© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/02 19. Juli 2002

 
Schneller als das Auge
Die Geschichte der Shaolin-Mönche im Berliner Theater des Westens
Thorsten Thaler

Die Geschichte des Shaolin-Tempels und seiner Mönche in der chinesischen Provinz Henan ist 1.500 Jahre alt, auf den Brettern, die angeblich die Welt bedeuten, wird sie in gut 90 Minuten erzählt. Es ist die Geschichte jener legendären "Fünf Ahnen", die ein Massaker an ihren Ordensbrüdern überleben und die Shaolin-Tradition retten. "Wheel of Life", Rad des Lebens, heißt die spektakuläre Show, die zur Zeit im Berliner Theater des Westens zu sehen ist und im Oktober in Köln gastiert.

Die Original-Produktion aus dem Londoner West End, die im September 1999 im Gielgud Theatre Premiere feierte, schildert in zwei Akten also die traditionsreiche Geschichte des 495 n. Chr. am Fuße der Songshan-Berge erbauten Tempels und seiner Mönche. Der Auftritt von über 20 echten Shaolin-Mönchen bedurfte eigens der Genehmigung des Ersten Abts des Shaolin-Klosters in Henan, Shi Yong Xin.

Historisch verbürgt ist, daß die in aller Welt für ihre phänomenalen Kampfkünste mit Recht gerühmten Mönche ursprünglich vom Kaiser damit beauftragt waren, buddhistische Texte aus dem Sanskrit ins Chinesische zu übersetzen, um die während der Jin-Dynastie (265-420) in China eingeführte Religion zu verbreiten.

Etwa um 520 reiste der aus Indien stammende Königssohn und Kriegermönch Bodhidharma nach China. Er behauptete, daß der Weg zu Erleuchtung und Erlösung nur über die Meditation oder Versenkung führe, nicht aber über das Verrichten guter Taten. Nachdem seine Ansichten am kaiserlichen Hof keinen Widerhall fanden, zog er sich enttäuscht in die Songshan-Berge zurück. Der Legende nach meditierte er dort neun Jahre lang in einer Höhle, bis die Mönche des Shaolin-Klosters ihn aufnahmen.

Bodhidharma brachte den Mönchen, die bis dahin vornehmlich mit dem Studium religiöser und philosophischer Schriften beschäftigt waren, Atemtechniken, mentale Übungen und Bewegungsformen bei, die aus dem indischen Yoga stammten. Mit Hilfe seiner Lehre sollten die Mönche die Einheit von Körper, Geist und Seele erfahren und ihr eigenes innerstes Buddha-Wesen erkennen. Damit wurde Bodhidharma zum Begründer des Zen-Buddhismus, der wörtlich übersetzt "Versenkung" bedeutet und heute in der gesamten asiatischen Welt weit verbreitet ist. In China ist der Shaolin-Tempel seit der Tang-Dynastie (618-907) das größte buddhistische Kloster.

Mit dem Zen untrennbar verbunden ist die Entwicklung der Kampfkünste, die nicht nur der Selbstverteidigung und körperlichen Ertüchtigung dienen, sondern als ein Weg zur geistigen Vervollkommnung betrachtet werden. Über Generationen hinweg verfeinerten und perfektionierten besonders die Shaolin-Mönche ihre Kampftechniken, die vor allem auf dem Beobachten des Angriffs- und Abwehrverhaltens verschiedener Tiere (Leopard, Tiger, Kranich, Schlange, Gottesanbeterin, Affe) basieren. Bis auf den heutigen Tag ist dieser Kampfstil unter dem Namen Shaolin Kung Fu bekannt.

In der Theaterfassung ihrer Geschichte, in der historisch gesicherte Ereignisse künstlerisch verdichtet sind, bittet der chinesische Kaiser die Shaolin-Mönche aufgrund ihrer meisterlichen Fähigkeiten im Kampf darum, ihm bei der Verteidigung seines Palastes gegen feindliche Truppen zu helfen. Bereitwillig stimmt der Abt des Klosters zu. In einer erbittert geführten Schlacht bezwingen die Mönche die Angreifer, und als Ausdruck seiner Dankbarkeit richtet ihnen der Kaiser eine Siegesfeier aus. Nachdem sie jedoch seine Bitte ablehnen, ihm als kaiserliche Leibgarde zu dienen, gerät er außer sich vor Wut und befiehlt ihre Vernichtung. Die Mönche werden mit vergiftetem Weihrauch betäubt und anschließend ermordet, jedenfalls die meisten von ihnen. Nur der Abt und fünf junge Knaben überleben das Gemetzel. Sie sollen später als die "Fünf Ahnen" in die Annalen des Shaolin-Klosters eingehen.

Inszeniert und choreographiert wurde die Aufführung von dem in Deutschland geborenen Micha Bergese und Darshan Singh Bhuller, die beide vom klassischen Tanz kommen. Der eigens für diese Show komponierte musikalische Stilmix aus fernöstlichen Klängen und westlicher Melodik stammt von Barrington Pheloung, für das schlichte Bühnenbild zeichnet Mark Fisher verantwortlich. Beides - Musik wie Bühnenausstattung - bilden den unaufdringlichen Hintergrund für das Wesent-
liche: die atemstockenden Darbietungen der Shaolin-Mönche.

Was sie vor allem anderen auszeichnet, ist ihre geistige und mentale Stärke, ihre Fähigkeit, sich auf den Punkt genau zu konzentrieren und den Schmerz abzuschalten. Ihre außergewöhnliche Körperbeherrschung und Geschicklichkeit befähigt sie - mit und ohne Waffen - zu Bewegungsabläufen, denen das Auge kaum zu folgen vermag. Das Publikum kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

 

Die letzten Aufführungen im Theater des Westens, Kantstraße 12, finden statt am 19., 20. und 21. Juli jeweils um 20 Uhr. Die Karten kosten zwischen 22 und 45 Euro. Vom 8. bis 20. Oktober gastiert die Show im Kölner Musical Dome. Karten: 0180 / 51 52 53-0


 
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