© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/02 23. August 2002

 
Deichgrafen der Nation
Wie sich die Flutereignisse in Politik und Gesellschaft darstellen
Carl Gustaf Ströhm

Ich bin stolz auf unser Land!" Mit diesen Worten kommentierte Georg Danzer, der sonst jeglichen Patriotismus ablehnt, die Ereignisse um das Jahrhundert-Hochwasser in Österreich. Und der Austro-Pop-Sänger war nicht der einzige: eine ganze Reihe von "Stars" der Unterhaltungsindustrie entdeckt angesichts des Dramas ihre patriotische Ader und bekannte sich zu ihrer Heimat Österreich, die unlängst noch wegen Haider und angeblicher Fremdenfeindlichkeit - gerade auch von der eigenen Szene - geschmäht und bestenfalls mit naserümpfenden Vorbehalten erwähnt worden war.

Ähnliches ließ sich in den deutschen Katastrophengebieten erkennen. Hier versuchte Kanzler Schröder in die Rolle eines "Deichhauptmanns" der Nation zu schlüpfen, was ja ganz im Trend der verzweifelt rudernden SPD-Wahlpropaganda ("der deutsche Weg") liegen dürfte. Wie ja auch die Einberufung einer "mitteleuropäischen" Hochwasserkonferenz nach Berlin (mit Wiener, Prager und Preßburger Beteiligung) die zentrale Rolle Deutschlands unterstreichen sollte. Wäre nicht Wahlkampf und die SPD nicht jene Partei, die in der Zuwanderungsfrage und beim"Kampf gegen Rechts" jede nationale Empfindung hatte vermissen lassen - man könnte fast an ein Damaskus des angeschlagenen Kanzlers glauben.

Angesichts der Flutkatastrophe zeigte sich aber, daß in wohl allen beteiligten Staaten die etablierten und von den Medien gehätschelten Spitzenpolitiker auf eine Statisten- und Kommentatorenrolle reduziert wurden. Statt ihrer tauchte, buchstäblich aus dem Schlamm zwischen den überschwemmten Häusern, ein ganz anderer, meist weder besonders "telegener" noch politisch "durchgestylter" Menschentyp auf: da wurden mit einem Male vierschrötige Dorfbürgermeister, biedere Gendarmerie- und Polizeibeamte und Kommandanten der örtlichen freiwilligen Feuerwehr zu Strategen der Hochwasser-Abwehr und zugleich zu Lebensrettern.

Sie allein verkörperten jetzt "vor Ort" die Staatsautorität. Zwischen den Sandsäcken und Wasserpumpen war der Wille dieser einfachen Leute oberstes Gesetz - und, was vielleicht noch bemerkenswerter war: die Bevölkerung akzeptierte diese neue und improvisierte "Führung".

Man hat die schier übermenschliche Leistung etwa der österreichischen freiwilligen Feuerwehrleute mit der legendären New Yorker Feuerwehr am 11. September verglichen. Allerdings gibt es da einen gravierenden Unterschied: die freiwilligen Feuerwehrleute in Österreich und Deutschland sind keine Profis, sondern leisten ihren Dienst buchstäblich um Gottes Lohn. Oft selber bis in Brusthöhe im reißenden Wasser, wußten diese Menschen, die im Zivilberuf Handwerker, kleine Geschäftsleute, Angestellte oder Bauern sind, daß sie außer einem symbolischen "Dank des Vaterlandes" und möglichen gesundheitlichen Spätfolgen nichts zu erwarten hatten. Man ist versucht den "nicht zeitgemäßen" Friedrich Schiller zu zitieren: "Und setzet ihr nicht das Leben ein / nie wird euch das Leben gewonnen sein."

In der globalisierten "Gesellschaft" unserer Tage schienen Wertvorstellungen wie Gemeinschaftssinn, Opferbereitschaft, Heimatverbundenheit und Vaterlandsliebe der Vergangenheit anzugehören. Plötzlich aber waren sie in der Not wieder da. Mit einem Male war der zynische Spruch "Jeder für sich und Gott für alle" obsolet. Aus den nicht direkt betroffenen Gebieten setzten sich die dortigen freiwilligen Feuerwehren in Bewegung - und mit ihnen ein Strom von freiwilligen Helfern. Viele von ihnen stiegen einfach ins Auto und fuhren aus dem eigenen sicheren Haus in Richtung Hochwasser los. Und dann stand, wie eine Bäuerin aus einem der verwüsteten Höfe in Niederösterreich berichtete, plötzlich ein Dutzend junger Leute vor dem ramponierten Anwesen - Menschen, die sie vorher nie gesehen hatte - und sagten nur, sie wollten bei der Evakuierung von Geräten und Vieh behilflich sein.

Den älteren Jahrgängen kamen die schlimmsten Jahre in den Sinn - 1945 und 1946. Damals waren die Deutschen so nah zusammengerückt, wie nie zuvor und nie nachher in ihrer Geschichte. Es wurde geteilt, was man hatte; man hielt zusammen. Erst mit dem Wohlstand verwandelte sich die "Gesellschaft" in eine "seelische Tiefkühltruhe".

Natürlich soll man nicht idealisieren: neben leuchtenden Beispielen der Selbstlosigkeit und - man kann getrost sagen - des Heldentums gab es auch Katastrophentouristen und gelegentlich sogar Plünderungen. Aber das ändert nichts am Gesamtbild. Dieses aber zeigt, daß die Nation auf ihrer elementaren Ebene intakt ist und daß sich besonders die "kleinen Leute" ein sicheres Gefühl für Gemeinschaft und Zusammenhalt bewahrt haben - trotz des täglich über sie hereinprasselnden medialen Feuerwerks.

In Österreich, wo die Landeshauptmänner der betroffenen Bundesländer angesichts der Flut zeigten, daß sie ihre Amtsbezeichnung durchaus zu Recht führen, kam von dem niederösterreichischen Landeshauptmann Pröll und seinem oberösterreichischen Kollegen Pühringer - sogar der Vorschlag, Arbeitslose zum Einsatz in den Katastrophengebieten zu mobilisieren. Und siehe da - es gab keinen der sonst üblichen Proteste. Denn es ist wieder "in", stolz auf das eigene Land zu sein.


 
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