© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/02 09. August 2002

 
Tickende ökologische Zeitbomben
Europäische Umweltpolitik: Die EU-Erweiterung muß als eine Chance für mehr Umwelt- und Naturschutz genutzt werden
Hans Kronberger

Der Umweltbereich ist eines der umfangreichsten und schwierigsten Kapitel, das es bei der Erweiterung der Europäischen Union zu verhandeln und zu bewältigen gilt. 12 Beitrittskandidatenländer haben die Übernahme des Rechtsbestandes der Europäischen Union, den "Acquis communitaire" mit allein rund 300 Einzelrechtsakten im Umweltbereich zu vollziehen. Angefangen von den Bereichen Luft, Wasser, Abfall, Naturschutz, Lärm, Chemikalien, genetisch modifizierte Organismen, Strahlenschutz bis hin zur industriellen Umweltverschmutzung, aber auch der Klimaschutz werden dabei verhandelt und in den Kandidatenländern neu geregelt bzw. an EU-Standards angepaßt.

Eine zentrale Rolle kommt dem Umweltkapitel bei der Erweiterung der Union aufgrund der zahlreichen Rechtsvorschriften, die es zu übernehmen gilt, zu. Damit ist auch ein nicht unerheblicher Kostenaufwand verbunden. Die Europäische Kommission rechnet bei vollständiger Übernahme des EU-Umweltacquis zwischen 80 und 120 Milliarden Euro. Der Bärenanteil dieser Kosten ist jedoch von den Beitrittskandidatenländern selbst aufzubringen.

Vorläufig wurde das Umweltkapitel im Jahr 2001 bereits mit Estland, Lettland, Litauen, Polen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern abgeschlossen. Der Verhandlungsabschluß mit Malta, Bulgarien und Rumänien muß noch folgen.

Für die Übernahme des "Acquis communitaire" im Umweltbereich wurden den einzelnen Beitrittskandidatenländern eine unterschiedliche Anzahl von Übergangsfristen gewährt. Die Übergangsfristen für die Umsetzung der mit hohem finanziellen Aufwand verbundenen Richtlinien sollen höchstens fünf Jahre betragen, in Ausnahmefällen dürfen diese auch länger sein. Darüber hinaus wurden Zwischenziele mit eindeutig definierten Fristen in den einzelnen Beitrittsverträgen festgehalten, die in der Folge rechtsverbindlich sind.

Damit soll sichergestellt sein, daß die EU-Umweltvorschriften auch tatsächlich übernommen werden. Denn, daß die Umsetzung nicht wie am Schnürchen klappt, ist nicht zu verleugnen. So haben etwa alle Beitrittskandidatenländer Probleme bei der Umsetzung der Richtlinie zur kommunalen Abwasserbehandlung und der Richtlinie über Verpackungsabfälle. In vielen Beitrittskandidatenländern ticken noch ökologische Zeitbomben, wie etwa brennende Mülldeponien, giftige Industrieabwässer und in der Folge tote Flüsse.

Auch verschiedene den Naturschutz betreffende Richtlinien der EU sind in den Kandidatenländern noch nicht vollständig in nationales Recht umgesetzt. Sorgen bereitet auch das zunehmende Problem der illegalen Jagd auf Vögel und des illegalen Vogelhandels, vor allem in Zypern und Malta. Ungeklärt ist auch, wie in Polen die 50.000 bis 60.000 Tonnen an veralteten Pestiziden, die im gesamten Land ausgebracht wurden, entsorgt werden können.

Darüber hinaus erregt der geplante Donau-Oder-Elbe-Kanal, der in mehreren Regionen die Zerstörung von Naturlandschaften bedeuten würde, die Gemüter der EU-Umweltverhandler. Zugegeben, auch unter den derzeit 15 Mitgliedern befinden sich einige schwarze Schafe, die die Vorgaben von geltenden EU-Umweltrichtlinien nicht erfüllen.

Doch für die Erweiterungskandidaten gilt es die Vorgaben im Umweltbereich zügig umzusetzen - hier ist noch einiges an Anstrengungen notwendig. Dazu sind Investitionen vor allem in den Bereichen Abfallwirtschaft und Gewässerschutz notwendig. Erst vor einigen Monaten besuchten wir mit einer Delegation des Umweltausschusses die Slowakei, um uns vor Ort über die Aktivitäten im Umweltbereich ein Bild zu machen. Neben einem Straßenbauprojekt besichtigten wir eine Aluminiumfabrik, eine Abwasseranlage und das Atomkraftwerk Bohunice.

Während man in der Aluminiumfabrik zu Recht stolz von der Beseitigung vergangener Umweltsünden berichtete, wurden wir auch mit den Problemen der Abwasserbehandlung konfrontiert: Nicht von ungefähr wehte uns ein extrem fauler Abwassergeruch entgegen, denn die Anlage ist zu klein, so daß etwa 80 Prozent des Abwassers wieder als ungeklärte Kloake zurück in den Fluß der slowakischen Stadt Nitra fließt.

Doch auch in der EU besteht dieses Problem nach wie vor, so verfügt Brüssel als Europäische Hauptstadt nicht einmal über eine Kläranlage. Während man in Nitra zumindest mit Offenheit über die Probleme sprach, entgegnete man uns beim Besuch des Kernkraftwerkes Bohunice mit einer ganz anderen Haltung. Die slowakischen Betreiber zeigten nicht das geringste Verständnis für die mit der EU bereits vereinbarte Schließung des Hochrisikoreaktors und versuchten sogar uns Umweltpolitiker von der Sicherheit des Atommeilers in alt-sowjetischer Manier zu überzeugen. Die Auffassungen im Bezug auf die nukleare Sicherheit sind wohl kaum gegensätzlicher, noch dazu hat es die Europäischen Union bisher selbst nicht geschafft, einheitliche Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke aufzustellen. Doch auch hier gilt es im Zuge der Erweiterung eine Einigung zu erlangen, die keine Kompromisse zulassen darf.

Bei allen Problemen die es zu lösen gibt, hat die EU-Erweiterung durch die Aufwertung der Umweltstandards in den mittel- und osteuropäischen Ländern auch bereits zu Fortschritten geführt, so ist etwa die grenzüberschreitende Luftverschmutzung deutlich zurückgegangen. In der Slowakei wurden die Schwefeldioxidemissionen seit 1989 beispielsweise um 69 Prozent reduziert und in Ungarn um 47 Prozent.

Die Stunde der Wahrheit dürfte auch für jene Firmen schlagen, die aus Gründen des Umweltdumpings ihre Produktion in den Osten verlegt haben. Die mit der Erweiterung einhergehende Anhebung der Umweltstandards führt damit zu einer verstärkten Verhandlungsposition für die EU auch auf internationaler Ebene.

 

Dr. Hans Kronberger, 51, Journalist, sitzt seit 1996 für die FPÖ im EU-Parlament. Er ist Mitglied im Ausschuß für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz und im Ausschuß für soziale Angelegenheiten sowie Mitglied der Delegation für die Zusammenarbeit EU/Rußland. 1998 erschien sein Buch "Blut für Öl - Der Kampf um die Ressourcen". Internet: www.kronberger.net  .


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen