© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/02 23. August 2002

 
Pankraz,
H. Karasek und die Blomberg-Fritsch-Affäre

Wer an schönen Sommerabenden nichts Besseres zu tun hat und das Fernsehen einschaltet, muß auf viele sogenannte "Classics" gefaßt sein. Das sind schlichte Wiederholungen von alten Talkshows, die ihren Produzenten so gelungen vorkamen, daß sie sie in der Urlaubszeit, wenn auch die Talkmaster Ferien machen, losgelöst vom aktuellen Anlaß ruhig noch einmal über den Sender laufen lassen, gleichsam als Pausenfüller, damit das Publikum das Gesicht des Talkmasters nicht vergißt.

In einem solchen "Classic" vom Mitteldeutschen Rundfunk sah Pankraz Hellmuth Karasek, wie er gutgelaunt über gewisse Lesefrüchte Auskunft gab, speziell über gewisse Geschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus, die ihm sehr lustig vorgekommen seien. So etwa die Geschichte des Generalobersten Werner Freiherr von Fritsch, seines Zeichens Chef der Heeresleitung und Oberbefehlshaber des Heeres, der 1938 pikanterweise eine stadtbekannte Prostituierte geheiratet und zur Hochzeit ausgerechnet den Reichskanzler Adolf Hitler eingeladen habe, worauf er dann von seinem Posten zurücktreten mußte.

Karasek spielte damit auf einen der dramatischsten Skandale des Dritten Reiches aus der Vorkriegszeit an, nur handelte es sich bei dem "unstandesgemäßen" Hochzeiter gar nicht um den Befehlshaber Fritsch, sondern um den Reichskriegsminister Werner von Blomberg. Die Affäre kam Hitler und Göring sehr gelegen, weil sie günstigen Anlaß bot, die damalige Heeresleitung, die den Nationalsozialisten unbequem war, zu diskreditieren und durch willfährige Satrapen zu ersetzen.

Außer Blomberg sollte auch Fritsch fallen, und so hängte man ihm mittels eines gekauften Provokateurs eine homosexuelle Verstrickung an. Nachdem er entlassen war, kam alles heraus, man rehabilitierte den Generaloberst mit Ach und Krach, gab ihm aber nicht sein altes Amt zurück, sondern machte ihn zum Chef eines Artillerieregiments. Fritsch, ein untadeliger altpreußischer Gentleman, nahm sich das alles sehr zu Herzen und suchte ein Jahr später im Polenfeldzug den Tod im Felde, spazierte so lange vor den polnischen Linien, bis ihn feindliche Scharfschützen ins Visier nahmen und abschossen.

Wie gesagt, die Blomberg-Fritsch-Affäre war kein Detail am Rande der Ereignisse, sondern ein Riesenskandal. Ganz Berlin sprach wochenlang von nichts anderem, auch spätere Geschichtsbücher gehen ausführlich darauf ein, und es gibt einen Historikerstreit darüber, ob Göring, der Vorsitzende des "Ehrengerichts" über Fritsch, die Provokation mit dem Achtgroschenjungen selbst einfädeln ließ oder ob sie rein zufällig parallel zur Blomberghochzeit von untergeordneten Lemuren arrangiert worden war und von Hitler nur ausgenutzt wurde.

Daß Karasek Fritsch mit Blomberg verwechselte - so etwas mag momentan vorkommen, man kann es leicht noch im Verlauf der Sendung oder danach korrigieren. Daß aber nicht nur keine Korrektur geschieht, sondern man die gleiche fehlerhafte Sendung Monate später als besonders gelungenen "Klassiker" ins Sommerloch schickt und sich nichts dabei denkt - das ist ebenfalls ein kleiner Skandal, und ein für die heutige Zeit typischer dazu.

Man muß ja davon ausgehen, daß noch Angehörige des Freiherrn von Fritsch leben, daß es eine Familie derer von Fritsch gibt und daß diese Familie oder Sippe - wie bei solchen Sippen nach wie vor üblich - über die Ehre und akkurate Erinnerung ihrer Angehörigen, auch der verstorbenen, wacht. Aber offenbar hat keiner der im Mitteldeutschen Rundfunk Verantwortlichen auch nur eine Sekunde an die Ehre des Generals von Fritsch und seiner Sippe gedacht, möglicherweise haben sie sogar darüber gelacht und die Sache mit der Verwechslung für eine besonders gelungene, "klassische" Pointe gehalten.

Oder sollten bis dato weder Karasek noch die Sender-Verantwortlichen, noch die Zuschauer der Erstsendung etwas von der Verwechslung gemerkt haben? Das wäre dann fast noch betrüblicher als jeglicher Zynismus, würde jedoch nur allzu gut ins Schema jener massenhaften Fernseh-"Dokumentationen" über das Dritte Reich passen, wo fast nichts stimmt, wo in jede nur denkbare Richtung geschludert wird, wo man bedenkenlos verfälscht oder entstellt, ohne daß sich auch nur der Hauch eines echten historischen Gewissens meldet. Hauptsache, die ideologische Soße stimmt, die man über das Ganze ausgießt.

Und es war ja auch "nur" eine Unterhaltungssendung, keine "Dokumentation", in der die Verwechslung passierte. Was macht es denn da, wenn man die Namen zweier preußischer Offiziere durcheinander bringt, auch wenn es sich um erstrangige Figuren der Zeitgeschichte handelt? Der verantwortliche Redakteur (von dem man sich eigentlich nicht vorstellen kann, daß er die wahre Blomberg-Fritsch-Affäre nicht gekannt hat) mag sich beim Einlegen des Bandes gedacht haben: "Fritsch oder Blomberg, Verbrecher und Trottel waren sie beide, wir werden uns doch durch solche Trottel nicht die Authentizität unserer schönen Classics-Sendung kaputt machen lassen."

Es vollzieht sich hier ein Wechsel, der auch anderswo in der Zeitgeschichte und ihrer medialen Fixierung zu registrieren ist: Es wird nicht mehr danach gefragt, ob denn die Reproduktion mit dem wirklichen Ereignis übereinstimmt, sondern einzig noch danach, wie - gemessen am Unterhaltungswert - "gelungen" diese Reproduktion ist. Nicht das wirkliche Ereignis, sondern die mediale Reproduktion ist die "eigentliche" Tatsache.

Insofern gewinnt die Verwechslung von Blomberg und Fritsch bei den sommerlichen "Classics" geradezu paradigmatischen Rang. Was dem armen Freiherrn von Fritsch beim MDR passiert ist, das wird künftig wohl noch vielen Personen der Zeitgeschichte passieren. Man wird sie nur noch daran messen, wie gut sie in ein Unterhaltungsprogramm passen.


 
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