© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/02 30. August 2002

 
Das abgeschaltete Äffchen
Wege zu einer Aneignung der nötigen Kenntnisse in Genetik und Molekularbiologie
Angelika Willig

Vor zwei Jahren schon hatte Frank Schirrmacher von allen Schöngeistern eine "Nachschulung" in den Biowissenschaften gefordert. Dazu lädt jetzt das Büchlein des FAZ-Autors Thomas P. Weber ein. "Schnellkurs Genforschung", in der Reihe "DuMont Schnellkurse" erschienen, ist ein Taschenbuch von 170 Seiten mit zahlreichen Abbildungen.

Schlägt man das Buch auf, blickt einem gleich ein zartes Äffchen entgegen. Mit dem Erbgut einer Qualle angereichert, müßte es ein fluoreszierendes Leuchten sehen lassen. Doch das Quallenerbe ist nicht "angeschaltet". Das traurige Äffchen kann für das Buch stehen. Was der Autor vor allem im Sinn hat, ist Desillusionierung. Illusion bedeutet für ihn die Hoffnung auf schnelle medizinische Erfolge durch die Gentherapie, und Illusion ist erst recht unsere eigene Hoffnung, mit der Lektüre eines kleinen Reiseführers das molekularbiologische Dickicht zu durchdringen. Wenn die Frankfurter Allgemeine Zeitung das Buch des Kollegen "für Laien leicht lesbar" nennt, dann weiß sie nicht, was ein molekular-biologischer Laie ist.

Ein solcher Laie stellt sich zum Beispiel vor, daß die Gene auf den Chromosomen ordentlich aufgereiht wie Perlen in einer Kette liegen. Und er stellt sich vor, daß die Helden vom Human Genom Project diese Perlen in ihrer genauen Reihenfolge aufgelistet haben. Und annähernd stellt er sich sogar vor, daß in dieser Liste hinter jedem Namen eine Berufsbezeichnung steht: Gen 1 kümmert sich um die Leber, Gen 2 um das Blut, und Gen 3 ist für die Erotik zuständig. Irgendwann im Kapitel über die Sequenzierung des menschlichen Genoms merkt der Leser dann, daß die Kette offenbar keine Kette ist, sondern ein zerrupftes Wollknäuel oder der sprichwörtliche Heuhaufen. Und kaum geht es um die Nadel, schon kommt Weber auf sein Lieblingsthema zu sprechen, die genetischen Marker. Bekannt sind uns diese Muster vom sogenannten genetischen Fingerabdruck her. Die schmalen und breiten schwarzen Streifen erinnern an das Etikett, das die Supermarktkassen heute automatisch ablesen. Doch was man da sieht, sind keine Gene. Die eiweißkodierenden DNA-Abschnitte liegen in einem Meer von genetischem Schrott, der nichts kann, aber gewisse Regelmäßigkeiten aufweist, nach denen man die Lage der daran gekoppelten "richtigen" Gene einschätzen und eine Kartierung vornehmen kann. Wir bewundern die Findigkeit und Hartnäckigkeit der Genforscher angesichts einer frustrierenden Situation. Das hindert aber nicht, daß auch uns bei diesem Buch bald der Frust überfällt. Die Vorliebe für Schwierigkeiten und Probleme ist dem Autor durchgehend anzumerken. Eine Eigenschaft, die unverzichtbar ist für die Wissenschaft, aber tödlich für einen, der den schnellen Durchblick sucht. Und schnell sollte dieser "Schnellkurs" doch eigentlich sein. Weber mag es eher kurz und kompakt. Manchmal wirkt sein Text wie eine Formelsammlung, die auf engstem Raum den Inhalt eines ganzen Studiums wiedergibt. Vektoren zum Beispiel sind uns aus der Mathematik noch in schauriger Erinnerung. Hier ist der Vektor eine Art biologisches Fahrzeug, um fremde Gene in eine Zelle hinein zu transportieren. Eine so simple Erklärung reicht Weber aber nicht: "Virale Vektoren beruhen auf vier Virenklassen: Retroviren, Lentiviren, adeno-assoziierte Viren und Adenoviren. Retroviren nutzen RNA als ihr Erbmaterial und beherbergen drei essentielle Gene: gag kodiert für strukturelles Eiweiß, pol kodiert das Enzym Reverse Transkriptase, und env kodiert die Eiweißhülle des Virus." Spätestens hier fragt man sich, ob man je wirklich etwas über Genforschung wissen wollte.

Wer nicht ein hochtrabendes Buch kaufen will, das nach dem ersten Durchblättern im Schrank steht, begebe sich in die Abteilung für Jugendbücher und frage nach Band 111 von "Was ist was?" Erst im vergangenen Jahr hat der Verlag sich dem Thema "Die Gene" zugewandt, was den Vorteil der Aktualität mit sich bringt. Es handelt sich hier keineswegs um Kinderkram. Die Frage "Wie werden Bakterien zu Minifabriken?" wird bestimmt nicht jeder Volljährige auf Anhieb beantworten können. "Plasmide sind kleine ringförmige DNS-Moleküle. Sie kommen neben dem eigentlichen Erbgut in Bakterien vor und tragen Gene, die nicht auf dem Haupt-Chromosom sitzen." Für die meisten ist das eine neue Information. Doch rasch stellt sich das befriedigende Gefühl des Verstehens ein. "Ein Bakterien-Plasmid, dem ein fremdes Gen eingebaut wurde, kann erneut in ein Bakterium eingeführt werden. Da der genetische Code universal ist, wird die Information dieses Gens von den biochemischen Einrichtungen des Bakteriums abgelesen und in das entsprechende Protein übersetzt." Thomas Weber würde jetzt sofort zu den quälenden Einzelheiten der Ablesung und Übersetzung kommen; bei "Was ist was?" dürfen wir uns zurücklehnen und an den schönen und aufschlußreichen Bildern erfreuen. Das Buch ist ganz nach dem Prinzip der "am häufigsten gestellten Fragen" aufgebaut. "Was sind Gen-Scheren und Gen-Kleber? Was sind transgene Tiere? Was sind Gen-Chips?" Alles wird von Claudia Eberhard-Metzger kurz und klar beantwortet.

Daß die Komplexität der Materie dabei völlig unter den Tisch fällt, ist dafür der unvermeidliche Preis. Die große Stärke von Thomas Weber, uns einen echten Eindruck vom Forschungsalltag zu vermitteln, fällt einem erst im Vergleich richtig auf. Bei "Was ist was?" darf schon der Zwölfjährige die Gentechnik für ein neues Do-it-yourself-Verfahren halten: "Ihr habt mit der Schere aus einer Zeitung Buchstaben oder kleine Textstücke ausgeschnitten, auf einem Blatt Papier mit einem Kleber zu einem neuen Text zusammengefügt. So ähnlich funktioniert auch die Gentechnik." Darf man so was sagen? Man muß sehr vereinfachen, um von allen verstanden zu werden. Doch man riskiert, daß sich gefährliche Vereinfachungen auch auf das ethische Urteil auswirken.

Entsprechend dem unbedarften und wohltuenden Optimismus, den "Was ist was?" ausstrahlt, wird hier die Ethik-Ecke mit einem Zitat von Ernst-Ludwig Winnacker von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bedient. Winnacker legt Wert darauf, daß die Genetik dem Menschen dienen solle und nicht etwa umgekehrt. Dem wird jeder Mensch zustimmen. Bei Thomas Weber bündelt sich der Skeptizismus in seinem Schlußwort: "Meist ist es eben nicht der Fall, daß die Fehlfunktion einer Zelle auf ein einziges fehlerhaftes Gen zurückgeführt werden kann - die Ursache liegt in der Wechselwirkung vieler Faktoren. Ob unter solchen Bedingungen die Kenntnis von Genomen zu einer medizinischen Revolution führen kann, ist mehr als fraglich." Die Gentechnik ist also gar nicht fähig genug, um Schlimmes anzustellen. Auch ein Trost.

 

Thomas P. Weber: Schnellkurs Genforschung. DuMont Verlag, Köln 2002, 177 Seiten, 12,90 Euro

Was ist was? Band 111 "Die Gene", Tessloff Verlag, Nürnberg 2001, 48 Seiten, 8,90 Euro


 
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