© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/02 06. September 2002


Zeitungsmarkt: Der linksradikalen Tageszeitung "Junge Welt" geht die Luft aus
Stirb langsam
Frank Philip

Kuckuck, ruft's aus dem Blätterwald. Die linksradikale Tageszeitung Junge Welt stehe mal wieder vor dem Bankrott, warnen ihre Herausgeber. Vor kurzem gab es eine "böse Überraschung", denn im ersten Quartal 2002 wurden wieder nur Miese geschrieben. Nun setzt das ehemalige Ost-Berliner FDJ-Blatt seinen Lesern die Pistole auf die Brust. Bis zum 7. September müssen 500 neue Abos gewonnen werden, ein "überlebenswichtiges Ziel", sonst droht erneut der Zwangsvollstrecker mit seinem "Kuckuck". Die Resonanz auf den Hilferuf, so hört man, war bisher mager. Auch die PDS und ihr nahestehende Gönner zögern offenbar, in ein Auslaufmodell zu investieren.

Die angeblichen Hintergründe ihrer akuten Notlage beschreibt die Junge Welt so: Prozesse, jede Menge teure Prozesse habe man führen müssen. Erst klagte ein linker Konkurrent wegen einer Satire, dann wollten "lederbehoste Geschäftemacher" horrende Schulden auf sie abwälzen. Zuletzt seien fiese "ehemalige Kollegen" vom kapitalistischen Virus infiziert worden: Da sie "sich inhaltlich nicht gegen die Mehrheit im Kollektiv durchsetzen konnten", prügelten sie Abfindungsklagen durch mehrere Instanzen. Das kostet. Jetzt hat man wieder Probleme am Hals wegen eines zweifelhaften Aufrufs: "Linker, auch militanter Protest gegen die Herrschenden ist dringend vonnöten", schrieb die Junge Welt zum 1. Mai. Der Staatsanwalt ermittelt nun nach Paragraph 130 StGB.

Selten klafften Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander wie bei der Jungen Welt: "Wir verändern die Welt", posaunt ihr Werbespruch. Doch tatsächlich krebst das einstige Millionenblatt an der Randzone völliger Bedeutungslosigkeit herum. "Wir wollen jetzt einmal grundsätzlich wissen, ob die Junge Welt überhaupt noch gebraucht wird", formuliert Chefredakteur Arnold Schölzel schon länger seine Zweifel. Kritiker ätzen, das Blatt ähnele einem Saurier aus unseligen DDR-Zeiten. Informations- und Spaßfaktor gleich Null, Restlaufzeit beschränkt. Im undefinierbaren Ödland altsozialistischer Publizistik quält das 1947 gegründete Kleinformat sich und seine Leser mit "antikapitalistischen und antifaschistischen" Diskursen. Seit dem Untergang der DDR hat sich wenig verändert.

Das Gejammer um angeblich von "JW-Hassern" angestrengte Prozesse ist vorgeschoben, in Wahrheit verkauft sich das Blatt miserabel. Zu Honeckers Zeiten war die Junge Welt die größte Tageszeitung der DDR, lag noch vor dem Neuen Deutschland. Rund 1,6 Millionen Exemplare wurden täglich gedruckt und der sozialistischen Jugend zur Lektüre empfohlen. Nach 1989 hatten die Mitteldeutschen die Schnauze voll von holzigem Parteichinesisch. Noch im Jahr des Mauerfalls krachte die Auflage der Jungen Welt auf 200.000 herunter, die Redaktion mußte kurzzeitig schließen. 1995 waren es nurmehr 30.000 Exemplare. Ein linker Freundeskreis aus dem Dunstkreis der PDS erbarmte sich des Blättchens und gründete den neuen "Verlag 8. Mai". Geholfen haben auch periodische "Wir sind unbankrottbar"-Rettungskampagnen nicht: Die Auflage liegt heute bei rund 14.000 Exemplaren - zu wenig zum Leben, genug zum Sterben.

Vor einigen Jahren noch tobten heiße Kämpfe um das Blatt. Der Hamburger Altkommunist und Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza wollte ab 1995 die alte FDJ-Postille auf neulinken, vor allem "antinationalen" Kurs trimmen. Ihm zur Seite stand dabei Jürgen "Die-Linke-ist-antinational,-oder-sie-ist-nicht" Elsässer. Bald schon flogen die Fetzen zwischen westimportierten "Antideutschen" und angegrauten DDR-Journalisten, die durchaus (DDR-)patriotisch dachten. Hart prallten die Meinungen bei der Walser-Bubis-Debatte aufeinander: Harald Wessel, zuvor 25 Jahre Redakteur beim Neuen Deutschland, ergriff Partei für den Sonntagsredner, für Gremliza war Walser grundsätzlich der Mann vom "Blut und Boden-See".

Die Situation eskalierte im April 2000, als Dietmar Koschmieder, DKP-Mitglied und bis heute Junge Welt-Geschäftsführer, eigenmächtig in die redaktionelle Arbeit hineinpfuschte. "Per Anweisung" setzte er bestimmte Kommentare ins Blatt oder schmiß mißliebige Beiträge hinaus. Zankapfel war die Haltung der Redaktion im Nahost-Konflikt: Chefredakteur Werner Pirker wagte Kritik an der israelischen Besatzungspolitik, sofort witterten die Westlinken um Gremliza "Antisemitismus". Anläßlich des weltweiten Wirbels um die Haider-FPÖ schrieb Pirker dann den fatalen Satz: "In der israelischen Knesset sitzen wohl etwas mehr Leute, die von der Überlegenheit der eigenen 'Rasse' und der Untermenschennatur anderer Völker überzeugt sind, als im österreichischen Parlament." Nach hysterischen Protesten mußte sich Pirker sowie sein Stellvertreter Holger Becker "krankmelden", später säuberte Koschmieder die Redaktion von allen "Linksnationalen".

Schon drei Jahre früher hatten die "antinationalen" Westlinken aus dem Umfeld von Konkret das Handtuch geworfen. Ihrem Auszug ging ein in der Pressegeschichte einmaliger Eklat voraus. Am 21. Mai 1997 hatten 21 Mitarbeiter der Jungen Welt die Redaktionsbüros gestürmt, um die Wiedereinsetzung des ihnen genehmen Chefredakteurs Behnken zu erzwingen. Die tumultuarische Besetzung war vergeblich. Aus Frust gründeten die Westlinken in einem Hinterhof in Berlin Kreuzberg ein Gegenblatt zur Jungen Welt, das satirisch angehauchte Wochenblatt Jungle World. Deren Leitmotiv heißt nun Ironie. Was für Junge Welt ein Fremdwort war, daran erstickt Jungle World. Nach dem Scheitern der Ideologie hilft nur noch intellektualistisch-poststrukturalistisch verbrämter Hedonismus. "Statt Diskussion gibt es Disko", doziert Elsässer zum fünfjährigen Jubiläum der Zeitung. "Das Design bestimmt das Bewußtsein".

Dennoch sei die Abspaltung von der Jungen Welt ein Fehler gewesen, zieht Elsässer Bilanz. Heute ist er wieder Konkret-Redakteur und leistet sich die Heuchelei, dem damaligen "Dream Team" aus sicherer Distanz ein Kränzchen zu flechten. Letztlich, so Elsässer, habe die Gründung der Jungle World "den Widerstand in und gegen Deutschland" geschwächt. Da widerspricht ihm Stephan Ripplinger, bis 1997 ebenfalls Redakteur der Jungen Welt und kein Unbekannter der "antideutschen" Szene. Er moniert "die frappierende Ähnlichkeit der meisten Kommunisten mit dem Spießer von nebenan". Die Linke sei ein "Springquell des Schmutzes", blubbert Ripplinger mit Blick auf die Junge Welt. Nach der Auseinandersetzung mit den dortigen Kollegen sei er aber "gegen jede Kollaboration mit Antisemiten, Autoritären und Arschlöchern gefeit". Ihn wurmt nun seine "unverzeihliche Naivität", damals bei einer Tageszeitung mitgearbeitet zu haben, "die sich später zur widerlichsten Deutschlands entwickelte". Zu den 500 Mitleidsabonnenten, so sie denn zusammenkommen, wird er wohl nicht gehören.


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