© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/02 09. August 2002

 
Vom Leben trennt dich Schloß und Riegel
DDR-Unrecht II: Das tragische Schicksal der Dichterin Edeltraud Eckert
Matthias Bath

Die mehr als 200.000 politischen Häftlinge der DDR zwischen 1940 und 1989 stellen ebenso viele persönliche Einzelschicksale dar. Unter diesen ist das Leben der jungen Dichterin Edeltraud (Traudl) Eckert ein besonders tragisches.

Edeltraud Eckert wurde am 20. Januar 1930 in Hindenburg/Oberschlesien nahe der damaligen polnischen Grenze geboren. 1945 flüchtete ihre Familie vor der herannahenden Roten Armee zu Verwandten nach Brandenburg an der Havel, wo Edeltraud Eckert die Oberschule besuchte und im Juli 1949 das Abitur bestand. Wie viele ihrer Generation hatte sie nach dem Zusammenbruch 1945 trotz des Verlusts der Heimat und selbst erlebter sowjetischer Besatzungsgreuel zunächst an einen neuen Anfang und eine bessere friedliche Zukunft auf der Grundlage der Ideen der sowjetischen Sieger geglaubt. 1946 trat sie der neugegründeten Freien Deutschen Jugend (FDJ) bei, die damals noch den Schein der Überparteilichkeit wahrte und übernahm dort die Leitung der FDJ-Gruppe an ihrer Schule.

Der Literatur, Dichtkunst und Musik zugewandt, bewarb sie sich im Sommer 1949 für ein Lehrerstudium und wurde zum 1. Oktober 1949 an der Berliner Humboldt-Universität zum Studium der Germanistik und Pädagogik zugelassen. Zugleich zog sie mit einer Freundin zusammen nach Potsdam-Eiche.

Durch Gespräche mit Kommilitonen, aber auch mit Freunden in Rathenow erfuhr Edeltraud Eckert im Herbst 1949 von der Fortführung der NS-Konzentrationslager durch die sowjetische Besatzungsmacht, die noch nach Gründung der DDR als sogenannte "Schweigelager" existierten. Als sie von den schrecklichen Erlebnissen einer ehemaligen Inhaftierten des sowjetischen Lagers Buchenwald erfuhr, brach für Edeltraud Eckert eine Welt zusammen. 1945 hatte sie mit Entsetzen gehört, wie man unter den Nationalsozialisten mit den Menschen in den Lagern umgegangen war. Nunmehr mußte sie feststellen, daß das unfaßbare Unrecht seine Fortsetzung unter anderen Vorzeichen gefunden hatte.

Edeltraud Eckert war nicht bereit, hierüber hinwegzusehen. Wenn die Studenten es nicht wagten, das Unrecht allgemein bekanntzumachen, wer sollte es sonst tun? Sollte es etwa eines Tages wieder heißen, man habe ja von allem nichts gewußt?

Dieser Meinung waren auch ihre Freunde in Rathenow. Gemeinsam nahm man im November 1949 Kontakt zur West-Berliner "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" (KGU) auf, um von dort Informationsmaterial gegen die Rechtlosigkeit und die Konzentrationslager in der DDR zu erhalten.

Edeltraud Eckert übernahm es als Kurier, Material von der KGU in West-Berlin zu übernehmen und nach Rathenow zu bringen, wo es ihre Freunde verteilten. Im Frühjahr 1950 wurden alle Beteiligten verhaftet und von den DDR-Behörden an die sowjetischen Sicherheitsorgane überstellt. Es folgten Wochen schwerster Verhöre und Mißhandlungen. Am 29. Juli 1950 wurde Edeltraud Eckert von dem sowjetischen Militärtribunal in Potsdam nach sowjetischem Recht zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt.

Im Herbst 1950 zur Strafverbüßung an die DDR-Behörden zurücküberstellt, kam Edeltraud Eckert zunächst in die Strafanstalt Waldheim in Sachsen, wo sie bis März 1954 bleiben sollte.

Bereits vor ihrer Inhaftierung hatte Edeltraud Eckert gelegentlich Gedichte verfaßt. Unter dem Leidensdruck der Haft und äußersten Unfreiheit kam ihr lyrisches Talent zum Durchbruch. Schon in der Potsdamer Untersuchungshaft entstanden erste Gedichte; zunächst freilich nur im Kopf, denn zu Papier bringen durfte die Gefangene ihre Schöpfungen nicht. Erst im Juli 1953 erhielt sie als Auszeichnung für ihre Mitwirken an Theateraufführungen der Häftlinge im Rahmen der Kulturarbeit der Anstalt und für gute Arbeitsleistungen die Erlaubnis, ihre Gedichte in einem Oktavheft niederzuschreiben. Die seit 1950 entstandenen Gedichte wurden nunmehr in der Reihenfolge ihrer Entstehung schriftlich fixiert.

Nach Ansicht des Berliner Germanisten und Bibliothekars Jürgen Blunck, der 2000 ein Buch über das Schicksal Edeltraud Eckerts veröffentlichte, besitzen diese Dichtungen eine lyrisch-literarische Potenz vergleichbar den Frühwerken so bekannter Dichterinnen wie Annette von Droste-Hülshoff, Ricarda Huch oder Ingeborg Bachmann.

Im Herbst 1953 kam es im Ergebnis der Überprüfung der Verurteilungen der sowjetischen Militärtribunale zu Massenentlassungen aus den Strafanstalten der DDR. Edeltraud Eckert war hiervon nicht betroffen, doch wurde ihr Strafmaß auf acht Jahre herabgesetzt. Im März 1954 wurde sie in das berüchtigte Frauenzuchthaus Hoheneck verlegt. Dort verlor Edeltraud Eckert ihr Waldheimer Privileg zum Führen ihres Gedichtheftes. Die letzten ihrer Gedichte mußten von Mithäftlingen überliefert werden.

Am 25. Januar 1955, wenige Tage nach ihrem 25. Geburtstag, geriet Edeltraud Eckert, die als Nähmaschinenmechanikerin eingesetzt war, mit ihren Haaren in die Transmissionswelle einer Nähmaschine. Nach diesem schweren Arbeitsunfall folgten Wochen des Leidens im Haftkrankenhaus Leipzig-Meusdorf und schließlich in der Chirurgie der Universitätsklinik Leipzig, wo Edeltraud Eckert am 18. April 1955 verstarb.

Ihre Gedichte haben sie überlebt. Das Heft wurde mit dem übrigen Nachlaß Edeltraud Eckerts von den DDR-Gefängnisbehörden ihren Eltern in Brandenburg zugesandt. Als 1958 im Westen Deutschlands mit der Sammlung von Gedichten politischer Häftlinge der DDR begonnen wurde, die 1962 in die Veröffentlichung der Anthologie "Ihr aber steht im Licht" einmündete, waren dort auch sechs Gedichte Edeltraud Eckerts enthalten. 1969 folgte unter dem Titel "Hinter Gittern - ein Mensch. Gedichte" eine Teilausgabe ihrer Dichtungen. Im Jahr 2000 schließlich erschien das Buch von Jürgen Blunck, dessen Titel "Vom Leben trennt dich Schloß und Riegel" einem Gedicht Edeltraud Eckerts vom November 1951 entnommen ist.


 
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