© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/02 16. August 2002

 
Ali für Fortgeschrittene
Kino: Nicht dem Publikum zuliebe hat Michael Mann das Leben einer Legende verfilmt
Silke Lührmann

Muhammad Ali ist das, was man in den USA als house hold name bezeichnet: ein Mann, dessen Erfolgsgeschichte weit über die Grenzen seines sportlichen oder nationalen Kontextes hinaus für unzählige Menschen eine ganz persönliche Bedeutung hat. Nicht nur Norman Mailer ("The Fight", 1975), auch Jan-Philip Reemtsma ("Mehr als ein Champion", Rowohlt 1997) hat das Phänomen Ali zu erschreiben versucht (und feststellen müssen, daß Wortgewandtheit ein erbärmlicher Ersatz ist für das Geschick, wuchtige Fausthaken zu ducken und auszuteilen). In Deutschland gibt es Menschen, die sich mit leuchtenden Augen erinnern, wie sie als Schuljungen mitten in der Nacht aufstehen durften, um die Kämpfe live am Bildschirm zu verfolgen.

Wie kein anderer verkörpert er - zerschunden und siegreich - den Stolz eines geknechteten Volkes, um es politischer und weniger kitschig zu sagen: den Kampf der schwarzen Amerikaner um Anerkennung der gesellschaftlichen und kulturellen Leistungen, die sie zur Geschichte ihrer Zwangsheimat beigetragen haben. Diesen Kampf machte er sich ausdrücklich zu eigen, als Malcolm X. ihn als Mitglied der Glaubensgemeinschaft "Nation of Islam" rekrutierte, die Weiße als "Teufel" bezeichnet und Martin Luther Kings gewaltlosen Widerstand ebenso ablehnt wie das Bemühen der Bürgerrechtsbewegung um Versöhnung.

Zweifelsohne zählt Muhammad Ali zu den Symbolfiguren des 20., des "amerikanischen" Jahrhunderts. Daß er an seinem Ausgang - bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta - zum Fackelträger, zum Prometheus werden durfte, war bewegend, aber auch ironisch. Als er 1960 mit olympischem Gold aus Rom nach Louisville, Kentucky heimkehrte, durfte er seinen Sieg nur in "farbigen" Bars feiern.

Fünf Jahre später mußte er sich als Vaterlandsverräter beschimpfen lassen - seines Bekenntnisses zur "Nation of Islam" und seiner Freundschaft mit Malcolm X. wegen und weil er den Wehrdienst in Vietnam verweigert hatte, aus religiösen Gründen, die vor allem politische waren. "No Viet Cong ever called me a nigger!" sagte er: "Kein Vietcong hat mich je Nigger genannt!" Seine Verurteilung zu einer fünfjährigen Gefängnisstrafe machte der Oberste Gerichtshof rückgängig, den Weltmeistertitel, den ihm der Boxverband mit dem Entzug seiner Lizenz aberkannt hatte, mußte er sich selber zurückerobern.

Von dieser Kraftprobe handelt, grob gesagt, Michael Manns Film. Muhammad Ali ist nicht das erste Großmaul, das Mann auf die Leinwand gebracht hat: 1986 machte der Regisseur mit "Manhunter" auf sich aufmerksam. Dem ersten und besten Film über den Kannibalen Hannibal Lecter folgten ehrgeizige Projekte wie "Der letzte Mohikaner" (1992), "Heat" (1995) und "Insider" (1999).

Daß "Ali" ein Augen- und Ohrenschmaus geworden ist, kommt nicht überraschend. Vor allem die Kämpfe sind atemberaubend gefilmt: nicht aus der Perspektive des Zuschauers, und nicht mit jener betont filmischen Dramatik, wie man sie etwa aus Martin Scorseses "Raging Bull" (1980) kennt, sondern als hautnahes Miterleben. Er habe selber einiges abgekriegt bei dem Versuch, den Schauspielern mit seiner winzigen Videokamera im Boxring auf den Fersen zu bleiben, erzählt Mann. Ähnlich fulminant ist die Soulmusik, die durch zehn Jahre aus Alis Leben begleitet: einen Abschnitt, den Mann als ein entscheidendes Stück amerikanischer Kulturgeschichte ansieht. "An seinem Ende, 1974, waren die Weichen für all das gestellt, was heute den Zeitgeist der USA ausmacht."

Damit der Verstand ebenso auf seine Kosten kommt wie die Sinne, sollte man sich allerdings vorher ein wenig in der Zeitgeschichte und Populärkultur auskennen, um nicht von den wirbelnden Bildern, dem Tempo der Orts- und Szenenwechsel k. o. geschlagen zu werden. "Ali" ist nichts für Anfänger, und Mann nimmt wenig Rücksicht auf seine Zuschauer. Fast scheint es, als habe er den Film gar nicht dem Publikum, sondern dem seit 1984 an Parkinson leidenden Ali zuliebe gedreht, um ihn die Höhen und Tiefen seiner Laufbahn noch einmal durchleben zu lassen. Begeisternd auch, wie Will Smith - der Rapper "Fresh Prince", der in seiner bisherigen Film- und Fernsehlaufbahn eher als Komiker denn als Schauspieler bestach - in diese überlebensgroße Rolle hineinwächst. (Und schade, daß seine perfekte Wiedergabe von Muhammad Alis Tonfall und Stimmlage in der deutschen Synchronisation verlorengehen muß!)

Nur ganz am Anfang bietet Mann dem Publikum eine Jahreszahl zur Orientierung an: Es ist 1964, Sam Cooke (David Elliott) singt "Bring it on home to me", und Muhammad Ali, der noch Cassius Clay heißt und sich kurz danach in Cassius X. umbenennt, weil Clay sein Sklavenname ist, besiegt Sonny Liston im Kampf um die Weltmeisterschaft im Schwergewicht.

Fans werden die in den Mythos Muhammad Ali eingegangenen Momente wiederfinden: die verbalen Schlagabtäusche, die er sich mit dem Sportreporter Howard Cosell (Jon Voight) lieferte, sein Entzücken, in einer Maschine mit rein schwarzer Besatzung zu fliegen - "Zu Hause in den Südstaaten traut man uns nicht mal zu, Busse zu fahren!" -, das Gerangel um Alis Gunst und Alis Seele zwischen seinem christlichen Elternhaus, dem flamboyanten Betreuer Drew "Bundini" Brown (Jamie Foxx), der sich scherzhaft einen "schwarzen Juden" nannte, und der "Nation of Islam". Nicht nur die Weisheit des Korans hatte ihm deren Vorsitzender Elijah Muhammad auf den Weg gegeben, sondern auch den eigenen Sohn Herbert als Manager.

Nirgends greift Mann auf das reichlich vorhandene Dokumentationsmaterial zurück, verwendet Zeitungsausrisse, Schlagzeilen oder Mitschnitte aus dem Fernsehen. So entsteht ein kohärentes Kunstwerk, das um so lebensechter wirkt, weil es, statt Authentizität zu behaupten, nur der Autorität des Regisseurs bedarf. Es verstärkt sich aber auch der Eindruck, "Ali" sei keine öffentliche, sondern eine private, persönliche Hommage. Fehler hat Manns Hauptfigur keine, Zweifel so gut wie nie. Daß er den vier Frauen, die ihn durch sein Leben begleiteten, nicht immer ein vorbildlicher Ehemann war, wird einmal kurz angedeutet, und die Niederlage 1971 gegen Joe Frazier (James Toney) ist im Nu vergessen.

Das letzte Drittel des zweieinhalbstündigen Films ist dem "Rumble in the Jungle" gewidmet, Alis Kampf gegen den Frazier-Bezwinger und Titelverteidiger George Foreman im Kongo, der damals Zaire hieß und seit 1965 unter der Herrschaft des Diktators Mobutu stand. Zur Vor- oder Nachbereitung sei Leon Gasts hervorragender Dokumentarfilm "When We Were Kings" (1996) empfohlen. Gast kombiniert Originalaufnahmen aus Kinshasa und Interviews mit inzwischen ergrauten Journalisten, die 1974 dabeiwaren: Cosell, Mailer, George Plimpton. Um den internationalen Ruf seines Regimes zu verbessern, zahlte Mobutu je fünf Millionen US-Dollar für die beiden Boxer. Don King, die schillerndste Gestalt in der amerikanischen Boxarena, organisierte ein Medienspektakel sondergleichen, und Muhammad Ali wurde zum Volkshelden der Einheimischen.

So triumphal verharrt "Ali" - ein Jahr vor dem "Thrilla in Manila" gegen Frazier -, um mit einer knappen Notiz aus dem Ring in den Ruhestand zu weisen. "Ich sah ihn und war stolz auf mein Leben", soll Muhammad Ali über diesen Film gesagt haben.

Fototext: Kampf um die Weltmeisterschaft: Mit einem überraschenden K.O.-Sieg in der achten Runde gegen Titelverteidiger George Foreman holte sich Muhammad Ali (l.) am 30. Oktober 1974 in Kinshasa (Zaire) den Titel des Boxweltmeisters im Schwergewicht zurück.


 
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