© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/02 16. August 2002

 
Legitimation aus der kommunistischen Tito-Ära
Slowenien: Im Gegensatz zu den Opfern der Prager Benes-Dekrete können die Betroffenen der Avnoj-Dekrete auf symbolische Entschädigung hoffen
Carl Gustaf Ströhm

In das Problem der sogenannten Avnoj-Dekrete scheint doch etwas Bewegung zu kommen. Dabei handelt es sich um jene Dekrete des "Antifaschistischen Rats für die Volksbefreiung Jugoslawiens" (abgekürzt Avnoj), durch welche das jugo-kommunistische Regime Titos den Angehörigen der deutschen Volksgruppe im April 1945 kollektiv die jugoslawische Staatsbürgerschaft aberkannte. Bereits im November 1944 war per Dekret "das gesamte Vermögen des Deutschen Reichs und seiner Staatsbürger auf dem Gebiet Jugoslawiens" sowie "alles Vermögen von Personen deutscher Volkszugehörigkeit" enteignet worden.

Seit dem Sturz des Kommunismus und dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens ist die kollektive Entrechtung und Enteignung zum politisch brisanten Thema geworden. Es geht dabei nicht allein um die "Volksdeutschen", die bei ihrer Flucht, Vertreibung und nicht selten Ermordung beträchtliche Vermögenswerte zurückließen. Von den Avnoj-Enteignungen waren auch sogenannte einheimische "Kollaborateure", aber auch Italiener (in Istrien) und Ungarn (Vojvodina, Baranya, Übermurgebiet) betroffen.

Hinzu kam noch die Tatsache, daß sich die Nachfolgestaaten Jugoslawiens - vor allem Slowenien, aber auch Kroatien - insofern als Nachfolger des Tito-Staats bzw. seiner Teilrepubliken fühlten, als sie ihre "Ahnentafeln" auf die antifaschistischen (in Wirklichkeit kommunistischen) Wurzeln zurückführten. So entstand eine seltsam widersprüchliche Situation: der Kommunismus als Ideologie und System wurde gestürzt, aber viele Kommunisten blieben in Schlüsselstellungen. In Kroatien hinderte der kurz nach der Unabhängigkeit 1991 ausbrechende serbische Militär- Angriff eine innerkroatische Auseinandersetzung mit der kommunistischen Vergangenheit.

In Slowenien war die Lage noch komplizierter: Hier wurde die Kontinuität zur kommunistischen "Volksrepublik" schon personell besonders deutlich. Bei den ersten Präsidentenwahlen gaben die Slowenen ihre Stimme nicht dem aus bundesdeutschem Exil heimgekehrten antikommunistischen Sozialdemokraten Joze Pucnik, sondern dem letzten kommunistischen Parteichef Milan Kucan, der um sich bald eine ganze Plejade ehemaliger KP-Funktionäre scharte. Nach einem kurzen bürgerlich-christdemokratischen Zwischenspiel kam auch die Laibacher Regierung in die Hände von Leuten aus dem KP-Establishment.

Der jetzige Ministerpräsident und künftige Präsidentschaftskandidat Janez Drnovsek ist ein typisches Beispiel für diese gewendete Nomenklatura-Schicht. Ebenso bezeichnend ist, daß die regierende Liberaldemokratische Partei aus dem seinerzeitigen KP-Jugendverband hervorgegangen ist.

Die Republik Slowenien bezieht ihre Legitimation und ihr Selbstverständnis aus der Nachfolge der seinerzeitigen "Sozialistischen Republik Slowenien". Präsident Kucan hat noch bis vor kurzem die Avnoj-Dekrete mit dem Argument verteidigt, sie stellten gewissermaßen ein konstitutives Element slowenischer Staatlichkeit dar: der Staat Slowenien sei seinerzeit aus diesem Erbe entstanden - und folglich könne es auch keine Distanzierung oder Außerkraftsetzung der Avnoj-Dekrete geben.

Natürlich ist diese Version in Slowenien nicht unumstritten. Die bürgerlichen, antikommunistischen und katholischen Kräfte im Land wiedersetzen sich dieser These. Die von einer jungen Generation slowenischer Journalisten herausgegebene Laibacher Wochenzeitung Demokracija bezeichnete jüngst die Kommunistische Partei als "größte Verbrecherorganisation" der slowenischen Geschichte.

In zahllosen Gedenkfeiern und Gottesdiensten gedenken Tausende von Slowenen der Opfer kommunistischer Gewalt. Die von Kucan forcierte "linke" - teils sogar "titoistische" - Legitimität des heutigen Slowenien ist also von innen bereits heftig umstritten.

Von außen tritt nun auch ein gewisser europäischer Druck hinzu. Slowenien muß seine offenen Eigentumsfragen klären und die Privatisierung seiner Wirtschaft beschleunigen. Die Avnoj-Dekrete und das Vermögen der Volksdeutschen sind dabei nur ein - wenn auch nicht unwesentlicher - Teilaspekt. Die US-Regierung, aber auch zahlreiche im Westen zu Wohlstand gelangte slowenische Emigranten drängen auf klare Verhältnisse. Die katholische Kirche verlangt ihr sozialisiertes Eigentum zurück - und der Versuch slowenischer Linkskreise, dies unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Klerikalismus zu hintertreiben, verspricht auf die Dauer keinen Erfolg und schafft im Ausland böses Blut. Slowenien ist aber beim bevorstehenden Beitritt zur EU und Nato auf den guten Willen seiner westlichen Partner angewiesen.

Unter den "Technokraten" in den Laibacher Ministerien mehren sich die Stimmen, die für eine pragmatische Lösung plädieren, bis hin zu einer symbolischen Entschädigung für gewisse Enteignungen. Allerdings besteht hinsichtlich der Volksdeutschen Alt-Österreicher kein Anlaß zu übertriebenem Optimismus. Mehr als symbolische Gesten wird man kaum erzielen können. Auch sind für Antragsteller volksdeutscher Herkunft oder deren Erben einige formaljuristische Fallstricke eingebaut - etwa wird der Nachweis verlangt, daß der Enteignete seinerzeit loyal gegenüber Jugoslawien war - obwohl dieser Staat während des Zweiten Weltkrieges von 1941 bis 1945 gar nicht existierte.

Andererseits möchte Slowenien aus ureigenstem Interesse nicht mit Tschechien und den Benes-Dekreten in einen Topf geworfen werden. Auch dabei ist das deutsche Eigentum nur ein Teilaspekt: die aus dem heute slowenischen Teil Istriens (Koper-Capodistria) vertriebenen Italiener melden ihre Ansprüche an. Die Laibacher Führung weiß, daß sie sich keinen "Mehrfrontenkrieg" gegen italienische und österreichische Interessen und dann noch Grenz- und Vermögenskonflikte mit ihren Nachbarn sowie Ärger um das Atomkraftwerk Krsko mit Kroatien leisten kann. Doch noch kann niemand verbindlich sagen, ob die Avnoj-Dekrete wirklich "tot" sind. Der Test hat gerade erst begonnen.


 
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