© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/02 19. Juli 2002

 
Marseilles Defaitismus trübt Wahlkampfaussicht
Schill-Partei: Die Aufstellung bundesweiter Landeslisten wird durch den Rückzug des Landesverbandes Sachsen-Anhalt überschattet
Peter Freitag

Mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt stellte die Schill-Partei während der vergangenen zwei Wochen in allen Bundesländern eigene Landeslisten zur Bundestagswahl am 22. September auf. Vorreiter waren zuvor schon die Landesverbände Hamburg und Nordrhein-Westfalen (JF berichtete), in denen die Partei am mitgliederstärksten ist.

Unter dem Eindruck der vergangenen Niederlage bei der Landtagswahl beschlossen die Mitglieder des sachsen-anhaltinischen Landesverbands auf einem Nominierungsparteitag letzten Samstag in Schönebeck/Elbe, keine eigene Liste aufzustellen. Der Vorsitzende Ulrich Marseille betrachtete die Chance, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen, als zu gering und verwies außerdem auf die geringen Finanzmittel der jungen Partei. Statt dessen will die Partei Rechtsstaatlicher Offensive nun zur Landratswahl in Schönebeck am 11. August einen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken und rechnet sich gute Chancen aus.

Von diesen Einwänden will sich die überwiegende Mehrheit der Partei Rechtsstaatlicher Offensive allerdings nicht entmutigen lassen. Das Fehlen der Magdeburger Dependance soll durch Erfolge in anderen Bundesländern wettgemacht werden, wo man - trotz des geringen Wahlkampf-Budgets "durch praktizierte Bürgernähe und mit Themen, die den Wählern unter den Nägeln brennen, als Alternative zu den etablierten Parteien reüssieren möchte. Die Schill-Partei verfolgt dabei die Strategie, sich mit eigenem Profil als möglicher Partner für die Union ins Spiel zu bringen. Beispielsweise wird die Zustimmung der FDP zum rot-grünen Zuwanderungsgesetz als Argument ins Feld geführt, daß die Liberalen ein zu unsicherer Kantonist für eine Wende im Reichstag seien.

In Schleswig-Holstein wurde der 62jährige Konzertveranstalter Dieter Schreck aus Trittau, ehemaliges langjähriges SPD-Mitglied, zum Spitzenkandidaten gekürt. Ihm folgen der Unternehmensberater Wolfgang Tiedt aus Neumünster (früher CDU) und der Finanzwirt Norbert Heine aus Husum, der bereits als Unabhängiger im dortigen Kommunalparlament sitzt. In Niedersachsen wird die 25 Personen umfassende Landesliste vom 39jährigen Kaufmann Klaus Veuskens aus Hildesheim angeführt. Auch Veuskens verfügt bereits als ehemaliger CDU-Stadtrat über kommunalpolitische Erfahrung. An zweiter Stelle steht der Richter Reinhard Steinhoff aus Salzgitter, Platz drei nimmt der 43jährige Arzt Hans-Joachim Clavien aus Rastede ein.

Zusätzlich treten in der Region Hannover vier Direktkandidaten für die Schill-Partei an, die Kauffrau Sylvia Krohne, der Zollbeamte Kai Bagdonat sowie die beiden Ärzte Joachim Jost und Volker Stahl. In Bremen steht auf dem ersten von insgesamt sechs Listenplätzen der Berufssoldat Detlef Schütte.

In Hessen setzte sich an der Spitze der Liste der Rechtsanwalt Frank Bücken aus Eppstein gegen zwei Mitbewerber durch. Bücken, der sich früher bei der SPD engagiert hatte, fungiert bereits als Landesbeauftrgter der Schill-Partei in Hessen. Ihm folgen auf den Plätzen zwei und drei Hans-Günther Müller (Frankfurt a.M.) und Hubert Busch (Heusenstamm). Insgesamt stehen 14 Mitglieder auf dem hessischen Wahlvorschlag.

Mit zehn Personen geht die Schill-Partei in Rheinland-Pfalz ins Rennen; an erster Stelle kandidiert dort der Verwaltungsbeamte Jürgen Gumny aus Kruft, gefolgt vom Mediziner Alois Thömmes (Erpel) und Klaus Walther, Maschinenbaumeister aus Schwegenheim. Eine Liste mit 18 Plätzen beschlossen die 142 Mitglieder der Schill-Partei in Baden-Württemberg. Für Platz eins wurde der Landesbeauftragte Gerhard Pfeiffer, Ingenieur aus Schorndorf, gewählt, die Plätze zwei und drei nehmen der Arzt Jürgen Gund aus Schut-tertal und der Lauchheimer Stadtplaner Hermann Laitner ein.

Die bayerischen Mitglieder der Schill-Partei (zur Zeit 51 Personen) konstituierten in München den ersten Ortsverband und stellten eine Liste mit elf Kandidaten für das CSU-Stammland auf. Angeführt wird sie vom 35jährigen Kraftwerkstechniker Matthias Niemeyer aus München, gefolgt von Margot Döring (Nürnberg) und dem für Westdeutschland zuständigen Bundeswahlleiter Detlef Münch, der eigentlich aus Nordrhein-Westfalen stammt.

In der Hauptstadt wählte die Mitgliederversammlung der Schill-Partei am 7. Juli den TU-Professor für Erziehungswissenschaften Staeck zum Spitzenkandidaten, für die Plätze zwei und drei wurden Christian-Friedrich Eigler und Manfred Ehlert nominiert. Außerdem stellt die Partei für jeden der zwölf Berliner Wahlkreise einen Spitzenkandidaten, darunter die 24jährige Polizeibeamtin Valeska Jakubowski für den Bezirk Mitte. In Brandenburg wird die Landesliste von Dirk Weßlau angeführt, der auch direkt für den Wahlkreis Barnim II kandidieren wird. Der Zahnarzt aus Bernau übt darüber hinaus die Funktion des Wahlkampfleiters Ost aus (siehe JF 28/02). Der Kaufmann Raphael Klust aus Potsdam ist Listenzweiter und die Friseurmeisterin Britta Carl-Gerth auf dem dritten Listenplatz.

Im sächsischen Landesverband konnten unter Mitwirkung Weßlaus bei einer Zusammenkunft in Riesa zunächst die Querelen zwischen führenden Funktionären der noch jungen Partei ausgeräumt werden. Entgegen einer früheren Pressemitteilung der Partei, wurden der die Dresdner Mitglieder Karl-August Kamilli und Rüdiger Pöhl nicht aus der Partei ausgeschlossen. Die Landesliste im südöstlichen Bundesland führt der 34jährige Kay Hofmeister aus Chemnitz an. Auf Platz zwei steht der Leipziger Ingenieur Edwin Stiebitz, auf Listenplatz drei Andreas Kucharicky, Ingenieur aus Dresden. In Thüringen wurde letzte Woche der 48jährige Rechtsanwalt Martin Moderegger zum Listenführer gewählt. Auf Platz zwei und drei folgen Günther Steinert, ebenfalls Erfurter Rechtsanwalt und die Friseurmeisterin Sabine Clair.

Unterdessen klappte im dritten Anlauf endlich die Gründung des Landesverbands in Mecklenburg-Vorpommern, dem (wie zuvor) der Rostocker Arzt Helmut Schmidt vorstehen wird. Zu seiner Stellvertreterin wählte die Versammlung die Rechtsanwältin Susanne Bendfeldt. Der Landesverband verfügt derzeit über 342 Mitglieder. An der Spitze der Landesliste für die Bundestagswahl wurde der 37jährige Rechtsanwalt Harald Urben aus Mirow gewählt. Platz Zwei und Drei besetzten Peter Wolf und Marco Krüger. Der nominierte Spitzenkandidat Wolfgang Eckert für die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, die zeitgleich zur Bundestagswahl stattfindet, ist am Dienstag von dieser Kandidatur zurückgetreten. Der Parteivorsitzende Schmidt gab private Gründe für diesen Schritt des Ärzteverbandschef an. Die Frage eines neuen Spitzenkandidaten der Schill-Partei werde der Parteivorstand in den nächsten Tagen erörtern. Möglicherweise trete sogar ein Team an der Spitze an, sagte Schmidt.

Im ihrem Stammland Hamburg kehrten der Schill-Partei allerding in letzter Zeit über 200 Personen den Rücken (wovon 80 ausgeschlossen wurden), sie verfügt dort nur noch über 1.110 Mitglieder. Spekulationen der ansässigen Presse zufolge hängt dieser Mitgliederschwund mit den jüngst zutage getretenen Streitigkeiten innerhalb der Bürgerschaftsfraktion sowie mit Schills unberechenbarem Taktieren bezüglich des Antretens zur Bundestagswahl zusammen. In den Darstellungen der Hamburger Zeitungen überwiegen die Schwierigkeiten, mit denen die vielfach basisdemokratisch organisierte Partei bei ihren Versammlungen zu kämpfen hat. Fast gleichlautend mit der Kritik des Hamburger CDU Vorsitzenden Dirk Fischer, prognostiziert der Hamburg-Teil der Welt ein Scheitern der Schill-Partei, deren Stimmen dann der Union fehlen würden. Gegen diese Schlußfolgerung spricht die teilweise aus sozialdemokratischen Milieu stammenden Wählerschaft. Daß laut einer Emnid-Umfrage nun 68 Prozent der Wähler das Scheitern Schills am 22. September für wahrscheinlich halten, könnte als "Schuß vor den Bug" - bei Mitgliedern und potentiellen Wählern aber auch eine "Jetzt-erst-recht"-Stimmung einläuten.


 
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