© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/02 23. August 2002

 
Materialien zur Herstellung von Bomben
Niederlande: Neues Beweismaterial im Mordfall Fortuyn / Personalsorgen und Unruhe in Fortuyn-Partei
Jerker Spits

Gut drei Monate nach der Ermordung des niederländischen Politikers Pim Fortuyn hat die Staatsanwaltschaft neues Beweismaterial präsentiert. Alles deutet klar darauf hin, daß der linksextreme Umweltaktivist Volkert van der Graaf am 6. Mai aus kurzer Entfernung sechsmal auf Fortuyn geschossen hat. Fortuyn, der im Wahlkampf für einen sofortigen Stopp der Aufnahme von Immigranten und eine bessere Sicherheitspolitik gekämpft hatte, wurden 29 Sitze im 150köpfigen niederländischen Parlament vorausgesagt. Die von ihm gegründete "Liste Pim Fortuyn" (LPF) wurde bei den Wahlen vom 15. Mai zweitstärkste Kraft.

Van der Graaf wurde unmittelbar nach dem Anschlag mit einer Waffe und Schmauchspuren an den Händen in der Nähe des Sendehauses, wo Fortuyn kurz vor seiner Ermordung ein Radiointerview gegeben hatte, festgenommen. An der Waffe und den Kleidern des Verdächtigen wurde Blut gefunden, das, wie Staatsanwalt Koos Ploy bekannt gab, mit dem Fortuyns übereinstimmt. Weiter wurden im Wagen des mutmaßlichen Täters eine Karte von Fortuyns Rotterdamer Wohnung und eine Liste mit Terminen des ehemaligen Soziologieprofessors sichergestellt. Bei der Überprüfung von van der Graafs Computer stellte man außerdem fest, daß der Verdächtige im Internet stundenlang nach Eintragungen zu Fortuyn gesucht habe. Auch sind in der Garage des radikalen Tierschützers Materialien zur Herstellung von Bomben entdeckt worden.

Van der Graaf selbst erschien nicht zum ersten Gerichtstermin, der am 9. August unter hohen Sicherheitsvorkehrungen in Amsterdam stattfand. Aus Protest gegen seine Haftbedingungen ist der 33jährige seit vier Wochen im Hungerstreik. Van der Graaf wird in seiner Zelle rund um die Uhr von Infrarot-Kameras überwacht, um einen Selbstmordversuch zu verhindern.

Seine Anwältin Britta Böhler, die 1998 den PKK-Führer Abdullah Öcalan verteidigte, hat in den letzten Monaten wiederholt die "schlechten Haftbedingungen" ihres Klienten kritisiert. Die Dauerüberwachung verletze die Rechte des Verdächtigen, so Böhler. Außerdem hätten die Wächter des Amsterdamer Bijlmer-Gefängnisses Van der Graaf ein Essen mit Fleisch serviert, obwohl sie wüßten, daß der Verdächtigte Vegetarier sei.

Seit dem 6. Mai arbeiten 55 Kriminalisten an der Aufklärung des Falls, sie haben Van der Graaf aber nicht zum Sprechen bringen können. Niederländische Rechtsexperten zogen in den letzten Wochen sogar Vergleiche mit der Radikalität deutscher RAF-Mitglieder in den siebziger Jahren.

Vor allem die Integrations- und Ausländerpolitik der neuen Regierung sorgt nach wie vor für Unruhe im linken Lager der Niederlande. Der neue Einwanderungsminister Hildebrand Nawijn (LPF) sprach sich letzte Woche für die Internierung von Asylbewerbern aus. Asylbewerber sollten in geschlossenen Internierungslagern untergebracht werden, solange ihre Anträge überprüft würden, sagte Nawijn. Als Lager könnten derzeit leerstehende Armeeunterkünfte dienen.

Vor allem illegal eingewanderte Asylbewerber mit einer kriminellen Vergangenheit sollten bis zu zwei Monate lang festgehalten werden. Der 50jährige Mat Herben, früherer Kampagnensprecher Fortuyns und nach dessen Ermordung Nachfolger als Parteichef, hat inzwischen seinen Rücktritt angekündigt. Er reagierte damit auf Kritik von Parteifreunden. In einem Zeitungsinterview nannte Herben Überlastung als Begründung für seinen Rücktritt. "Ich hatte das Gefühl, daß ich ganz alleine die Partei tragen mußte. Es war zu viel." Nach den Wahlen vom 15. Mai hatte Herben für die LPF die Fraktion organisiert und die Verhandlungen zur Regierungsbildung mit den Christdemokraten (CDA) und den Rechtsliberalen (VVD) geführt. Aus Partei und Fraktion war Herben wiederholt vorgeworfen worden, er sei den Politikern anderer Parteien gegenüber zu nachgiebig gewesen. Dadurch habe er für die LPF weniger erreicht, als möglich gewesen wäre.

Wer Herben jetzt als Fraktionschef nachfolgen wird, ist noch unklar. Die besten Karten scheint derzeit Harry Wijnschenk zu haben. Der 38jährige war bisher Fraktionssprecher der LPF. Er war einer der schärfsten Kritiker Herbens während der Koalitionsverhandlungen und verfügt über wichtige Kontakte in der niederländischen Wirtschaft und Politik. Aber auch der 55jährige Frits Palm hat gute Chancen. Er verfügt über das Vertrauen nahezu aller LPF-Mitglieder. Palm ist Wirtschaftswissenschaftler und war von 1986-1992 Vorsitzender des niederländisch-antillianischen Wirtschaftsverbandes.

Jan Peter Balkenende (CDA) zeigte am letzten Wochenende Verständnis für die Personalprobleme in der Koalitionspartei. Die LPF sei eine neue Partei, deren Mitglieder ihr Verhältnis zueinander noch bestimmen müßten. "Das gelingt nicht von einem Tag auf den anderen, und wenn es dann einmal daneben geht, so sollte man dafür Verständnis aufbringen", so Balkenende.

Hatte der Hamburger Roland Schill seine Partei Rechtsstaatlicher Offensive neulich noch vor "Glücksreitern und Opportunisten" gewarnt, so hat auch die LPF mit einer hohen Zahl von Mitgliedern zu kämpfen, die ihre Partei in den letzten Monaten durch Ungeschicktheit oder Unerfahrenheit in Verlegenheit gebracht haben. So mußte die LPF-Staatssekretärin für Familienpolitik und Emanzipation kurz nach ihrer Vereidigung zurücktreten, weil sie falsche Angaben über ihre Vergangenheit gemacht hatte. LPF-Fraktionsvize Ferry Hoogendijk (68) ist seit Wochen mit der Beschwörung kleiner und großer Krisen innerhalb seiner Partei beschäftigt.

Die Partei braucht dringend einen neuen, klare Sprache redenden Vorsitzenden, um in der Öffentlichkeit wirksam und geschlossen auftreten zu können. Sonst droht die Partei ihren Ruf als führungslosen und zerstrittenen Haufen zu bestätigen. Schon jetzt drohen viele Wähler sich von der Partei, die im Wahlkampf überzeugend die Hinterzimmerpolitik und politische Korrektheit der etablierten Parteien an den Pranger gestellt hatte, abzuwenden. Die Zukunft der Liste Pim Fortuyn - wie der Schill-Partei - hängt von ihrer Geschlossenheit und Leistungsfähigkeit ab.


 
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