© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/02 09. August 2002

 
Voluminöses Dekor
Salzburger Festspiele: Christian Stückls Neuinszenierung des "Jedermann" mit Veronica Ferres
Timo Fehrensen

Hupverbot: Müßte auf dem Domplatz noch viel strenger gehandhabt werden." Max Reinhardt hat's schon gewußt. Aber es wurde wieder nicht beherzigt. Zumal, was vorbeifahrende Krankenwagen oder drüberwegfliegende Hubschrauber betrifft. Wenn der Jedermann um Hilfe schreit, dann muß auch die Technik noch ein ratterndes Wörtchen mitzureden haben. Aber einen solchen Fluglärm wie in diesem Jahr hat sich Reinhardt bestimmt nicht vorgestellt. Auch nicht, daß auf dem Domplatz mal ein Stück gegeben würde, das der Publikumsresonanz wegen besser "Buhlschaft" hätte heißen sollen. Denn vor allen Dingen Veronica Ferres, Deutschlands barockes Mörder-Weib, hat die Feuilleton-Presse dieses Jahr in Scharen angelockt. Da kann der würdige Bühnenschauspieler Peter Simonischek noch so virtuos seine Todesfahrt antreten. Wenn's Fernsehinteresse geweckt wird, kommt die Theaterstadt Salzburg erst zu eigentlichen Ehren.

Wieder sollte alles neu werden, nach 82 Jahren, Jürgen Flimm, neuer Schauspielchef, hat's versprochen und mit Christian Stückl einen Oberammergau-Spezialisten an die Salzach geholt. Und auch Stückl hat einen wirklich renovierten "Jedermann" versprochen. Jeder Regisseur hat's versprochen. Und immer blieb's beim Pathos und beim Märchenglauben.

Da gab's so viele Jedermänner in der Geschichte. Nach der Uraufführung 1911 im Zirkus Schumann war es schon klar: Alexander Moissi ist der perfekte, in Ekstase und wundervoller Schwermut gefangene reiche Mann, der die Himmelsfahrt antritt. Schon Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) wußte, was er an seinem Protagonisten hatte: "Moissi ist ein Schauspieler von so großer Eigentümlichkeit als nur je einer da war. Er gehört nicht zu den Schauspielern, deren Stärke die Verwandlung ist. Gerade im Gegenteil liegt seine Macht darin, daß er seine Natur rein und zart zum Ausdruck bringt."

Soviel Zartheit gab's denn während der zwanziger Jahre bei den eben gegründeten Salzburger Festspielen. Mit Ausnahme von 1922 bis 1925, als statt des "Jedermann" das Salzburger Große Welttheater gegeben wurde. Es folgte die alljährliche Konvention, zu zeigen, daß reiche Männer nach allen Untaten nur einmal kurz und heftig glauben müssen, um bestimmt in den Himmel zu kommen.

Anfang der 1930er engagierte Max Reinhardt den würdevollen Paul Hartmann, bevor Attila Hörbiger als Naturbursche zeigen konnte, daß man auch die Folklore berücksichtigen darf. Im Dritten Reich wurde das Stück von Hofmannsthal nicht gespielt. Nach dem Krieg gab es ein kurzes Intermezzo vom ernsten Ewald Balser, der 1946 unter Heinz Hilpert den "Jedermann" gab. Danach durfte als "Jedermann" noch mal der urwüchsige Hörbiger ran. Er erfuhr erst aus der Zeitung, daß er abgelöst würde. Und zwar durch den deutschen Bühnen-Schwarm Will Quadflieg, der einen sinnenreichen, selbstbewußten und umjubelten Jedermann gab. Der Nachfolger Walther Reyer durfte unter zwei Regisseuren seinen beeindruckenden Charme spielen lassen - erst unter dem vorübergehenden Hollywood-Heimkehrer William Dieterle, dann unter dem Reinhardt-Sohn Gottfried. Der ließ im modernisierten Hieronymus-Bosch-Rahmen spielen, hat das Spektakel, filmerfahren wie er war, gleich noch auf Zelluloid gebannt.

Leopold Lindtberg engagierte 1969 das westfälische Schwergewicht Ernst Schröder, der einen Ruhrpott-Industriellen in österreichischen Landen gab. Ernst Haeusserman, Regieassistent von Reinhardt, übernahm 1973 die Regie und inszenierte erst mit dem Kraftmenschen Curd Jürgens, danach mit dem Grübler Maximilian Schell, um schließlich beim perfiden Klaus Maria Brandauer zu landen. Nach Haeussermans Tod übernahm Gernot Friedel die Regie für die nächsten zwei Jahrzehnte. Erst wieder mit Brandauer, dann mit dem distanzierten Helmut Lohner. Gert Voss lieferte bestimmt die bis heute schlechteste Version des Jedermann, bis dann in den letzten Jahren Ulrich Tukur den Yuppie der Neunziger spielte.

Und seit je sieht man's in den Nebenrollen, daß sich kein Schauspieler zu schade ist, auch nur ein paar Sätze von sich zu geben. Da gab's die sinnlichen Damen Senta Berger, Nadja Tiller und Lola Müthel als Buhlschaft, Michael Heltau oder Peter Pasetti als guter Gesell, einen Theo Lingen als Dünner Vetter oder als dessen dickes Pendant den humorigen Fritz Eckhardt, der nach eigenem Bekunden nur deswegen die Rolle bekam, weil er im Nachkriegssommer 1947 der fülligste Schauspieler Österreichs war.

Und nun also wieder einmal ein neuer "Jedermann". Denn noch in hundert Jahren wird jemand kommen, der es ganz neu macht - im Geiste Max Reinhardts, und doch wieder ganz anders, weil jeweils im eigenen Geiste, aber bestimmt im Geiste Hofmannsthals. Und so sollte auch Stückl walten. Und doch bleibt's größtenteils gottlob beim Herkömmlichen. Am Anfang eine Kinderschar, die statt des Spielansagers ins anscheinend kindliche Märchen einführt. Der Liebe Gott tritt leibhaftig auf, was bisher lediglich Ewald Balser in dieser Rolle vor drei Jahrzehnten vergönnt war. Während sich sonst der Liebe Gott meist über Tonband meldet, zeigt sich diesmal Hans-Michael Rehberg als alter und tütenbeladener Penner, der schreiend auf göttliches Recht pocht.

Einiges ist umgestellt. Die Buhlschaft läuft diesmal nicht kreischend davon, sondern geht hocherhobenen Hauptes vom Platz. Das Vater Unser ist gestrichen. Dafür spuckt ein wenig Feuer aus dem Bühnenboden. Eine große Treppe wurde aufgebaut, auf der geklettert oder gelegentlich auch mal herumgesprungen werden darf. Marlene Poley sorgt für das voluminöse Dekor. Mit historischen Gewändern, ein wenig Barock dazwischen, sehr farben- und variantenreich, schön anzuschauen. Peter Simonischek: Doch, ein "Jedermann" in allen Gefühlsschattierungen, auftrumpfend bis demütig, fast hätten wir es ja erwartet. Die Buhlschaft von Veronica Ferres: Nicht nur nett anzusehen, sondern auch noch anzuhören. Jennifer Minetti als "Jedermanns" Mutter, nicht frömmlerisch bittend, sondern zänkisch: Warum nicht? Der Tod von Jens Harzer: Auftrumpfend und selbstbewußt, auch das geht (apropos: Der Handschlag des Todes auf Jedermanns Herz folgt erst später als erwartet, noch eine Innovation). Tobias Moretti, von den Österreichern so sehnlich erwartet wie Frau Ferres von den Deutschen: gleich doppelt zu sehen, als aasiger guter Gesell und witziger Teufel. Oswald Fuchs gibt einen wohligen Dicken Vetter, Achim Buch zeigt sich akrobatisch als Dünner Vetter.

Auch ansonsten gibt es darstellerische Freuden: Elisabeth Rath als mildtätige Gute Werke, Johann Christof Wehrs als skurriler Hausvogt und Georg Reiter als tragikomischer Koch, Anton Burkhart als wütender Schulknecht und Susanne Schäfer als dessen bittendes Weib.

Einige Unsäglichkeiten kann man dadurch verschmerzen: Hans-Michael Rehberg, der Wunderbare, als zeternder Herrgott im Kaftan. Florian Stetter als Mammon ein kreischiger Transvestit, der das Publikum mehr befremdet als amüsiert. Und Sunnyi Melles, bei der man dankbar sein darf, daß der Glaube, den sie verkörpert, viel weniger zu sagen hat als die Buhlschaft, die sie vor einem Jahrzehnt gespielt hat.

Alles in allem: Stückl hat gute Arbeit geleistet. Auch wenn manches, was neu war, nicht gut war. Aber was braucht's das auch schon, der Text wirkt nach wie vor wie Balsam für den Salzburg-Dauerbesucher. Auch Markus Zwink hat eine hübsche Musik geschrieben, mit mittelalterlichen Anklängen und einigen zünftigen Fanfaren-Stößen. Touristik-Experten, aufgepaßt: Schickt die Leute weiter zum "Jedermann", keiner wird allzu schockiert sein.

Jedermann (Peter Simonischek), Buhlschaft (Veronica Ferres): Balsam für Dauerbesucher

Bis zum 28. August finden noch sechs Aufführungen auf dem Domplatz jeweils um 17.30 Uhr statt. Info und Karten: 0043 / 662 / 804 55 79, Internet: www.salzburgfestival.at 


 
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