© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/02 30. August 2002

 
Sphinxhaftes Antlitz
Zum 20. Todestag der Schauspielerin Ingrid Bergmann
Werner Olles

In Isabella Rossellinis Autobiographie "Some of me" erfährt man wundersame Dinge über ihre Mutter. Zum Beispiel, daß Ingrid Bergmann die Nahaufnahmen in "Casablanca" vorsichtshalber mit neutralem Gesichtsausdruck gespielt habe, weil sie nicht wußte, ob sie nun in Rick oder Victor Laszlo verliebt sein sollte. Ihrer Tochter gab sie den Rat: "Mach am besten gar nichts... Die Geigen sorgen schon dafür, daß die Figur, die du darstellen sollst, die richtige Aura bekommt."

Vielleicht hat Ingrid Bergmanns stolze, ein wenig sphinxhafte Statuarik mit dazu beigetragen, daß "Ca-sablanca" nur zu einem Leinwand-Klassiker wurde. Ein schillerndes Melodram, das seinen Erfolg einer Galerie guter Schauspieler verdankt, von denen sich jeder mit dem anderen in ein geradezu wunderbares Wechselspiel einläßt. Humphrey Bogart als Nachtclubbesitzer Rick und die schöne Ingrid Bergmann, das schuf einen Zauber, eine Lebhaftigkeit und Intensität, die den Zuschauer vollkommen vergessen lassen, daß er sich nur ein in der Filmfabrik produziertes Faksimile ansieht.

Ingrid Bergmann wurde am 29. August 1915 als Tochter eines Malers und Photographen und einer Deutschen in Stockholm geboren. Bereits mit dreizehn Jahren war sie Vollwaise. Nach dem Besuch der Schauspielschule am Königlichen Dramatischen Theater drehte sie ihre ersten Filme in Schweden und Deutschland. 1939 entdeckte sie der amerikanische Filmproduzent David O. Selznick und nahm sie mit nach Hollywood. An der Seite Gary Coopers spielte sie in Hemingways "Wem die Stunde schlägt" und mit Charles Boyer in "Das Haus der Lady Alquist". Für diese Rolle wurde sie mit ihrem ersten Oscar ausgezeichnet. Ein Jahr später engagierte Alfred Hitchcock sie für seinen psychologischen Thriller "Ich kämpfe um dich". Kühl und zurückhaltend und zugleich verführerisch und verlockend strahlte sie vor der Kamera, und die New Yorker Filmkritiker kürten sie zur "Besten Schauspielerin des Jahres". Hitchcock war so von ihr angetan, daß er 1946 die weibliche Hauptrolle in "Berüchtigt", einem romantischen Thriller um Krieg, Spionage und Liebe, mit ihr besetzte. Mit der Bergmann und seinem Lieblingsstar Cary Grant hatte er nun das perfekte Traumpaar. Und es ist vor allem die Ausstrahlung dieses Duos, die das Publikum bis heute fesselt. 1949 arbeitete sie ein letztes Mal mit Hitchcock zusammen. In "Sklavin des Herzens" spielt sie ein adliges irisches Mädchen, das mit dem Stallknecht durchbrennt, ihren erbosten Bruder tötet, und dann ihrem Ehemann, der den Mord auf sich nimmt, in eine australische Strafkolonie folgt. Der Film wurde in jeder Hinsicht ein Mißerfolg. Hitchcock gestand später, er habe "Sklavin des Herzens" nur gemacht, weil es ein Lieblinsgprojekt von Ingrid Bergmann gewesen sei.

1948, ein Jahr bevor sie sich von ihrem schwedischen Ehemann trennte und mit ihrem neuen Geliebten, dem italienischen Regisseur Roberto Rossellini nach Rom zog, spielte sie "Johanna von Orleans", ihre wohl beste Rolle. In einem eindringlichen Porträt entfaltet sich hier ihre Leidenschaft für die bildende Ausdruckskraft des menschlichen Antlitzes zu unvergeßlicher Kunst. Die Leidensgeschichte dieses außergewöhnlichen jungen Mädchens erhält durch ihr Spiel ein ergreifendes Pathos und eine symbolische Tiefenwirkung, deren Suggestionskraft bis heute ungebrochen ist.

Rossellini, der neue Mann an ihrer Seite, gehörte neben Vittorio de Sica und Alberto Lattuada zu den Begründern des italienischen Nachkriegs-Neorealismus. Seine Filme "Rom, offene Stadt", "Paisà" und "Deutschland im Jahre Null" wurden von der internationalen Kritik begeistert aufgenommen. In seinem Film "Stromboli" (1949) kommt Karin (Ingrid Bergmann) aus einem Lager für "Displaced Persons" durch Heirat mit einem jungen Fischer auf die vulkanische Insel Stromboli. Sie hat ein Idyll am Mittelmeer erwartet, aber Stromboli ist ein Symbol für Gottes Erde, auf der die Menschen nicht leben um des Genusses willen, sondern um zu dienen. Erst allmählich begreift sie, daß Gott ihr eine Aufgabe zugeteilt hat, und daß sie ihr Dasein gutheißen muß. Sie überwindet ihre Selbstsucht und wird frei. Während der Film in protestantischen Ländern nur wenig Verständnis fand, hatte er in Italien, Spanien und Frankreich starken Erfolg auf Grund der katholisch gedeuteten göttlichen Gnade.

In den USA wurden ihre Filme seit der Heirat mit Rossellini unter dem Druck der amerikanischen Frauenverbände boykottiert. Auch diese Ehe, der die Kinder Robertino, Isabella und Isotta entstammten, wurde für sie zu einem Desaster, unter anderem weil ihr Ehemann ihr verbot, mit anderen Regisseuren zu arbeiten. Nach ihrer Scheidung von Rossellini heiratete sie 1957 den schwedischen Produzenten Lars Schmidt. Als sie im gleichen Jahr wieder amerikanischen Boden betrat, feierte man sie wie eine Königin. Für ihre Titelrolle in "Anastasia" erhielt sie ihren zweiten Oscar. Mit dem unterschätzten Anatole Litvak dreht sie 1967 "Lieben Sie Brahms". Doch das private Glück war ihr wieder nicht hold. Nach 13 Ehejahren wird sie von ihrem dritten Ehemann verlassen. Wenig später diagnostizierten die Ärzte ihre Krebserkrankung. Ingrid Bergmann zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Erst 1976 gab sie dem Drängen ihres Landmanns Ingmar Bergmann nach und drehte mit ihm "Das Schlangenei" und "Herbstsonate".

Bereits vom Tode gezeichnet, stand sie 1982 für "Eine Frau namens Golda" ein letztes Mal vor der Kamera. Am Vormittag ihres 67. Geburtstages starb Ingrid Bergmann am 29. August 1982 in London.


 
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