© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/02 19. Juli 2002

 
Zeitschriftenkritik: The Spectator
Politisch unkorrekt seit 1828
Catherine Owerman

Großbritannien hatte einst eine Vielfalt an kritischen Presseerzeugnissen. Es gab ein beneidenswert freies intellektuelles Klima auf der Insel. Nach fünf Jahren der Regierung Blair ist davon nur noch wenig zu spüren. Der Blairismus herrscht unangefochten, beinahe autokratisch. Zwar meckern viele Zeitungsmacher über die beständige Manipulation der Medien durch regierungsamtliche "spin doctors", dem "Charme" des ewig grinsenden Ministerpräsidenten sind sie dennoch erlegen, selbst die Blätter des angeblich rechten Medienmoguls Rupert Murdoch.

In solch ödem Umfeld leuchtet The Spectator als erfrischender Farbklecks. Die Wochenzeitung wurde 1828 gegründet und kann sich rühmen, das älteste kontinuierlich erscheinende Magazin in englischer Sprache zu sein. In einer Auflage von rund 60.000 bietet The Spectator eine anregende Mischung aus Politik und Kultur, angereichert mit spritzigen Karikaturen. Gewisse Dinge sind den Blattmachern um Boris Johnson, seit einem Jahr Parlamentsabgeordneter der Tories, selbstverständlich: Die Monarchie gilt ihnen als segensreiche Einrichtung, die Demokratie ist heilig und die Marktwirtschaft das einzig freiheitliche System. In flott geschriebenen Essays huldigen die Autoren vor allem einem: der Freiheit der Gedanken. Sie erlaubt es, daß im selben Heft die Queen gefeiert, für die Freigabe von Heroin geworben, der Niedergang des Christentums bedauert und die Vorzüge von Pornographie erörtert werden. Konservatismus muß nicht langweilig und verstaubt sein, so die Botschaft. Verleger Conrad Black (unter anderem The Daily Telegraph, The Sunday Telegraph, die kanadische National Post und die Chicago Sun-Times), obwohl eher traditionell katholisch eingestellt, erlaubt fast alles von libertär bis rechtsaußen.

Gänsehaut bekommen Gutmenschen beim Lesen des provokantesten Stücks des Spectators, der "High Life"-Kolumne von Taki (eigentlich Taki Theodoracopulos). Taki, steinreicher Sproß einer griechischen Reederfamilie, verkehrt mit gekrönten Häuptern, allerlei Stars und Sternchen. Immer unterwegs zwischen New York, St. Moritz und Gstaad, findet er nach Champagnergelagen, Koks- und Fraueneskapaden noch die Zeit für Breitseiten gegen alles politisch Korrekte. Herrscht in EU-Europa Zähneklappern über Le Pens Wahlerfolge, plaudert Taki über seine alte Freundschaft zum französischen Bösewicht. Kein anderer genießt solche Narrenfreiheit: Einem britischen Publizisten, der sich über die "Krauts" mokiert hatte, drohte der germanophile Taki, "den Erste-Weltkrieg-Helm meines Großonkels - den mit der scharfen Spitze drauf - in den Hintern zu stoßen und ihn zu zwingen, 'Deutschland, Deutschland über alles' zu singen."

Verlagsadresse; "The Spectator", 56 Doughty Street, London WC1N 2LL. Internet: www.spectator.co.uk. Das Jahresabonnement kostet 97 Pfund.


 
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