© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/02 16. August 2002

 
Garanten des Mißerfolges
CDU Niedersachsen: Auf dem Landesparteitag wurde die bisherige Führung wiedergewählt/ Neuer Generalsekretär wurde der 31jährige David McAllister
Peter Freitag

Die niedersächsische Union präsentierte sich auf ihrem Landesparteitag am letzten Wochenende in Celle betont euphorisch und siegesgewiß. Getragen von hohen Umfragewerten für die Bundestagswahl sind die Christdemokraten nun zuversichtlich, im Februar nächsten Jahres endlich wieder die Mehrheit im Hannoverschen Landtag zu erringen. Dazu müssen sie neben Optimismus auch Geschlossenheit zeigen, und so stärkten die Delegierten "anstelle sich in inhaltlich kontroverse Debatten zu stürzen" mit einem Wahlergebnis von 94 Prozent ihrem Vorsitzenden Christian Wulff bei der turnusgemäßen Vorstandswahl den Rücken. Seine Stellvertreter, die Bundestagsabgeordneten Friedbert Pflüger, Martina Krogmann und Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, wurden ebenfalls ohne Gegenkandidaten wiedergewählt.

In Höchststimmung versetzte den Parteitag allerdings eine andere Personalentscheidung: Annähernd einstimmig wurde am Freitag der mit 31 Jahren jüngste Landtagsabgeordnete David McAllister zum neuen Generalsekretär der Landes-CDU gewählt. Der versierte Rhetoriker aus Bad Bederkesa bei Cuxhaven erntete für seine Redebeiträge stürmischen Beifall und stehende Ovationen. Diese Vorschußlorbeeren sind nicht zuletzt Ausdruck der Hoffnung, in dem Deutschschotten werde endlich wieder ein für den Wahlkampf unabdingbarer Angriffsgeist personifiziert, der gerade beim Vorsitzenden oft schmerzlich vermißt wurde.

Für McAllister ist die Wahl ein weiterer Höhepunkt in seiner Bilderbuchkarriere: Abitur, Zeitsoldat, Jurastudium und seit 1998 Landtagsabgeordneter. Dem CDU-Ehrenvorsitzenden Wilfried Hasselmann ähnlich, verfügt er über die Kunst, Versammlungen zum Kochen zu bringen, auch um den Preis inhaltlicher Unbestimmtheit. Denn "Mac", der in zurückliegenden JU-Zeiten gern als rechtes enfant terrible den damals liberalen Vorstand reizte ("Ich bin Criticón-Abonnent"), aß innerparteilich Kreide und ordnete sich dem Landes- und Fraktionsvorsitzenden unter.

Man mag der niedersächsischen Union, die seit der Landtagswahl 1990 und dem damit einhergehenden Sieg Gerhard Schröders durch ein zwölf Jahre andauerndes Tal der Tränen geht, eine derartige Hochstimmung ja gönnen; indes sind die Grundlagen derselben kaum hausgemacht, vielmehr abhängig von der rot-grün-feindlichen Stimmung bundesweit. Auch die selbstbewußt vorgetragenen Umfragezahlen, nach denen die Union in Niedersachsen schon vor der SPD liegt, sogar die Tatsache, daß die Christdemokraten in der Summe bereits während der Kommunalwahlen im letzten Jahr zur stärksten Kraft wurden, täuschen nicht darüber hinweg: vom Ziel, wieder eine "Niedersachsenpartei" wie in der Ära Albrecht/Hasselmann zu werden, ist die Wulff-Truppe weit entfernt.

"Wir brauchen Politiker und keine Verbrecher!"

Aus Gesprächen mit CDU-Mitgliedern der mittleren Funktionärsebene ergibt sich denn auch ein ungeschminktes Bild von den Zuständen zwischen Ems und Elbe. So ist zum Beispiel auffällig, daß sich kein einziger Niedersachse im "Kompetenzteam" des Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber befindet. Nach einem Wahlsieg der Union am 22. September spielt die niedersächsische Landesgruppe im Bundestag (zur Zeit immerhin 24 Abgeordnete) höchstens die zweite Geige. Zwar wird in Hannover die Hoffnung genährt, der Außen- und Europapolitiker Pflüger könnte einen Staatsministerposten erhalten. Doch in CSU-Kreisen macht man aus der Abneigung gegen den früheren Weizsäcker-Intimus, der Anfang der neunziger Jahre enervierend gegen einen vermeintlichen Rechtsruck zu Felde zog ("Deutschland driftet") und der sich heute als überzeugter Transatlantiker zu profilieren versucht, keinen Hehl. So äußerte CSU-Landesgruppenchef Glos in bierseliger Laune am Rande des CDU-Bundesparteitags gegenüber einer jungen CDU-Frau aus Niedersachsen, nachdem diese ihn nach einer möglichen Verwendung Pflügers im Unionskabinett fragte: "Wir brauchen Politiker und keine Verbrecher!"

Für den Bereich Landwirtschaft bevorzugte Stoiber in seiner Mannschaft den Schleswig-Holsteiner Harry Carstensen anstelle von Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, dem agrarpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion. Im übrigen zählt Ronsöhr auch nur als "halber" Niedersachse; denn auf Bundesebene ist Ronsöhr Braunschweiger. Die CDU-Niedersachsen ist nämlich kein Landesverband im herkömmliche Sinne, sondern eine Sammlung von Bezirksverbänden und "in Anlehnung an die Gebietsstände bis 1946" den beiden Landesverbänden Oldenburg und Braunschweig, die im Rahmen der Bundes-CDU eigenständig sind.

Mindestens zwei niedersächsische Bundestagskandidaten wurden zudem auf guten Listenplätzen abgesichert, für deren Nominierung nicht gerade Kompetenzgründe, sondern eher eine parteiinterne "Belobigung" im Vordergrund standen. So darf der Listenplatz sechs für Rita Pawelski als Entschädigung dafür zu verstehen sein, daß sie sich letztes Jahr zu einer "erfolglosen" Kandidatur um das Amt des Hannoveraner Oberbürgermeisters zur Verfügung gestellt hatte. Und Hartwig Fischer, der als Kandidat im Wahlkreis Göttingen Rita Süssmuths Nachfolge antritt, soll mit dem Fahrschein nach Berlin der Abtritt vom Amt des Generalsekretärs versüßt werden. Auf diesem Posten konnte er sich seit 1986 halten, obwohl in seine Amtszeit drei Wahlniederlagen fielen. Wäre er widerwillig aus diesem Amt geschieden, hätte die CDU wegen seines Arbeitsvertrags horrende Übergangsgelder zahlen müssen, wurde in Unionskreisen gemunkelt.

Zweimal hat Christian Wulff schon eine Wahl verloren

Sein sich in Celle kämpferisch gebender Nachfolger McAllister mußte offensichtlich auch erst durch Christian Wulff zur Amtsübernahme weich geknetet werden. Der Amtsantritt noch vor der Landtagswahl ist mit einigem Risiko verbunden. So gab es Stimmen in der Führungsriege, die einer Zwischenlösung als Übergang von Fischer zu McAllister das Wort redeten: Ihrer Meinung nach hätte ein älterer Abgeordneter das Amt des Generalsekretärs bis zum Februar 2003 zunächst übernehmen sollen, der dann nach Sieg oder Niederlage den Platz im Rahmen eines Generationenwechsels ohne Ansehensverlust hätte räumen können. Denn ein Sieg gegen die SPD des Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel ist noch keineswegs in trockenen Tüchern.

Noch im vergangenen Jahr legte McAllister am Rande des Niedersachsentags der Jungen Union in Hameln den Finger in die Wunde, indem er sich über die ihm aus eigener Anschauung vertraute Schwachstelle der Landes-CDU äußerte: die Zustände in der Landtagsfraktion. Hoffnungslos zerstritten, nur wenige Kompetente, ein oftmals autoritär agierender Wulff und "die Frauenriege trostlos", beklagte sich der Jung-Politiker, der dem Ausschuß für Jugend und Sport vorsteht, im kleinen Kreis hinter verschlossenen Türen.

Zu den fachlich versierten Hoffnungsträgern in der Fraktion, die Wulff augenscheinlich in ein eigenes "Kompetenzteam" vereinigen will, gehören der derzeitige Fraktionsgeschäftsführer Uwe Schünemann, dem die Übernahme des Innenressorts zugetraut wird, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Bildungspolitiker Bernd Busemann und der Finanzexperte Hartmut Möllring. Allerdings hat es die CDU in den letzten Jahren nicht geschafft, sich inhaltlich deutlich gegenüber der SPD-Landesregierung zu profilieren. Und Ministerpräsident Gabriel versteht es meisterlich, trotz einer zum Teil desolaten Regierungsbilanz, der Union den Wahlkampfwind aus den Segeln zu nehmen. So tritt zum Beispiel die SPD für die Abschaffung der Orientierungsstufe als eigenständiger Schulform an (eine alte Forderung der CDU), Wissenschaftsminister Thomas Oppermann überholt die CDU in punkto neoliberale Reformen des Hochschulsystems (wozu die CDU mit Heidemarie Mundlos auch kein fachliches Äquivalent bieten kann), und der Innenminister Heiner Bartling tritt glaubhaft als asketischer Reserveoffizier auf und nahm die wesentlichen Polizeirechtsreformen aus rot-grüner Regierungszeit in Niedersachsen bis 1994 längst wieder zurück.

Trotz der nach außen zur Schau gestellten Geschlossenheit auf dem Parteitag, lassen sich immer wieder auch Stimmen vernehmen, die den Führungsstil des Landesvorsitzenden Wulff kritisieren. Er wirke, so heißt es, schon wieder oder immer noch unnahbar, wer bei ihm in Ungnade gefallen sei, werde mit Grußverweigerung gestraft und manch einer will gar Allüren wie beim späten Helmut Kohl erkennen, der auch nur noch Ja-Sager um sich geduldet habe. In seinem Mißtrauen potentiellen Konkurrenten gegenüber zeige sich die Dünnhäutigkeit des Osnabrückers.

Sie ist gewiß verständlich, denn für Wulff geht es im nächsten Februar um alles; eine dritte verlorene Wahl würde er politisch nicht mehr überstehen. Zumal er der letzte der "Jungen Wilden" ohne Regierungsamt ist; nach Roland Koch und Peter Müller schaffte es letztes Jahr sogar der blasse Ole von Beust noch auf den Chefsessel in einem Kabinett. Selbst im Falle eines Unionswahlsieges im September hat Wulff Grund zu Befürchtungen: So plädierte er mit dem Hinweis auf die Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen im Februar 2003 vehement dafür, unpopuläre Reformen auf Bundesebene nicht vor diesen Wahlterminen in Angriff zu nehmen. Friedrich Merz jedoch - Repräsentant der Befürworter einschneidender Reformen - soll Wulff im Parteipräsidium abgekanzelt haben mit den Worten: "Roland wird die Wahl in Hessen sowieso gewinnen!" Zwischen den Zeilen bedeutet dies: Die Bundestagsfraktion sieht keine Notwendigkeit, auf den wackeligen Kandidaten im Leineschloß Rücksicht zu nehmen.

Immerhin konnte Christian Wulff eine offene Rechnung mit einem parteiinternen Kritiker auf dem Parteitag noch begleichen: Der ehemalige JU-Vorsitzende Gerold Papsch, der im Februar vorigen Jahres in einem Interview gegenüber der jungen freiheit mit Kritik an der mangelnden Profilierung der Mutterpartei nicht hinter dem Berg gehalten hatte, fiel bei der Wahl für einen Beisitzerposten im Landesvorstand durch.


 
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