© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/02 19. Juli 2002

 
Hoffnungen wurden bitter enttäuscht
Interview: Der FPÖ-Politiker Ewald Stadler über die Rote Armee und die Jahre 1945 bis 1955
Martin Pfeiffer / Carl Gustaf Ströhm

Herr Stadler, Sie erregten kürzlich Aufsehen in den Medien, als Sie äußerten, daß Österreich nicht schon 1945, sondern erst 1955 mit dem Abzug der Alliierten befreit wurde. Warum schlägt eine derartige Meinung so hohe Wellen?

Stadler: Ich möchte es mit dem früheren SPÖ-Innenminister und Zweiten Präsidenten des Nationalrates, Franz Olah, halten, der gesagt hat, niemand hat in diesen Jahren daran geglaubt, daß die Bevölkerung wirklich das Jahr 1945, insbesondere im Osten Österreichs, als Befreiung empfunden hat, wie das in anderen Ländern Europas der Fall war, etwa in Frankreich, den Niederlanden und in Belgien beispielsweise. Hier haben die Besatzungsmächte, insbesondere die Rote Armee, oder im Süden Österreichs die Partisanen, mit Mord, Diebstahl, Verschleppungen und Vergewaltigungen gewütet. Die Bevölkerung war entsetzt und empfand erst das Jahr 1955, den Abschluß des Staatsvertrags und Abzug aller Besatzungsmächte, als wirkliches Datum der Befreiung. Diese Meinung teilten auch ÖVP-Bundeskanzler und Außenminister Leopold Figl und SPÖ-Bundespräsident Adolf Schärf. Dieser Meinung waren alle österreichischen Politiker - mit Ausnahme der Kommunisten. Es ist eine Ironie der Geschichte, daß heute selbst die ÖVP - und unser Staatsoberhaupt - das Geschichtsbild der Kommunisten übernommen haben.

Ihre Kritiker betonen, zwischen dem NS-Regime und den Alliierten gebe es den Unterschied, daß das erstere 1938 den Staat aufgelöst, letztere aber 1945 diesen Staat wiederhergestellt hätten.

Stadler: Die Äußerung meinerseits hat sich stets auf die Sichtweise der Bevölkerung und auf die Sicht der Opfer bezogen. Jene, die unter dem NS-Regime zu leiden hatten, haben das Jahr 1945 als Befreiung empfunden. Aber ein sehr erheblicher Teil, der sich bei Kriegsende große Hoffnungen machte, wurde bitter enttäuscht. Allein in Niederösterreich sind 200.000 Frauen und Mädchen vergewaltigt worden. Die Zahl derer, die bei einer Abtreibung nach einer Vergewaltigung gestorben sind, ist unbekannt. Die Dunkelziffer der Vergewaltigten dürfte noch weit höher sein. Es hat eine Reihe von Verschleppungen und Morden gegeben, die bis heute nicht aufgearbeitet sind. Man kann nicht gegen die Benes-Dekrete bei den Tschechen und die Avnoj-Dekrete bei den Jugoslawen sein, ohne auch der Opfer zu gedenken, die in Österreich zu beklagen sind, insbesondere durch die Soldateska der Roten Armee und der Partisanen.

Kann man von einer Befreiung Wiens und Ostösterreichs durch die Rote Armee sprechen, wie das von Linken behauptet wird oder auch auf Inschriften steht?

Stadler: Die Rote Armee ist nach eigener Auffassung nicht als Befreiungsarmee gekommen, sondern als Eroberungs- und Besatzungsarmee. Deswegen haben die Sowjets für die Eroberung Wiens an die Soldaten Eroberungsmedaillen verteilt, etwa im Gegensatz zu Budapest oder Warschau. Die Bevölkerung hatte die Last und das Terrorregime des Nationalismus zwar abgeschüttelt, aber geriet sofort in die nächste Unfreiheit, ohne daß die demokratischen Einrichtungen, so wie in den anderen Ländern Europas, selbstständig arbeiten konnten. So mußte das Jahr 1955 kommen, bevor Österreich wirklich frei war.

Ihr Parteikollege, der FPÖ-Generalsekretär Peter Sichrovsky sagte zur Diskussion über den 8. Mai 1945, daß man auf die Gefühle der vielen Österreicher Rücksicht nehmen müsse, die als Verfolgte des NS-Regimes diesen Tag als Befreiung erlebten. Sehen Sie da einen Widerspruch zu Ihrer Stellungnahme im Fernsehen?

Stadler: Nicht im Geringsten, und das ist auch das wirklich Niederträchtige und Infame an der Herstellung eines Zusammenhanges. Ich habe klipp und klar jeden Vergleich der Besatzungszeit mit dem NS-Unrechtsstaat abgelehnt, obwohl der Sender ORF mehrfach versucht hat, mir das in den Mund zu legen. Das Unvergleichliche ist eben nicht vergleichbar, und deswegen habe ich auch jede Form des Vergleiches abgelehnt. Das heißt insbesondere nicht, daß die Opfer des Nationalsozialismus in irgendeiner Weise gering geschätzt oder gar geschmäht werden. Eine derartige Unterstellung ist infam und niederträchtig.

Woran liegt es, daß heutzutage die veröffentlichte Meinung die alliierte Besatzungszeit in Österreich und vor allem das Wirken der Sowjets ziemlich unkritisch beurteilt?

Stadler: Die Geschichtslosigkeit weiter Teile der Bevölkerung ist Ergebnis sozialistischer Schulpolitik. Die Geschichtsverdrehung, die Tatsachenumdrehung und Umkehrung ist eine weit verbreitete marxistische Tugend. Es ist wirklich grotesk, daß heute sogar im Gegensatz zu früher die ÖVP das Geschichtsbild der Altkommunisten übernommen hat.

Wie halten Sie die Schnüffeleien und Kampagnen der zumeist linken Journalisten - zuletzt anläßlich der Sonnwendfeierim Juni - überhaupt aus?

Stadler: Ich habe mich an solche Nachstellungen schon fast gewöhnt. Bedauerlicherweise hat sich das auch unter der neuen ÖVP/FPÖ-Regierungskoalition nicht geändert. Die Form der Bespitzelung erinnert an einen Metternichschen Überwachungsstaat. Die Propagandisten unseres "Zeitgeistes" können auch unter der neuen Regierung weiterarbeiten, so als ob es nie eine politische Änderung gegeben hätte.

Die Grünen fordern Ihren Rücktritt, die SPÖ wünscht eine Stellungnahme der Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer, die Politiker der Kanzlerpartei ÖVP werfen Ihnen NS-Verharmlosung vor, und aus den Reihen Ihrer FPÖ kommt zum Teil eine Distanzierung. Haben Sie sich vielleicht zu weit aus dem Fenster gelehnt?

Stadler: Ich glaube, daß man als Politiker der Freiheitlichen Partei, wie sie Jörg Haider versteht, die Dinge ruhig beim Namen nennen soll. Und ich betone noch einmal: Man kann nicht anderen Völkern die Opfer des Jahres 1945 vorrechnen, ohne an die Opfer im eigenen Land zu denken. Als Volksanwalt empfinde ich es auch als meine Pflicht, an diese Menschen zu erinnern. Letztlich wird man auch darüber nachdenken müssen, ob diesen Menschen noch Genugtuung geleistet wird.

 

Ewald Stadler, 41, war Vorarlberger Landtagsabgeordneter, FPÖ-Nationalrat und Mitglied der Niederösterreichischen Landesregierung. Seit Juli 2001verfolgt er als einer von drei gewählten verfassungsmäßigen "Volksanwälten" von Bürgern "behauptete oder vermutete Mißstände" in der öffentlichen Verwaltung.

 

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