© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/02 13. September 2002

 
Eine strategische Misere
PDS: Der Einzug in den Bundestag wird für die sozialistische Partei zur Zitterpartie
Manuel Ochsenreiter

Wir reißen das Steuer hart Backbord", sagt Arne Seeliger, 28 Jahre alt und Sozialpädagogik-Student aus Kiel. Sandra Brunner mag Schokolade und "schlürft mit FreundInnen Erdbeer Daiquiri". Außerdem möchte die 27jährige Berlinerin gerne eine "Zukunftsdebatte" anregen. Diana Gnorski ist ebenfalls 27 Jahre alt und "will jungen Menschen endlich wirkliche und neue Perspektiven geben". Was haben diese Drei gemeinsam? Sie kandidieren alle für die PDS, sie führen als "3U30"-Truppe (3 unter 30) einen sogenannten "Jugendwahlkampf" für die bekanntlich überalterte Partei - und sie sind völlig unbekannt. In ihrer Gesamtbedeutung für die Wahlen am 22. September sind sie allenfalls als gut inszenierter Werbeeinfall der PDS zu bewerten - der sich allerdings als Rohrkrepierer erweisen könnte.

Eigentlich schien die Strategie der Sozialisten für die Bundestagswahlen 2002 bombensicher. In festem Vertrauen darauf, die Fünf-Prozent-Hürde locker und ohne Schwierigkeiten zu meistern, kandidieren für die PDS vielerorts unbeschriebene Blätter und eigentümliche, meist westdeutsche Polit-Desperados für die Direktmandate. Populäre Zugpferde wie den Schriftsteller Stefan Heym, die ehemalige DDR-Wirtschaftsministerin Christa Luft, den Berliner Gewerkschafter Manfred Müller oder die Talkshow-Größe Gregor Gysi, die der PDS 1994 trotz "nur" 4,4 Prozent der Zweitstimmen über ihre Direktmandate den Einzug in den Bundestag bescherten, sucht man dieses Mal vergeblich. 1998 war die PDS mit 5,1 Prozent gar nicht mehr auf die Erststimmen angewiesen.

Ihr Aushängeschild Gysi ist sogar hauptverantwortlich für die strategische Misere. Gysis halbherzige und fruchtlose Tätigkeit als Wirtschaftssenator Berlins, seine verlorene Unschuld durch die Privatflüge mit Dienst-Bonusmeilen und sein rascher "kampfloser" Rücktritt von allen Ämtern wird von vielen ehemaligen Anhängern und Stammwählern als Verrat empfunden. Ausgerechnet der Name des mediengewandten Gregor Gysi, der seiner verstaubten Partei ein neues, modernes Image verschaffte, lastet nun schwer auf ihr und ihren Erfolgsaussichten. Die Umfragewerte dokumentieren den Vertrauensverlust in Gysi und seine Partei. Von den acht Prozent, welche die PDS als Ziel formulierte, sind momentan gerademal die Hälfte realistisch. Da helfen auch Gysis, zusammen mit dem PDS-Europaabgeordneten André Brie inszenierten Avancen an den Saarbrücker Privatmann Oskar Lafontaine wenig, mit dem die beiden gerne neue linkssozialistische Strategie-Bündnisse schmieden würden. Es klingt daher fast schon ein wenig bitter, wenn PDS-Fraktionschef Roland Claus es öffentlich "schön" findet, daß es in der PDS eine "Gruppe von Elder Statesmen" gebe, die frei von "Zwängen der Alltagspolitik" Impulse geben könnten. Und das gerade in dem Moment, wo die schnöde "Alltagspolitik" über den Wahlausgang und damit über die Zukunft der PDS entscheidet.

Aber auch durch das Hochwasser schwimmen der PDS ihre Felle davon. So punkteten nicht regionale PDS-Funktionäre als Krisenmanager, sondern der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder. Sein blumiges Versprechen, keinem Hochwasseropfer solle es nach der Katastrophe schlechter gehen als vorher, verfehle seine Wirkung nicht. Die Flut machte Schröder mit sicherem Instinkt zur "Chefsache". Eine Sandsackstapelnde Petra Pau, ihres Zeichens stellvertretende Fraktionsvorsitzende der PDS, findet da neben ihm medial keine Beachtung mehr.

Die für viele überraschende Neupositionierung der SPD als "Antikriegspartei" durch Kanzler Schröder ist ein weiteres Debakel für die PDS. Sie stellte sich bislang als "einzige Friedenspartei" des Bundestages dar, da sie konsequent bei allen 17 Abstimmungen über Auslandsbeteiligungen der Bundeswehr geschlossen mit "Nein" votierte. Ihre Versuche, Schröders Verlautbarungen als wahltaktische Manöver zu demaskieren, wirken unbeholfen. So wurde die Forderung des PDS-Wahlkampfmanagers Dietmar Bartsch, die SPD solle ihre Haltung - quasi als Sicherheit - noch vor den Wahlen als Parlamentsbeschluß dokumentieren, kaum gehört.

Durch die Umfragewerte unter fünf Prozent wird also der Kampf um die Direktmandate wieder akut - und diese Strategie-Änderung läßt sich die PDS zusätzliche 200.000 Euro für den Wahlkampf um die Erststimmen in sieben - ausschließlich mitteldeutschen - Schwerpunktwahlkreisen kosten.

Dabei sind selbst diese mittlerweile alles andere als sichere "Heimspiele". So wurden die 328 Wahlkreise der Bundestagswahl 1998 auf 299 verringert und daher teilweise zusammengelegt und neu geordnet. Durch den Neuzuschnitt der Wahlkreise sind einstige Hochburgen der PDS gefährdet, wie die Umrechnung der Ergebnisse von 1998 auf die neuen Wahlkreise zeigt.

Alles andere als sichere Heimspiele für die PDS

So beispielsweise in Berlin der neu errichtete Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg, wo die PDS-Frau Bärbel Grygier gegen den Altlinken Hans Christian Ströbele antreten muß. Früher war der ehemalige Ost-Berliner Wahlbezirk Friedrichshain eine knallrote PDS-Domäne, doch durch die Vereinigung mit dem ehemaligen West-Berliner Bezirk Kreuzberg ändert sich dies zuungunsten der PDS. Ähnliches gilt für den Wahlbezirk Berlin-Pankow, den die PDS bereits zweimal gegen den SPD-Politiker Wolfgang Thierse verteidigen konnte. Durch den neuen, für die PDS ungünstigen Zuschnitt des Wahlkreises könnte Thierse die Eroberung des Direktmandats gelingen. Selbst die ehemaligen PDS-Bezirke wie Lichtenberg-Hohenschönhausen oder Marzahn-Hellersdorf sind nach dem Gysi-Rücktritt längst nicht mehr so sicher wie 1994 und 1998. In Berlin-Mitte kandidiert der Berliner PDS-Vorsitzende Stefan Liebich nahezu chancenlos.

In einem einzigen Fall könnte die Neuformierung der Wahlkreise für die PDS von Vorteil sein. Dem Wahlkreis Halle wurde die Plattenbausiedlung Halle-Neustadt zugeschlagen, aus mehreren Gründen ironisch "Hanoi" genannt. Dies verbessert wiederum die Chancen des PDS-Bundestagsabgeordneten Roland Claus. Bei der letzten Bundestagswahl 1998 bekam die SPD-Frau Christel Riemann-Hanewinkel noch doppelt soviel Stimmen wie PDS-Claus. "Hanoi" könnte für Claus die entscheidenden Stimmen für sein Direktmandat bringen.

Und noch ein Silberstreif am Horizont der PDS. Ihr kommt mit den aktuellen Wahlprognosen plötzlich eine entscheidende Bedeutung als "Zünglein an der Waage" zu. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Schwarz-Gelb knapp unter der absoluten Mehrheit bleiben wird. Schafft es die PDS dann, in den Bundestag einzuziehen, könnte daran die christlich-liberale Regierungsbildung rechnerisch scheitern - durch den Einzug der PDS gingen ihr nämlich die entscheidenden Sitze verloren. Neben ihrer Selbstdefinition als regionale "Ostpartei", kommt ihr nun auch die Rolle als "Stoiber-Verhinderer" gerade recht. Ob sie das allerdings so knapp vor dem 22. September noch aus dem Stimmungstief holen wird, ist mehr als fraglich. Weniger Sorgen müßten sie sich hierbei wohl um das kategorische "Nein" zur gemeinsamen Sache mit der SPD von Gerhard Schröder machen. Gewohnheitsgemäß weichen seine moralischen Skrupel schnell machtpolitischen Erwägungen.

Es könnte also plötzlich viel davon abhängen, ob Sandra Brunner demnächst als roter Aufsteiger gegen Thierse den Wahlkreis Berlin-Pankow gewinnt und per Direktmandat in den Reichstag einzieht, oder eben weiter nur mit ihren "FreundInnen" Erdbeer Daiquiri am Helmholtz-Platz trinkt.

PDS-Fraktionschef Roland Claus, Parteivorsitzende Gabi Zimmer und Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch in Berlin vor einem Großplakat mit den Namen der hundert reichsten Deutschen: Keine Zugpferde, sondern politische Hinterbänkler


 
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