 Prozent) sowie in Wurzen (5,2 Prozent).

Gute Chancen für Erstattung von Wahlkampfkosten

Die Chancen, bei der Bundestagswahl ein Ergebnis zu erzielen, daß der NPD die Erstattung der Wahlkampfkosten sichert, stehen durchaus günstig. Um in diesen Genuß zu kommen, braucht eine Partei mindestens 0,5 Prozent der Zweitstimmen. Frank Schwerdt ist sich sicher, daß der NPD am 22. September ein "Überraschungserfolg gelingt, mit dem heute niemand rechnet". Es ist jedenfalls sehr wahrscheinlich, daß es der NPD schon aufgrund der genannten günstigen Ausgangslage gelingen wird, ihre 0,3 Prozent der Bundestagswahlen 1998 mindestens zu verdoppeln. Schwerdt lobte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT die "große Motivation" seiner meist jugendlichen Wahlkämpfer, die trotz "harter Rückschläge" wie dem Anschlag auf Reither "nicht einbricht".


 
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