© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/02 26. Juli / 02. August 2002

 
Revolutionäre gegen die Revolution
Hannsjoachim Kochs Werk bestreitet die Rolle der Freikorps als Instrument der wilhelminischen Restauration
Stefan Scheil

Alle Jahre wieder wird öffentlich an die Freikorps erinnert - wenn die PDS Mitte Januar den Totenkult um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zelebriert. So geht es den Freiwilligenverbänden der Nachkriegszeit des Ersten Weltkriegs wie vielen Teilen der jüngeren deutschen Vergangenheit: Sie dienen als negatives Element einer Geschichtsinszenierung zu politischen Zwecken. Als eigenständiges Phänomen haben sie dagegen immer weniger Aufmerksamkeit gefunden, wie auch sonst die Vorstellungen über Deutschlands jüngere Geschichte mit zunehmendem Abstand nicht etwa präziser, sondern "immer abwegiger" werden, wie Hansjoachim Koch zusammenfassend schreibt.

Es ist deshalb zu begrüßen, daß Kochs Geschichte der deutschen und österreichischen Freikorps als Neuauflage in der Edition Antaios wieder erschienen ist. Das Buch ist unverändert auf der Höhe und füllt eine Lücke, die seit Jahren bestanden hat. Denn seit der Erstauflage von 1977 haben als einziges Werk über die Freikorps ausgerechnet Klaus Theweleits "Männerphantasien" eine größere Öffentlichkeit erreicht, zwei Bände, die Koch zu Recht als "über Strecken verrückt und obskur" bezeichnet, deren gigantischer Erfolg ihnen aber trotzdem einen Platz in der Kulturgeschichte der Bundesrepublik sichert. Treffender ist die intellektuelle Atmosphäre der Nach-68er-Zeit selten gekennzeichnet worden, als durch den großen Zuspruch zu Theweleits Versuch, Patriotismus als Folge sexueller Deformation darzustellen. In den mittlerweile zusehends hinfällig gewordenen Deutungsmustern freudianischer Psychologie glaubten viele eine Begründung dafür gefunden zu haben, warum es rückständig und in gewissem Sinn krank sei, sich für die eigene Nation einzusetzen.

In diesem Gewebe aus Mutmaßungen und Unterstellungen tauchten die Freikorps als diejenigen auf, die der Konterrevolution gedient hätten. Koch zeigt, wie wenig dieses Bild paßt und zeichnet ihre verschlungene Geschichte detailgenau und jenseits von Mystifizierungen nach. "Die Freikorps waren ein Produkt ihrer Zeit, ein Notbehelf nicht gegen 'die Revolution', sondern gegen unkoordinierte revolutionäre Erhebungen." Solche unkoordinierten Aufstände gab es reichlich. Deutschland besaß auch 1919 noch kein politisches Zentrum, keine Machtzentrale, die nur übernommen werden mußte, um die Staatsform zu wechseln. Daher bestimmten die Ereignisse in Berlin nicht sofort auch den Gang der Dinge in Stuttgart, München oder Dresden. Zersplittert war das Land, ziellos agierten die Antagonisten. Weder die Parteien der Weimarer Republik noch die Generalität waren an den Freikorps genug interessiert, um in ihnen mehr als einen Notanker für Krisensituationen zu sehen. Wie sich Deutschland insgesamt im 20. Jahrhundert schwer getan hat, seine Interessen oder wenigstens sich selbst klar zu definieren, so blieb es auch den Freikorps versagt, für ein politisches Lager mit ausformulierten Zielen zu kämpfen. Es war daher Patriotismus in Reinform, der die Freikorps-Soldaten motivierte und in widersprüchliche Situationen brachte. Sie gingen im Baltikum in die Offensive um Siedlungsrecht in den Resten des deutschen Ostimperiums, sie retteten Oberschlesien und Kärnten für Deutschland, sie stützten die sozialdemokratische Regierung in Berlin und beteiligten sich doch am Putsch gegen die Republik, ja manche ihrer Mitglieder ermordeten gar deren führende Repräsentanten aus zum Teil obskuren Gründen. Walther Rathenau mußte sterben, nicht weil er Jude war, sondern weil ihm die Attentäter eine Restauration der wilhelminischen Zeit zutrauten. Dies war Ausdruck einer revolutionären Stimmung, die sich gegen das Establishment der Kaiserzeit richtete, das sich nach 1918 in seinen Positionen halten konnte. Mit Koch kann man denn auch bezweifeln, ob es sich beim Novemberumsturz überhaupt um eine Revolution gehandelt hat. Deutschland wurde auf Befehl der Obersten Heeresleitung demokratisiert, wie er betont. Das war weniger die Folge eines gezielten Umsturzes als eines Veränderungsdrucks, der nicht nur von Links, sondern auch von Rechts kam. Etliche der prominentesten Freiwilligenformationen verdankten daher ihr Entstehen den Initiativen lokaler Soldatenräte. So manche, die sich eben noch im Ruhrgebiet als Mitglieder von Freikorps und Roter Armee erbittert bekämpft hatten, trafen folgerichtig im Zug nach Oberschlesien wieder zusammen, um dort gemeinsam den polnischen Angriff abzuwehren.

Deutlich wird an Kochs Darstellung, wie die deutsche Politik Teile der Substanz Deutschlands verspielte. Aus Angst vor einer Besetzung des Ruhrgebiets wurde den Freikorps die Rückeroberung der Provinz Posen verboten. Man übersah in Berlin die Gefahr, den deutschen Osten endgültig zu verlieren. Auch reagierte die Regierung nicht angemessen auf den Beschluß der Deutschen in Österreich, sich zur neuen Republik zählen zu wollen. Wohl wurde die schwarz-rot-goldene Flagge der 1848er Revolution als Symbol proklamiert, aber es wurde versäumt, konsequenterweise den Anspruch auf die gesamtdeutsche Republik zu stellen. So ging eine Einladung zur Teilnahme an den Wahlen zur Nationalversammlung zwar nach Elsaß-Lothringen, nicht aber nach Wien. Die Wahlen zur Paulskirche vom April 1848 sollten die einzigen freien gesamtdeutschen Wahlen bleiben. Daher war es auch die Schuld der Berliner Politik, daß es 1919 zu einer "zweiten deutschen Teilung" kam, wie der österreichische Staatskanzler Renner mit Anspielung auf 1866 formulierte. Der Versailler Vertrag verbot die Vereinigung dann endgültig. Daran änderten die heute vergessenen Volksabstimmungen in Salzburg und Tirol nichts mehr, wo sich im Frühjahr 1921 die Bevölkerung mit 99,3 und 98,8 Prozent für einen Beitritt zur Weimarer Republik aussprach. Es gibt von der deutschen Geschichte mehr zu erinnern als linksrevolutionäre Mythen. Stefan Scheil

Hannsjoachim Koch:Der deutsche Bürgerkrieg. Eine Geschichte der deutschen und österreichischen Freikorps 1918-1923. Edition Antaios, Dresden 2002, 506 Seiten, 24 Euro


 
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