© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/02 09. August 2002

 
Alte Trampelpfade
Der Konflikt mit dem Irak wird zum Wahlkampfthema
Carl Gustaf Ströhm

Endlich hat der deutsche Bundestagswahlkampf, der sich bisher eher durch erhabene Langweiligkeit mangels spürbarer Alternativen auszeichnete, sein brisantes Thema gefunden: Es geht um eine mögliche Beteiligung Deutschlands an einer amerikanischen "präventiven" Militäraktion gegen den Irak und dessen Diktator Saddam Hussein.

Gewiß ist Saddam Hussein alles andere als ein sympathischer oder Vertrauen erweckender Zeitgenosse. Gewiß hat er vieles auf dem Kerbholz. Allerdings, wenn man deutsche Soldaten dazu einsetzen wollte, um alle unsympathischen und widerwärtigen Machthaber der Welt mit Feuer und Schwert auszurotten, dann hätte die Bundeswehr unendlich viel zu tun.

Für Deutschland und wohl auch für Europa kann doch nur entscheidend sein, ob Saddam vitale europäische Interessen und unsere Sicherheit bedroht. Solange das nicht schlüssig nachgewiesen wird, bleibt ein Militärschlag gegen den Irak ein gefährlicher Schritt, der einen Bumerang-Effekt auslösen könnte.

Denn was wäre, wenn ein massiver westlicher Militärschlag - geführt von den Amerikanern, aktiv unterstützt zumindest von einigen Nato-Mitgliedern inklusive der Deutschen - Erfolg hätte? Der erzwungene Abgang Saddams, die unvermeidliche Zerstörung Bagdads, eine weitere Demütigung der Araber (und als solche würde ein US-Militärschlag unwillkürlich in der arabischen Welt empfunden) könnte nicht nur den Irak, sondern die ganze arabische Welt ins Chaos stürzen. Der jetzt schon spürbare Haß der arabischen Volksmassen und der explosiven existenzlosen arabisch-moslemischen Intellektuellen würde sich erst recht gegen die Amerikaner und ihre Verbündeten richten. Auf der Strecke blieben dann die pro-westlichen arabischen Regierungen von Marokko über Tunesien bis Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien. Und ob ein westlicher Militäranschlag gegen den irakischen Diktator der Türkei innen- wie sicherheitspolitisch bekäme, ist mehr als zweifelhaft.

Vor diesem wahrhaft apokalyptischen Hintergrund spielt sich die Vorwahl-Debatte über den Irak ab. Anstatt zu den wirklichen Dimensionen vorzudringen, verharrt man auf vertrauten, aber überholten Trampelpfaden. So nahm FDP-Veteran Hans Dietrich Genscher Anstoß daran, daß Bundeskanzler Schröder im Zusammenhang mit einer Ablehnung einer deutschen Beteiligung an dem Irak-Schlag von einem "deutschen Weg" in der Außenpolitik gesprochen habe. Ein deutscher Weg? Igittigitt, das wär doch geradezu unanständig. Ein europäischer Weg muß her! Was aber ist, wenn dieser europäische Schulterschluß nicht zustande kommt? Und sollte man nicht lieber sagen: Es ist gleichgültig, ob man den Weg als deutsch oder europäisch etikettiert - nur richtig müßte er sein? Es wäre gewiß ermutigend, wenn Schröder die Irak-Frage und das heikle Verhältnis zu den USA zum Anlaß nähme, diskret aber nachdrücklich deutsche Interessen zu verteidigen. Zu diesen Interessen gehört auch, deutsche Soldaten möglichst von Aktionen fernzuhalten, die sinnlos Menschenleben aufs Spiel setzen. Leider aber hat die Partei des Kanzlers gerade in der Wahrung deutscher Interessen und deutscher Identität eine solche Laschheit an den Tag gelegt, daß man skeptisch bleiben muß. Meint der Kanzler das, was er sagt, oder will er damit angesichts schlechter Umfragewerte nur Wählerstimmen aus einem sonst unerreichten Bereich anlocken?

In dieser Situation wären CDU und CSU dazu prädestiniert, ein klärendes Wort zu sprechen. Die Partei Konrad Adenauers hätte die Meinungsführerschaft in der außenpolitischen Debatte wieder an sich ziehen und die Dinge zurechtrücken müssen. Selbst Adenauer hat sich in einer weitaus schwierigeren und schwächeren Ausgangslage stets davor gehütet, in der damaligen Rivalität zwischen Frankreich und den USA bedingungslos für oder gegen de Gaulle Partei zu ergreifen. Adenauer war ein Freund, aber kein Knecht der Amerikaner. Gerade deswegen wurde er in Washington respektiert wie kein deutscher Kanzler nach ihm.

Nun hören wir statt klarer Worte die üblichen "weichgespülten" und ausweichenden Floskeln des Unions-Kanzlerkandidaten Stoiber - und das für Außenpolitik zuständige Mitglied seines "Kompetenz-Teams", Wolfgang Schäuble, propagiert (in Bild am Sonntag) gar eine aktive deutsche Beteiligung an einem Angriff gegen den Irak, sofern nur die UNO dazu ihren Segen gäbe. Abgesehen von allen anderen Argumenten setzt sich Schäuble damit selbstherrlich über die im Volk herrschende Stimmung hinweg - was in Vorwahlzeiten nicht gerade von Intuition Zeugnis ablegt. Es ist der gleiche Schäuble, der eine weitere Einschränkung nationalstaatlicher Kompetenzen gegenüber dem EU-Moloch in Brüssel das Wort redet. Was er sagt, wirkt wie ein eingefrorener Trompetenstoß aus den Jahren des Kalten Krieges. Wo bleibt da der Mut (und der Wille), sich gegenüber der Welt-Supermacht USA zu emanzipieren?

Jetzt wäre es an der Zeit, deutsche Interessen zu formulieren - gegenüber den USA, denen wir natürlich verbunden (aber nicht unterworfen) sein wollen, gegenüber dem Osten, der islamischen und arabischen Welt, vor denen wir gleichfalls keinen Kotau machen sollten. Vielleicht muß auch in dieser Frage Deutschland zu sich selber finden.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen