© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/02 19. Juli 2002

 
Jeder siebente Funktionär soll ein Spitzel sein
NPD-Verbotsverfahren: Die Verheimlichung seiner Quellen erspart dem Verfassungsschutz die Offenlegung seiner pikanten Tätigkeit am rechten Rand
Michael Wiesberg

Im Laufe des letzten Woche wurde bekannt, daß sich die Innenminister der Bundesländer darauf verständigt hätten, keine zusätzlichen V-Leute im NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu nennen. "Zwingende Geheimnisschutzbelange" und andere Gründe machen es unmöglich, weitere V-Leute zu nennen, erklärte ein Sprecher des bayerischen Innenministeriums. Dies sei "kein Affront" gegenüber dem Verfassungsgericht, sagte dieser in München. Es gehe über das Verfahren hinaus generell um die Frage der Gewinnung von V-Männern und den Quellenschutz. Die Süddeutsche Zeitung hatte zuvor berichtet, Bund und Länder fürchteten die Enttarnung ihrer V-Leute in der Rechtsaußen-Partei und mit der Offenlegung weiterer Quellen das Ende der Verfassungsschutzarbeit.

In die Bredouille waren die Innenminister der Länder deshalb geraten, weil das Verfassungsgericht Aufklärung darüber verlangt hat, ob und welche Mitglieder des jetzigen oder eines früheren Vorstandes der NPD auf Bundes- oder Landesebene seit 1996 mit staatlichen Stellen zusammengearbeitet haben oder noch zusammenarbeiten. Anlaß für dieses Vorgehen war die Enttarnung mehrerer V-Leute von Bund und Ländern in der Partei, die in den Verbotsanträgen als Beleg für die Verfassungswidrigkeit der NPD aufgeführt werden. Die Karlsruher Richter hatten im Januar dieses Jahres eine mündliche Verhandlung abgesetzt, nachdem bekannt geworden war, daß ein langjähriges Mitglied des NPD-Vorstandes Spitzel des Verfassungsschutzes war. Danach folgten eine Reihe von weiteren Enttarnungen (die JF berichtete).

Mit der Entscheidung, dem Verfassungsgericht nicht die V-Leute innerhalb der NPD zu nennen, droht nach Ansicht von Ex-Bundesverfassungsrichter Hans-Hugo Klein ein Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens. Dieser erklärte gegenüber der Berliner Zeitung, daß sich mit diesem Vorgehen das Risiko erhöhe, daß die Anträge abgelehnt werden könnten. Klein wörtlich: "Unter rein prozeßrechtlichen Erwägungen ist diese Taktik nicht klug." Klein stellte Mutmaßungen darüber an, "ob das Verfahren nicht ein Schnellschuß gewesen ist".

Die FDP hatte deshalb die Antragsteller des Verbotsantrages, also Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat, bereits Ende Januar 2002 aufgefordert, ihre Anträge beim Bundesverfassungsgericht zurückzunehmen. FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper unterstrich damals die Position ihrer Partei, daß eine politische Auseinandersetzung mit der NPD und nicht eine juristische notwendig sei. Auch jetzt stellte der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Jörg van Essen fest, daß die FDP immer wieder auf die Gefahren für einen erfolgreichen Abschluß des Verfahrens hingewiesen habe. Das Ziel, das Verfahren noch vor der Bundestagswahl 2002 zu beenden, um eine Finanzierung der NPD aus den Stimmen der Wahl zu vermeiden, sei bereits verfehlt. Für van Essen steht fest: "Es gibt bisher nur einen Nutznießer: die NPD." Aus seiner Sicht erscheint der demokratische Rechtsstaat "als schwach und unfähig". Daran könne kein Demokrat ein Interesse haben. Jetzt gelte es, weiteren Schaden abzuwenden: Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat sollten die Notbremse ziehen und die Verbotsanträge zurückziehen.

Dem widersprach der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach. Er wies die Forderung der FDP zurück, die Verbotsanträge zurückzunehmen: "Das wäre ein völlig falsches Signal." Als "Unverschämtheit" bezeichnete die innenpolitische Sprecherin der PDS im Bundestag, Ulla Jelpke, die Weigerung der Innenminister, ihr Spitzelnetz in der NPD offenzulegen. Es sei unerhört, wenn die Innenminister den "Schutz dieser braunen Spitzel", die der NPD ohnehin "in den ganzen Jahren und Jahrzehnten kein bißchen geschadet" hätten, jetzt höher stellten als das öffentliche Interesse an einem Verbot der NPD, schäumte die Abgeordnete. Das Bundesverfassungsgericht sei das höchste Organ in diesem Rechtsstreit. Die Innenminister hätten nach Jelpke kein Recht, sich den Forderungen nach Aufklärung über das V-Leute-Unwesen in der NPD zu widersetzen.

Als einen Beitrag zur Aufklärung über das V-Leute-Unwesen in der NPD legt die PDS-Fraktion im Bundestag inzwischen eine Studie vor: "V-Leute bei der NPD - Geführte Führende oder Führende Geführte?" Auf 46 Seiten wird in dieser Studie darüber lamentiert, wie nutzlos, ja schädlich das V-Leute-Unwesen für eine ernsthafte Bekämpfung von Rechtsextremismus schon immer gewesen sei. Die V-Leute des Verfassungsschutzes hätten der NPD angeblich zu keinem Zeitpunkt geschadet. Sie hätten ihr im Gegenteil genutzt, weil die VS-Behörden den Fehlinformationen dieser Spitzel geglaubt und die Gefahren des Rechtsextremismus bagatellisiert hätten. Wörtlich stellen die Verfasser dieser Studie, die beiden DISS-Mitarbeiter Martin Dietzsch und Alfred Schobert, fest: "Freilich wirft die Affäre ein düsteres Licht auf die Aktivitäten der Verfassungsschutzämter, insbesondere auf deren V-Mann-Praxis. (...) Es stellt sich die Frage, ob es nicht an der Zeit ist, das V-Mann-Unwesen endlich vollständig zu beenden."

Spekulationen über den Umfang der Spitzeltätigkeit innerhalb der NPD stellt der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe an. Danach soll jeder siebte Spitzenfunktionär ein Spitzel des Verfassungsschutzes sein. Nach einer internen Aufstellung sollen 30 der insgesamt 210 Landes- und Bundesvorstandsmitglieder der Nationaldemokraten und ihrer Jugendorganisation für die Nachrichtendienste tätig sein. Das Hamburger Nachrichtenmagazin berichtet weiter, im NPD-Verbotsverfahren wollten die Innenminister von Bund und Ländern dem Bundesverfassungsgericht die Gesamtzahl der eingesetzten V-Leute offenbaren. Die Informanten des Bundesamtes für Verfassungsschutzes seien bereits bekannt. Mit der Nennung einer Gesamtzahl hofften die Anwälte, den Wunsch des Gerichts nach Nennung der Namen der Quellen zu umgehen, vermutet der Spiegel. Allerdings soll der Anteil der V-Männer in den Führungsgremien nie die 15-Prozent-Marke überschritten haben. Deshalb könne von einer Steuerung der rechtsextremen Partei durch staatliche Organe keineswegs die Rede sein. Laut dem vom Spiegel zitierten bayerischen Innenminister Günther Beckstein (CSU) müßten die Verfassungsrichter damit überzeugt werden, "daß bei uns, abgesehen von den unerträglichen Schlampereien des Bundesinnenministeriums, ansonsten ordentlich gearbeitet wird". Stellt sich nur die Frage, was Beckstein, der einer der ersten war, der ein Verbot der NPD gefordert hatte, unter "ordentlicher Arbeit" versteht.


 
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