© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/02 06. September 2002

 
Der mit dem Beust tanzt
Hamburg: Innensenator Ronald Schill stellt die bürgerliche Koalition mit seiner Bundestagsrede auf eine Belastungsprobe
Peter Freitag

Im Parlament am letzten Donnerstag wurde es keineswegs verübelt, ja vielmehr für selbstverständlich erachtet, daß während der Debatte um die finanzielle Aufarbeitung der Flutkatastrophe der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber weniger als Bundesratsmitglied für seinen Freistaat, sondern eher als Kanzlerkandidat für die Union wider Gerhard Schröder argumentierte. Andererseits ergoß sich ein Sturm der Entrüstung über Ronald Schill, der es als homo novus in der Bundespolitik wagte, in seinem Redebeitrag mehr parteipolitisch ausgerichtet gegen die rot-grüne Koalition zu Felde zu ziehen, denn als Zweiter Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg zu sprechen.

Schill hatte in der beanstandeten Rede (siehe Dokumentation auf Seite 6) tatsächlich seine Kritik an der Finanzierung der Hochwasserschäden durch Aufschub der Steuerreform nur als Rahmen für einen fundamentalen Rundumschlag gegen das politische Establishment genutzt. Sein Tenor: Es wird zuviel Geld für Dinge ausgegeben, die dem deutschen Volk eher schaden als nützen, so für "massive Zuwanderung zu Lasten der Sozialkassen", für falschverstandenen Strafvollzug und nicht zuletzt für eine Briefkampagne der Regierung zugunsten des neuen Zuwanderungsgesetzes, das "gegen den Willen von 83 Prozent der Bevölkerung durchgepaukt" worden sei. Die Mehrheit des Bundestags brachte er vollends gegen sich auf mit dem Vorwurf, die Abgeordneten hätten in der Vergangenheit das Geld mit der "Gießkanne über die ganze Welt verteilt", so daß Deutschland diese Katastrophe nicht angemessen bewältigen könne.

Als die amtierende Präsidentin Anke Fuchs (SPD) den Redner dann auf das Ende seiner Redezeit hinwies, Schill sich aber davon unbeeindruckt zeigte, wurde er durch Mikrofonabschaltung zum Schweigen gebracht; das Debakel war perfekt. Fast unisono wurde über Schill der Bann gelegt, die Kommentatoren sprachen von einem Skandal, von "peinlichem Gebahren" des Senators, von einer "Blamage für Hamburg". Die SPD der Hansestadt forderte Regierungschef von Beust auf, Schill zu entlassen und schnellstens eine Große Koalition zu bilden. Dies wies Beust zwar zurück, stellte aber pflichtschuldigst in einer Presseerklärung fest: "Diese Rede hat dem guten Klima in der Koalition und der guten Arbeit unserer Regierung nicht genutzt."

In derWelt fuhr ein Kommentator sogleich schwerstes Geschütz gegen das "rechtspopulistische Rumpelstilzchen" auf, indem er feststellte, daß sich jeder, der mit Schill gemeinsam Politik machen wolle, "nicht mehr im demokratischen Sektor" bewege. Hat die Grenze des Demokratischen dann etwa auch der CSU-Landesgruppenchef Glos überschritten, der Schill mehrfach während dessen Rede Beifall spendete? Oder der CDU-Abgeordnete Hartmut Schauerte, der in einem Zwischenruf feststellte: "Er hat doch recht!"? Liegt nicht vielmehr ein Skandal in der herabwürdigenden Behandlung, die Schill von seiten einiger Abgeordneter der Koalition und insbesondere auch durch das Präsidium widerfuhr. So blieben auch die respektlosen Zurufe des SPD-Abgeordneten Gert Weisskirchen ("Setz dich jetzt, Du hast lange genug gesungen. Mach Schluß, Junge") ungerügt. Nachdem Schill die Präsidentin auf sein unbegrenztes Rederecht hingewiesen hatte, äußerte diese von oben herab: "Das heißt aber nicht, daß er hier hinhüpfen kann, wenn es ihm paßt..."

Daß eine auf 15 Minuten begrenzte Redezeit, wie von Bundestagsvizepräsidentin Fuchs behauptet, verabredet worden sei, wies ein Sprecher der Hamburger Vertretung in Berlin am Freitag zurück. Bereits unmittelbar nach dem Eklat im Reichstag kündigte Schill an, eine Organklage gegen die Entscheidung der amtierenden Präsidentin vor dem Bundesverfassungsgericht einzureichen. Nach juristischer Prüfung, wahrscheinlich auch auf Druck der Koalition, teilte die Schill-Partei am Dienstag mit, daß ihr Vorsitzender von einer Klage absehen werde.

In Hamburg war bei den Koalitionspartnern, insbesondere bei der FDP, augenscheinlich das Entsetzen groß. Der Erste Bürgermeister Ole von Beust (CDU) lamentierte darüber, daß Schill für den Inhalts dieser Rede nicht mit dem Senat abgesprochen habe. Dem Regierungschef fiel die undankbare Aufgabe zu, zwischen Skylla und Charybdis hindurchzusegeln; denn einerseits erwartet das liberale Hamburger Establishment seine inhaltliche Distanzierung von Schills Parforceritt, andererseits mußte er sich des Eindrucks einer Koalitionskrise erwehren. Der Hamburger Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) sah das "Ansehen des Senats" durch Schills "unwürdiges Schauspiel" beschädigt.

Auch einige Parteifreunde des Innensenators, so etwa Parteivize und Bausenator Mario Mettbach sowie Gesundheitssenator Peter Rehaag, übten trotz mancher inhaltlicher Übereinstimmung mehr oder weniger deutlich Kritik am Verhalten des Parteichefs im Bundestag. Von der Basis dagegen erfuhr Schill weitestgehende Zustimmung; in der Parteizentrale forderten zahlreiche Anrufer Mitschnitte des Auftritts an, selbst Mitglieder anderer Parteien lobten Schill für seine Worte. Nach Angaben von Schills Bürochef Dirk Nockemann sei eine Welle von Aufnahmeanträgen in Hamburg eingegangen. Gleichlautender Tenor der zahlreichen Anrufer: Endlich habe einer ausgesprochen, was viele dächten.

Der Vorsitzende der Partei Rechtsstaatlicher Offensive hat wahrscheinlich genau dies vorgehabt. Aufgrund finanzieller Engpässe und noch zum Teil ungefestigter Strukturen ist seiner jungen Bewegung ein bundesweites Presseecho nicht vergönnt. Indem er aber die Gefahr eines politischen Tabubruchs, den Eklat im Reichstag und die anschließende Verdammung durch politische Gegner und den überwiegenden Teil der Medien bewußt einkalkulierte, konnte er seine "finstersten Stammtischparolen" (Die Welt) unter ein größtmögliches Publikum streuen. Schill suchte den Befreiungsschlag aus der kuschelnden Umklammerung der Hamburger Koalitionspartner; nur gegen "die Altparteien", wie er sich ausdrückt, kann die Splitterpartei sich im Wahlkampf behaupten.

Am Dienstagmittag gab der Erste Bürgermeister Ole von Beust schließlich die Beilegung der Koalitionskrise bekannt. Nachdem er und sein Stellvertreter Schill am Abend zuvor ein längeres Telefonat geführt hatten, über dessen Inhalt jedoch Stillschweigen vereinbart worden sei, hatte sich am folgenden Vormittag der Senat zur Schlichtung zusammengesetzt. "Alle Beteiligten sind sich einig, daß wir die gute Zusammenarbeit in den nächsten Jahren weiterführen wollen", so von Beust anschließend. Die Geschäftsordnung des Senats sei insoweit geändert worden, daß künftig in Bundestag oder Bundesrat nur noch die Positionen des Gesamtsenats vertreten werden würden. Dies sei auch von Schill akzeptiert worden. Die Intensität des Zorns, der sich aus sämtlichen anderen Parteien und den meisten Medien über den Zweiten Bürgermeister Hamburgs entleert hat, ist genährt von der Furcht, daß eben doch viele Wähler insgeheim seinem Diktum von den "unfähigsten Politikern" zustimmen.


 
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