© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/02 09. August 2002

 
Laizistischer Messianismus
Israel: Die verkannte theologische Komponente des Nahost-Konflikts
Ivan Denes

Die Europäer und Amerikaner, die sich bemühen, eine Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt zu finden - von Colin Powell bis Joseph Fischer - begehen Denkfehler: Sie versuchen, diplomatische und militärische Schritte einzuleiten, geopolitische und wirtschaftliche Lösungen herbeizuführen, ohne theologische Faktoren zu kennen, geschweige denn einzukalkulieren. Sie denken nicht nur ohne Geschichtsbewußtsein, sondern sie vergessen, in ihre Berechnungen die Wucht entgegengesetzter (oder falscher) Glaubensbekenntnisse einzubeziehen. Dabei ist nicht nur an jene Suren des Koran zu denken, die den Muslimen auftragen, den Juden Schlimmes anzutun.

Die Gewaltspirale aus palästinensischen Selbstmordanschlägen und israelischen Vergeltungsaktionen im Heiligen Land scheint nicht enden zu wollen. Die gegenwärtige Sackgasse, in der sich der Nahe Osten befindet, ohne daß man aus ihr einen Ausweg erkennen könnte, geht maßgeblich auf das Fehlschlagen der "Osloer Verträge" von 1993 zurück - und auf die darauf aufgebauten Folgeverhandlungen. In deren Verlauf hatte der damalige Ministerpräsident Ehud Barak 1999 den Palästinensern bislang beispiellose Zugeständnisse angeboten.

Der Sozialdemokrat Barak war beseelt von der Vision eines "Neuen Mittleren Osten", wie sie vom wichtigsten jüdischen Architekten des Osloer Vertrages, dem gegenwärtigen israelischen Außenminister Schimon Peres geprägt wurde. Und diese Vision wiederum gründet auf einem grundsätzlichen Denkfehler: auf einem typisch jüdischen Messianismus, in dessen Labyrinth sich jüdisches Denken und jüdisches Handeln im Verlauf der Geschichte wiederholt verirrten.

Der konservative US-Publizist Charles Krauthammer - er schreibt unter anderem eine wöchentliche Kolumne in der Washington Post - hat anläßlich einer Preisverleihung letzten Monat eine Rede im King David Hotel zu Jerusalem gehalten, die in intellektuellen Kreisen großes Aufsehen erregt hat. Im Mittelpunkt seiner Betrachtungen stand die tödliche Gefahr des "messianischen Traumes".

Dieser sei von unwirklichen, nicht existierenden Voraussetzungen ausgegangen und münde nun in die endgültige Erkenntnis, daß die palästinensische Seite einen eigenen Staat zwischen dem Jordan und dem Ufer des Mittelmeeres errichten will. Das bedeute aber, Israel auszulöschen.

Krauthammer zitiert zum Beweis Aussagen von Peres: "Die Jagdsaison in der Geschichte ist vorbei." "Der Krieg als Methode zur Führung humaner Geschäfte ist auf seinem Todespfad angelangt." "Bei dem Konflikt, der sich zum nahen Schluß unseres Jahrhunderts abzeichnet, wird es um den Inhalt von Zivilisationen gehen, nicht um Territorium." Und schließlich: "Das Trojanische Pferd des Krieges ist obsolet geworden."

Das Judentum enthält als eine seiner wesentlichen Komponenten einen unbeirrbaren Glauben an das Kommen des Messias, das hat schon der Philosoph Maimonides im 12. Jahrhundert erkannt. In der christlichen Ära hat das Judentum dramatische Augenblicke messianischer Verwirrungen erlebt - vom Aufstand des Bar Kochba ("Sohn der Sterne") im 2. Jahrhundert, den der geistige Führer jener Zeit, Rabbi Akiva, als "messianischen König" feierte, bis zu Shabatai Zwi (1626-1676), dem Pseudomessias, dem in der Hoffnung, er bringe die Erlösung, Hunderttausende gefolgt sind, bis die Türken ihn festnahmen und ihn zum Verrat - zur Konversion zum Islam - zwangen.

Der messianische Charakter des Zionismus - besonders seiner religiösen Variante - liegt auf der Hand. Die Rettung aus der Diaspora gewann dann nach dem Holocaust eine völlig neue, ebenfalls unverkennbar messianische Bedeutung. Man kann sie auch der Siedlungsbewegung nicht abstreiten, zumal sich die überwiegende Zahl der jüdischen Siedler zur Orthodoxie bekennt.

Der laizistische Messianismus der israelischen Linken nimmt auch bald kultische Dimensionen an - etwa bei den Gedenkfeiern für den 1995 ermordeten Itzhak Rabin. Er war ein Pragmatiker, der den Kompromiß mit Palästinenserführer Arafat aus einer verfehlten, aber rein politischen Kalkulation gesucht hatte. Der laizistische Messianismus strebt danach, seine aus Erlösungserwartungen stammende Fehlurteile durch eine Art Verteufelung des internen Gegners zu festigen. Der messianische Eifer der "Peacenics", der Friedensbewegung, versucht seit dem September 2000 - als die "Zweite Intifada" startete - gegen Ariel Scharon, eine Art des Cherem, der Ausgrenzung aus der Glaubensgemeinschaft, durchzusetzen.

Peres sagte 1999 auf der Sharm-el-Sheik Konferenz: "Wir befinden uns an einem Punkt, in dem sich die Gewässer scheiden. Unsere Region durchläuft eine Übergangszeit. Die düsteren Tage sind an ihrem Ende angelangt, die Schatten ihrer Vergangenheit werden immer länger. Das Zwielicht des Krieges ist noch immer rot von Blut gefärbt, aber sein Untergang ist unvermeidbar und steht unmittelbar bevor."

Der Ton ist unverkennbar alttestamentarisch, die Verheißung heißt: Frieden mit den Arabern, Erlösung durch Frieden. Die Rabbiner haben mit wenigen Ausnahmen die messianische Erlösungszeit allgemein in eine ferne Zukunft projiziert. Der Sozialdemokrat Peres sieht sie greifbar nahe. Selten hat die Zeitgeschichte einen amtierenden Politiker in derart verantwortlicher Position so schnell und zu so hohem Preis in Menschenleben Lügen gestraft.

Was Peres hier äußert, ist noch weltfremder als die Thesen von Francis Fukuyama, der nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems 1990 vom Ende der Geschichte sprach - und die Geschichte der ideologischen Konflikte meinte. Und dann kam der 11. September 2001. Anstelle des Friedens sind im Heiligen Land fast wöchentlich zahlreiche Opfer zu beklagen.

Krauthammer hat die richtige Diagnose gestellt, aber das Gefährliche - und man könnte sagen Tragische - ist, daß die Politiker des "Nahost-Quartetts" (EU, USA, UN und Rußland), die versuchen, bei der vermeintlichen Lösung des Konfliktes mitzumischen, sowohl theologisch als auch historisch ungebildet sind: Sie fallen auf die messianische Botschaft von Peres und seinen Jüngern immer wieder herein, weil es moralisch allemal rentabler zu sein scheint, von einem erträumten, erlösenden Frieden zu schwadronieren, anstatt die Realität, sprich den Überlebenskampf der israelischen Juden als solchen zu erkennen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen