© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/02 09. August 2002


Familienpolitik
Im Angesicht der Krise
Dieter Stein

Nun ist die heiße Phase des Bundestagswahlkampfes eingeläutet worden. Wir erleben derzeit eine der schwersten Wirtschaftskrisen seit Jahren. Wir stehen vor einem Kollaps des gesetzlichen Rentensystems aufgrund einer auf den Kopf gestellten Bevölkerungspyramide. Man müßte erwarten, daß unterschiedliche Konzepte zur tiefgreifenden Lösung dieser existentiellen Zukunftsprobleme diskutiert würden. Statt dessen geht es um Miles & More und Guidomobil.

Das Verjubeln der durch Steuergelder erwirtschafteten Lufthansa-Bonus-Meilen durch mehrere Bundestagsabgeordnete ist ein kurzes politisches Wetterleuchten. Es zeigt: Wir werden von einer politischen Klasse regiert, der die Maßstäbe für richtig und falsch, für wichtig und unwichtig abhanden gekommen sind.

Die Krise wird überhaupt nicht in ihrer Dimension erfaßt. Da gab der Chef des Ifo-Institutes, Hans-Werner Sinn, vor wenigen Tagen ein bemerkenswertes Interview, das wie eine Bombe hätte einschlagen müssen. Nüchtern prognostiziert der Nationalökonom den drohenden Niedergang Deutschlands aufgrund seiner katastrophalen demographischen Entwicklung: "Deutschland wird zurückfallen. Das Land wird volkswirtschaftlich an Dynamik verlieren. Das Wirtschaftswachstum wird sinken." Während nun alle um den heißen Brei herumreden und zu feige sind, klipp und klar eine offensive Bevölkerungspolitik mit dem Ziel der Steigerung der Geburtenrate zu fördern, will Sinn eine (von ihm nicht so genannte) Bestrafung der Kinderlosen durch Halbierung der gesetzlichen Rente, denn: "Menschen, die keine Kinder haben können, lassen sich im Alter von den Kindern anderer Leute ernähren."

Der Zusammenhang zwischen Alterssicherheit und der Zahl der Kinder sei abhanden gekommen, so Sinn. Man sollte die auf uns zukommenden Rentenkürzungen deshalb rigoros "für jene Personen nicht vornehmen, die über eine hinreichende Zahl von Kindern verfügen, die sie großgezogen haben. Denn diese Kinder leisten die Beiträge. Bei denen, die keine Kinder haben, sollte man die umlagefinanzierten Renten kürzen - sagen wir mal auf die Hälfte. Das muß man ihnen rechtzeitig mitteilen, damit sie Gelegenheit haben, dagegen anzusparen." Oder eben sich überlegen, ob es nicht doch vernünftig ist, eine Familie zu gründen und Kinder aufzuziehen.

Sinn spricht Fraktur: Wer sich für Kinderlosigkeit entschieden habe, spare das Geld, das man ansonsten in das Aufziehen von Kindern stecken müßte und das durch staatliches Kindergeld nur zu einem lächerlichen Teil abgedeckt wird. Also könne der Kinderlose in Realkapital (private Altersvorsorge oder gesteigerter Konsum) statt in Humankapital investieren. Letzteres müsse durch die gesetzliche Rente nun honoriert werden.

Es ist bezeichnend, daß dieser Vorstoß fast unerwidert verebbte. Wann steigen die Familien auf die Barrikaden und fordern ihre Rechte mindestens ebenso lautstark ein wie gesellschaftliche Randgruppen, die einen Promille-Bereich repräsentieren?


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