© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/02 23. August 2002

 
CD: Pop
Altersfragen
Peter Boßdorf

Um Oasis muß sich niemand Sorgen machen. In ihren Glanzzeiten in der Mitte der 1990er haben sie so viele Kunden auf sich eingeschworen, daß es für ein ganzes Künstlerleben reichen sollte. Sofern sie gut beraten sind, werden sie dieses Kapital nicht verspielen, bloß damit man sie für unberechenbar und daher treu zu sich selbst halte. Die Band hat das Zeug dazu, die Alterskohorten, die sie für einen gar nicht so kurzen Augenblick mit geprägt hat, bis ins hohe Alter zu begleiten. Den Weg in diese Richtung hat sie längst eingeschlagen, und auf ihm schreitet sie mit "Heathen Chemistry" (Sony) konsequent fort. Dabei kommt es nicht mehr so sehr darauf an, ob die neue CD irgendwelche Erwartungen erfüllt. Hauptsache, man ist da, und es geht weiter. Die Hörer sind geneigt, dies auf sich selbst zu beziehen. Auch bei ihnen muß es immer irgendwie weitergehen, und sie sind dankbar für jede Kontinuität, an die sie glauben dürfen.

Menschen, die sich auf eine Musikrichtung festlegen, tun dies gewöhnlich in einer Phase, in der sie die Muße haben, ein Lebensgefühl zu entwickeln. Später freuen sie sich, wenn ein Sound ihnen die Chance bietet, sich an eine Zeit zu erinnern, in der sie noch hoffen durften, ihre Biographie wäre offen. Oasis lehrte junge Männer, auf eine ganz bestimmte Art und Weise aus der Wäsche zu schauen: "Hey", sagte dann die innere Stimme, wenn man sich nur gescheit auf diese Stimmung einließ, "hey, das ist alles ziemlich langweilig hier, und was kommt, ist auch nicht besser, aber das kann mich eigentlich gar nicht kratzen." Oasis hat sie nicht belogen. "Hey", dürfen nämlich diese immer noch verhältnismäßig jungen Männer heute feststellen, "hey, es ist tatsächlich nicht besser geworden, und es ist gut, daß es mir so egal gewesen ist."

Oasis ist daher auch gar nicht so richtig enttäuscht, daß aus den Ambitionen von New Labour kaum etwas geworden ist. Mit Tony Blair verband sie nicht die Euphorie, sondern eine imageträchtige Sentimentalität. Ihren eigenen Job haben sie nicht schlechter gemacht als der Premier: Vielen Menschen, die der Markt in Ungewißheit über ihre Zukunft hält, wurde durch die nölenden Lieder von Oasis das stolze Gefühl vermittelt, daß der Ausnahmezustand des Tagelöhners eigentlich Rock'n'Roll sei.

Die neue musikalische Mitte erst kürzlich erreicht hat die kalifornische Band Red Hot Chili Pepper. Der Dornenweg dorthin war aufsehenerregend, und man muß vielleicht tatsächlich den anachronistischen Blick auf die Biographie der beteiligten Musiker riskieren, um ihn nachvollziehen zu können. Zwischen dem ungezügelten Sound der neunziger Jahre, der eine ganze Generation von Kopfwacklern und Hochhüpfern elektrisierte, und dem disziplinierten Kraftstrom, der den Hörer vom ersten bis zum letzten Song durch das neue Album "By the Way" (Warner Bros.) vorantreibt, gibt es nur wenige Brücken. Die raren Vorboten aus früher Zeit (etwa der Hit "My Friends") waren so unvermittelt radiogerecht, daß sie eigentlich nur als ironisch aufgefaßt werden konnten.

Seit "Californication" wissen die Menschen jedoch, daß die vier Freunde um Anthony Kiedis drauf und dran sind, der Nachwelt etwas zu hinterlassen, das sich nicht bloß jenen erschließt, die zufälligerweise eine Vorstellung davon bewahrt haben, warum so viele Menschen noch vor wenigen Jahren an der Dienstleistungsgesellschaft verzweifelten. Die Attitüde der Selbstzerstörung hat sich abgenutzt, das ist nicht allein eine Altersfrage. Der Kult des Privaten ist nun auch bei den Red Hot Chili Pepper ins Konstruktive gewendet. Ihre neue Rolle als Bekenner des guten Geschmacks ist ihnen wie auf den soeben purgierten Leib geschrieben. Sie sind darin nicht die ersten, man kennt das spätestens seit der Beat Generation. Aber sie zählen mit zu den besten.


 
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