© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/02 23. August 2002

 
Eine Hosenrolle ist allemal drin
La Traviata oder Königin der Nacht? - Angela Merkel als Heldin einer deutschen Nationaloper
Richard Stoltz

Der Durchbruch ist erzielt: Endlich kommen aktuell agierende Politiker und ihre Winkelzüge auch bei uns auf die Bühne, freilich nicht ins Theater, sondern in die Oper. "Angela Merkel. Eine Nationaloper" heißt das Spektakel, das letztes Wochenende in Berlin Premiere hatte. Spielort war der noch unvollendete U-Bahnhof Reichstag, und auch die Sänger und Instrumentalisten hinterließen einen etwas unvollendeten und unterirdischen Eindruck. Dennoch lief alles mit rührendem Biedersinn ab, fast wie eine Stadttheater-Aufführung in Hintertupfingen.

Die Politikerkarriere der Angela Merkel (Sopran) wurde ohne Hohn und Häme nachgestellt und nachgesungen, ihre onkelhafte Anfangsförderung durch Helmut Kohl (Baß), ihre bittere Konkurrenz zu Friedrich Merz (Tenor), ihre Auseinandersetzungen mit Gerhard Schröder und Joschka Fischer (beide Bariton). Einzig Edmund Stoiber sang nicht, mußte sich mit einer Sprechrolle begnügen und wurde am Ende sogar erschossen, was der dramaturgische Höhepunkt dieser Oper war.

Leider war die Musik recht unterschiedlich, schwankte zwischen Fidelio und Toten Hosen, Zauberflöte und Einstürzenden Neubauten. So blieb bis zuletzt unklar, was wir von Angela Merkel eigentlich halten sollen. Ist sie eine Leonore, die uns aus dem Dunkel ins Licht führen könnte? Oder eine schwindsüchtige Traviata, die auf halber Strecke entseelt liegen bleibt? Oder gar eine Königin der Nacht, die mit strahlender Koloratur anhebt und alle Gutmenschen bezaubert und die sich dann im Laufe der Handlung als heimtückische Gegenspielerin des braven Sarastro entpuppt?

Nun, nach der Bundestagswahl am 22. September werden wir schon mehr wissen. Wenigstens hat Angela Merkel gute Chancen, als Hosenrolle, als Hochzeitskavalier, der der Sprechrolle die Silberne Rose überreicht, in die Musikgeschichte einzugehen.


 
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