© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/02 26. Juli / 02. August 2002

 
"Gentechnik gehört ins Labor!"
Neuseeland: Nach den Parlamentswahlen muß sich die Labour-Partei einen neuen Koalitionspartner suchen / Schwache Opposition
Silke Lührmann

Das Profil der neuseeländischen Linkspartei Alliance ist rapide am Schwinden - nicht nur, weil der Koalitionspartner der Labour-Partei nach der Spaltung in zwei Parteien jegliche Identität verloren hat. Immer wieder verschwinden über Nacht die Wahlplakate mit dem Porträt der neuen Vorsitzenden Laila Harré in schwarzer Lederjacke von Neuseelands Straßenecken.

Das wiederum liegt wohl weniger an Harrés politischer Attraktivität als "Only Choice Left" (letzte Chance für Linksabbieger), sondern das Antlitz der 35jährigen Frauenministerin (und Millionärin) ziert das Schlafzimmer und versüßt die Träume so manches Noch-Nicht-Wählers, spekulieren die Kommentatoren. Ansonsten gibt es von diesem Wahlkampf wenig zu berichten, was das Blut oder die Hormone in Wallung versetzen könnte. Daß die Labour-Partei auch nach dem 27. Juli an der Macht bleiben wird, scheint klar. Mit welchem Koalitionspartner sie eine Regierung bilden kann, läßt sich immer weniger absehen.

Die Alliance, die bei den letzten Wahlen im Dezember 1999 mit 7,7 Prozent der Stimmen noch zehn Sitze gewann, liegt in den Umfragen mit 0,6 Prozent weit abgeschlagen hinter den Grünen, die zwei Wochen vor der Wahl ihre angestrebte Zehn-Prozent-Marke fast erreicht haben, der neoliberalen "Steuerzahlervertretung" Act (acht Prozent) und New Zealand First (sechs Prozent). Die Progressive Coalition des Ex-Alliance-Chefs und Vizepremiers Jim Anderton rangiert ebenfalls nur noch unter "ferner liefen". Labour werden 46 Prozent prognostiziert - ein deutlicher Verlust gegenüber dem Höchststand von 55 Prozent vor einem Monat, aber immer noch ein sicherer Vorsprung und eine deutliche Verbesserung des Wahlsieges von 1999 (38,7 Prozent) -, der konservativen National Party 27 Prozent.

Als Premierministerin Helen Clark am 11. Juni endlich einen Termin für die lange erwarteten Neuwahlen bekanntgab, befand sich die Labour-Partei auf der Höhe ihrer Beliebtheit und durfte hoffen, die Suche nach einem neuen Koalitionspartner zu vermeiden und in ihrer zweiten Amtsperiode mit einer absoluten Mehrheit zu regieren.

Das nach einem Volksentscheid von 1993 eingeführte Verhältniswahlrecht unterscheidet sich vom deutschen System insofern, als das Parlament nur aus einer Kammer besteht. Die Hälfte der 120 Sitze sind Direktmandate, weitere fünf werden von auf einem gesonderten Maori-Register eingetragenen Wählern an Maori-Abgeordnete vergeben. Die restlichen Sitze verteilen sich proportional auf alle Parteien, die die Fünf-Prozent-Hürde überwinden konnten. Von einer Parlamentswahl zur nächsten dürfen maximal drei Jahre verstreichen.

Die Neuseeländer sehen sich selten veranlaßt, jene "politische Mitte" zu verlassen, die man in Europa so sehnsüchtig anstrebt. Dennoch - oder gerade deshalb - gefallen sie sich in der Rolle streitbarer Demokraten. Die allabendliche Berichterstattung mit Sondersendungen, Expertenrunden oder laufend aktualisierter Wahlwettervorhersage - bei einem Mittwintertermin kein unwichtiger Faktor - stellt alles in den Schatten, was man aus dem deutschen Fernsehen gewöhnt ist.

Zwischendurch wird Neu- und Jungwählern mit Hilfe putziger Knetmännchen und Schritt-für-Schritt-Anleitungen zum Ausfüllen eines Wahlzettels das Einmaleins der repräsentativen Volksherrschaft beigebracht und die Eintragung ins Wahlregister auf dem Postamt oder übers Internet nahegelegt. Vergebliche Liebesmüh, wenn ein Großteil der Befragten 18- bis 24jährigen nicht einmal die Namen der Parteichefs kennt!

Ganze 81 Prozent der Bürger beurteilen den Zustand ihres Landes als "okay" oder besser. Und eine Mehrheit von 29,4 Prozent meint, im Fall einer schweren Naturkatastrophe bei der amtierenden Regierung am besten aufgehoben zu sein. Bei soviel Konsens hat es die Opposition schwer, Konflikte zu schüren, die dem Volk die Notwendigkeit einer politischen Alternative plausibel machen. In seinen Fernsehspots wirbt National-Chef Bill English damit, daß er als Familienvater den Alltagssorgen der Wähler nähersteht als die kinderlose Clark. Obwohl Neuseeland bei der Pisa-Studie gut abschnitt, ist die Bildung auch hier ein ebenso wunder Punkt wie das Gesundheitswesen. Eine Schlichtung der seit Wochen anhaltenden Streiks von Lehrern und Krankenpflegepersonal wird zu den Hauptaufgaben der neuen Regierung gehören.

Im 5.000-Seelen-Ort Kaitaia wurde nach massiven Protesten der Einwohner die teilweise Schließung des staatlichen Krankenhauses wieder rückgängig gemacht. Bauchschmerzen bereitet vielen "Kiwis" - zu über achtzig Prozent europäischstämmige "Pakeha" - auch die Zuwanderung aus dem asiatischen Raum. Verständlicherweise wollen sie dem Land, das ihre eigenen Vorfahren seit 1840 so gründlich überfremdet haben, keinen weiteren Kulturschock zumuten.

Sehr kontrovers wird der Anbau genetisch modifizierter Pflanzen diskutiert. Die Grünen drohen, die Verlängerung des im Oktober 2003 auslaufenden Moratoriums zur Koalitionsbedingung zu machen. "Keep it in the lab!" lautet ihre Parole, die zugleich Bereitschaft signalisiert, eine medizinische Anwendung nicht grundsätzlich auszuschließen: "Gentechnik gehört ins Labor!" Zwei Drittel der Bürger stehen hinter dieser Forderung, die als Aufkleber unzählige Autos dekoriert. Bedenken äußert vor allem die Wirtschaft: Man fürchtet - wie schon mit dem totalen Kernkraftbann - den internationalen Anschluß zu verspielen.

Dieses ohnehin schon brenzlige Thema erhielt zusätzlichen Zündstoff, als kurz vor der Wahl der Umweltaktivist Nicky Hager ein Buch mit dem Titel "Seeds of Distrust" (Saat des Mißtrauens) veröffentlichte, in dem er behauptet, im November 2000 sei mit Wissen und Zustimmung der Regierung in mehreren Regionen Neuseelands kontaminierter Mais aus den USA angebaut worden. Hagers Anschuldigungen und ein diesbezügliches Fernsehinterview, bei dem Clark deutlich der Geduldsfaden riß, fügten dem Vertrauen in die Regierung erheblichen Schaden zu.

Die Gemüter erhitzen sich auch an der Frage des Waitangi-Vertrages von 1840, in dem die britische Krone den eingeborenen Maori im Austausch für die Aufgabe ihrer politischen Souveränität ihre angestammten Land- und Fischereirechte zusicherte. Seit 1975 ist ein Schiedsgericht, das Waitangi-Tribunal, für die Ansprüche zuständig, die sich aus dem Vertragstext ergeben. Die National Party macht sich für diejenigen - Pakeha und Maori - stark, die "die Geschichte endlich hinter uns bringen" wollen und verspricht, bis 2008 alle offenen Ansprüche zu regeln.

Wie gegenwärtig diese Geschichte noch ist, zeigt seit Mitte Juli die Besetzung von Young Nick's Head durch Mitglieder des Maori-Stammes Ngai Tamanuhiri. Sie protestieren damit gegen einen Verkauf der Landzunge, die sowohl für Maori als auch für Pakeha historische Bedeutung hat, an einen New Yorker Bankier. Young Nick's Head (Te Kuiri a Paoa) war der erste Zipfel des "Landes der langen weißen Wolke" Aotearoa, den James Cook 1769 von seinem Schiff "Endeavour" aus sichtete; die Maori siedelten dort seit 600 Jahren.

Unter den Maori, die fünfzehn Prozent der Gesamtbevölkerung von knapp vier Millionen ausmachen, erhält Labour bei weitem den größten Zuspruch (61,2 Prozent). Aber die Grünen konnten ihre Popularität in den letzten drei Jahren auf 11,7 Prozent verdoppeln - nicht zuletzt, weil ihre Mit-Vorsitzende Jeanette Fitzsimons der Vorstellung einer autonomen Maori-Regierung aufgeschlossener gegenübersteht als andere Pakeha-Politiker. Zudem sind fünf der ersten dreißig Listenplätze für Maori-Kandidaten reserviert.

Andere setzen ihre Hoffnungen auf die wirtschaftliche Unabhängigkeit und die in den letzten Jahren begonnene Vergesellschaftung der Iwi (Stämme) und wählen National oder Richard Prebbles Act als "Parteien des Profits".

Winston Peters schließlich, Chef von New Zealand First, ist immer für ein Zitat gut - vor allem, wenn es darum geht, die Grünen zu verunglimpfen. Nicht einmal seine eigene Maori-Abstammung vermag den erklärten Gegner der "Waitangi-Industrie" vor Rassismusvorwürfen zu schützen. Richtig ernst nimmt ihn derzeit nur seine alternde Stammwählerschaft. Das könnte anders werden, falls sich die Kluft zu den Grünen als unüberbrückbar erweist und Clark weiter rechts nach einem Koalitionspartner Ausschau halten muß.

Als Alternative bliebe der Hobby-Bergsteigerin dann noch die Freiluftpartei Outdoor Recreation New Zealand - eine Repräsentantin der Sport- und Spaßgesellschaft, wie sie wohl nur down under reüssieren kann. Als die Partei Anfang Juni die 3.000-Mitglieder-Marke überschritt, bekam die Hälfte ihrer dreißig Listenkandidaten kalte Füße: Die Vollzeitverpflichtung als Abgeordneter hätte sie in der Ausübung ihres politischen Zieles, der Freizeitgestaltung, doch allzusehr beeinträchtigt.


 
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