© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/02 26. Juli / 02. August 2002

 
Vorläufiges Ende eines Börsenschwindels
Deutsche Telekom: Der Fall des Ron Sommer und die Mitschuld der politischen Klasse
Bruno Bandulet

Nun hat also Gerhard Schröder, in Torschlußpanik wegen des nahen-den Wahltermins, doch noch die Notbremse gezogen und Ron Sommer in die Wüste geschickt. Und dies, nachdem die Aktie der Deutschen Telekom um 90 Prozent gefallen war, nachdem Sommer alle nur denkbaren unternehmerischen Fehlentscheidungen getroffen hatte, nachdem drei Millionen Kleinanleger belogen und betrogen wurden, und nachdem die Verantwortlichen aus der Telefongesellschaft eines der am höchsten verschuldeten Unternehmen der Welt gemacht hatten.

Natürlich hätte Sommer, der zunehmend seinem eigenen Größenwahnsinn zum Opfer fiel, schon längst entlassen werden müssen. Das verlangte die Opposition schon im Februar 2001, jedoch nicht energisch genug. Damals stellte sich Schröder höchstpersönlich vor Sommer. Jetzt ließ er ihn fallen, aber nicht aus höherer Einsicht, sondern aus Wahltaktik. Da fiel CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer nichts Besseres ein, als Sommer "Respekt" zu bekunden und zu behaupten: "Durch ihre politische Einflußnahme hat die Bundesregierung dem Unternehmen Telekom schwer geschadet."

Meyer stellt die Dinge auf den Kopf. Selbstverständlich ist es Pflicht eines Großaktionärs, im Notfall einzugreifen. Er hätte es schon viel früher tun müssen. Immerhin gehören dem Staat 43 Prozent der Deutschen Telekom. Und im Aufsichtsrat sitzen zwei Vertreter des Bundes, die freilich ihre Pflicht, Aufsicht auszuüben, sträflich vernachlässigt haben. Sämtliche Fehlentscheidungen Sommers wurden vom Aufsichtsrat kritiklos mitgetragen: der völlig überteuerte Einkauf des US-Mobilfunkbetreibers Voice Stream ebenso wie der irrsinnige Poker um die UMTS-Lizenzen oder der mißglückte Übernahmeversuch der - überaus erfolgreichen - Telecom Italia. Sommer wollte global player werden und hinterließ jenen Schuldenberg von 67 Milliarden Euro, der die Telekom konkursverdächtig macht. Dazu wird es aber wohl kaum kommen, weil der Bundesregierung im Ernstfall nichts anderes übrigbleiben wird, als frisches Kapital einzuschießen.

Der Fall Telekom ist aber auch ein Paradebeispiel für das Elend der paritätischen Mitbestimmung, für eine Art von Verfilzung, die Fehlentwicklungen ermöglicht, deckt und zementiert. Im Aufsichtsrat sitzen DGB-Chef Michael Sommer, Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und der ehemalige ZDF-Intendant Dieter Stolte. Womit sie ihre Bezüge konkret verdient haben, darüber kann man nur rätseln.

Bemerkenswert ist auch das Versagen von Finanzminister Eichel, der die Interessen des Großaktionärs Deutschland hätte vertreten müssen. Der SPD-Politiker spielte in dem Drama die Rolle des Toren: er freute sich über die Privatisierungserlöse und den warmen Regen der UMTS-Lizenzen, begriff aber nicht, daß er mit dem unvermeidlichen Kurssturz der Aktie seine eigene 43 Prozent-Beteiligung entwertete, daß die Telekom nun für unabsehbare Zeit als Steuerzahler ausfällt, und daß er mit seinen Werbesprüchen für das nach oben manipulierte Papier der Aktionärskultur in Deutschland schweren Schaden zufügte. So ist der Anteil der Deutschen, die Aktien direkt (also nicht nur über Fonds) halten, auf 7,3 Prozent zurückgegangen!

Der Kurs der T-Aktie, die Ende 1996 erstmals auf den Markt kam, wurde von Anfang an schamlos manipuliert und schöngeredet: durch Bilanzkosmetik, durch das Ausschütten einer unverantwortlich hohen Dividende, durch eine übertrieben hohe Gewichtung im Dax, durch die Ausgabe von sogenannten Treueaktien, durch die zynische Promotion der Banken, die dreistellige Millionenbeträge an Kommissionen verdienten, vor allem aber durch Ron Sommer selbst, der die wenigen Kritiker, die es tatsächlich von Anfang an gab, arrogant abzukanzeln pflegte.

"Es gibt keine Telekom-Gesellschaft, die im Augenblick außerhalb unserer Reichweite wäre", tönte Sommer vor zwei Jahren, nachdem er Voice Stream für 30 Milliarden Euro übernommen hatte - heute ist Voice Stream allenfalls 10 Milliarden wert. Im August 2000, als die T-Aktie noch ein Vielfaches des heutigen Kurses kostete, hielt Sommer sie für "dramatisch unterbewertet". Und vor einem Jahr, als die Baisse noch lange nicht beendet war, sprach er immer noch von einer "massiven" Unterbewertung. Den übelsten Scherz aber leistete sich Sommer mit der Behauptung, die Telekom sei "solide durchfinanziert".

Trotz allem: Die Aktionäre, die eine Kapitalvernichtung in Höhe von 250 Milliarden Euro (um soviel sank der Börsenwert der Telekom seit der Spitze im Jahr 2000) am eigenen Leib erfahren mußten, sollten auch einmal darüber nachdenken, was sie selbst falschgemacht haben. Sie sollten begreifen, daß man seine Anlagestrategie nicht aus Massenmedien bezieht, daß Schauspieler keine Kompetenz für Börsentips besitzen, daß die Banken nicht ihr Freund sind, sondern eigene Interessen verfolgen, daß man bei der Aktienanlage auf so altmodische Kriterien wie Schuldenstand, seriöses Management und Kurs/Gewinn-Verhältnis achten muß.

Die Affäre Telekom ist kein Plädoyer gegen die Aktie an sich! Sorgfältig ausgewählte Wertpapiere bleiben ein wichtiger Bestandteil jeder klugen Vermögensplanung. Auch in schlechten Börsenzeiten lassen sich Titel ausfindig machen, die gut rentieren, deren Bilanzen stimmen, die einen langfristigen Schutz gegen die Inflation bieten.

Der Telekomskandal war kein Einzelfall an den Weltbörsen, aber eine für deutsche Verhältnisse beispiellose Geschichte von Täuschung und Selbsttäuschung, von zerplatzten Illusionen und eiskalten Manipulationen, die sich an der Börse letzten Endes immer rächen. Versagt hat auch die Politik, die von Anfang an die Finger im Spiel hatte. Oder hat man schon vergessen, wer Sommer auf den Vorstandssessel setzte? Es war kein geringerer als Helmut Kohl.

 

Dr. Bruno Bandulet ist Herausgeber des Finanzdienstes "Gold&Money Intelligence" und des Hintergrunddienstes "Deutschland-Brief".


 
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