© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002

 
Vergeblich gerettet
Französische Revolution: Die Aufständischen wollten das sakrale Königtum restlos vernichten
Martin Möller

Im Jahre 1987 erschien der Film "The Big Easy" in den Kinos. Sein Held war der cajunische Polizeidetektiv Remy McSwaine. Der Autor des Filmes wußte zwar, daß "The Big Easy" ein Spitzname von New Orleans ist, was der Vorname seines eigenen Helden bedeutet, wußte er jedoch nicht, sprach er doch die Vermutung aus, es handele sich um die Abkürzung von Remington.

Dabei dürfte jedem Kenner der Cajun-Kultur sofort klar sein, daß der Vorname Remy nur auf eine Person hindeuten kann - den Heiligen Remigius, neben Dionysius (Denis) und der Heiligen Johanna einer der Schutzpatrone Frankreichs. Für einen Angehörigen der frankophonen, katholischen Cajun-Kultur ist es also mehr als natürlich, Remy zu heißen und er dürfte gewißlich auch wissen, was das bedeutet.

Der Namenspatron von Detektiv Remy lebte im Fünften Jahrhundert und wurde als junger Mann von 22 Jahren Bischof von Reims, das damals übrigens auch Remi hieß. Zuvor hatte er als Eremit gelebt. Seine Lebenszeit war von dem Problem des Arianismus geprägt, der zwar auf dem Allgemeinen Kirchenkonzil des Jahres 325 verurteilt worden war, jedoch in der Reichskirche fröhlichste Urständ feierte. Die Arianer hatten eine Vielzahl der Kirchen und Bistümer an sich gerissen und bedrohten den Bestand der Gesamtkirche. In diesem Moment versprach der Frankenkönig Chlodwig, sich taufen zu lassen, falls er die Schlacht nahe dem westlich Bonns gelegenen Eifelstädtchen Zülpich gegen die Alemannen gewönne. Dieses geschah und Chlodwig nahm in Gegenwart seiner bereits katholischen Gemahlin Chlothilde Religionsunterricht bei Remigius, der ihn daraufhin am Weihnachtstag des Jahres 496 taufte. Bei dieser Taufe wurden erstmalig die "Saint Ampulle", das Salbgefäß für die Weihe des Königs der Franken und die Lilienblüten, Ursprünge des französischen Wappens, verwendet.

Remigius sprach zu dem sicambisch-fränkischen Fürsten die denkwürdigen Worte: "Beuge nun, stolzer Sicamber, dein Haupt und unterwirf es dem sanften Joche Christi! Bete an, was du bisher verbrannt, und verbrenne, was du bisher angebetet hast!" Die Taufe des Chlodwig übte eine so prägende Wirkung auf zunächst die Franken und alsbald alle germanischen Stämme aus, daß der Arianismus besiegt werden konnte und Europa dem kirchlichen Glauben bis zur Reformation gewonnen war.

Die "Saint Ampulle", die das Öl zur Spendung der sakramentalen Königsweihe der fränkisch-französischen Könige enthielt, wurde fortan in der Kathedrale von Reims aufbewahrt, der Kirche, in der die französischen Könige gekrönt und an Haupt, Brust, Armgelenk und Schultern gesalbt wurden. Die sakramentale Weihe, die dem französischen Königtum in gleichem Maße wie anderen europäischen Kronen fortan eigen ist, vermittelte ihren Trägern einen heiligmäßigen Nimbus, der durch die stets am Krönungstag exekutierten Heilungen verstärkt wurde: "Der König berührt dich, Gott heilt dich!" lautete die Formel, die den Begünstigten Heilung von schwersten Krankheiten gewährte.

Tausend Jahre später ist Frankreich in großer Not - nicht durch die Arianer und Katharer aus längst vergangener Zeit; diesmal sind es die Engländer, die einer Landplage gleich Frankreich zu zerrütten suchen. Schon waren große Teile Nordfrankreichs von den Briten besetzt und selbst der Einsatz des blinden Königs Johann von Böhmen, des Vaters Kaiser Karls IV., vermochte keine entscheidende Wende herbeizuführen. Die Engländer gingen so weit, den französischen König Johann den Guten auf die britischen Inseln zu verschleppen und als Geisel gefangenzuhalten. Später hinderten sie durch Blockade den französischen König Karl daran, sich rechtmäßig krönen zu lassen. Da erschien als Rettung ein junges Mädchen, Jeanne la Pucelle, die in auswegloser Lage weisen Rat spendete. Sie wurde an die Spitze des königlichen Heeres gesetzt, das unter ihrer Führung Stadt um Stadt vom fremden Joch befreite. Von Chison aus kämpfte sich das Heer das Loiretal hinauf - Tours, Orléans, Auxerne und Troyes wurden vom Feinde gesäubert. Durch die Region der Champagne ging es hinunter zur Königsstadt Reims, wo Karl am 17. Juli 1429 in der Kathedrale gekrönt und mittels der Heiligen Ampulle gesalbt werden konnte.

Die Kathedrale hatte die einzigartige kirchliche und weltliche Rolle der Stadt seit der Zeit des Heiligen Remigius bewahrt, erst durch die hier vollzogene Weihe erlangten die französischen Regenten ihre Königswürde. Das streng geregelte Zeremoniell begann mit dem Einzug der Mönche von St. Remi, welche die Heilige Ampulle überbrachten, die zur feierlichen Salbung benötigt wurde, und endete mit der eigentlichen Krönung und Einsetzung des Monarchen. In der Kathedrale wurden auch die Reliquien des heiligen Bischofs Remigius aufbewahrt.

Wiederum 350 Jahre später: Frankreich versinkt im Terror der Französischen Revolution. Eine in der gesamten Menschheitsgeschichte zuvor völlig unvorstellbare Welle von Lüge, Haß, Niedertracht und haltlosem Zerstörungswillen fegte mit bestialischer Wut durch Frankreich und drohte ganz Europa in den Abgrund zu ziehen. Massenmord an Priestern, Ordensleuten und an allen, die am christlichen Glauben festhalten, wurde nun zum Siegel des Fortschritts. Kirche um Kirche wurde geschändet, Kloster um Kloster zerstört. Am 23. Oktober 1793 wurde auch die Heilige Ampulle zerschlagen und das Grabmal des Heiligen Remigius aufgebrochen und zerstört. Der Schrein wurde herausgeholt, die Silberplatten abgerissen, der Schrein aufgebrochen, die Tücher geöffnet, der Leichnam geschändet. Der Offizier Jean Paul Favreau rettete den Leichnam des Heiligen vor dem Verbrennen, indem er ihn zusammen mit einem eben im St. Remigius Hospital verstorbenen Soldaten auf dem nahen Friedhof bestatten ließ.

Trotz der Exzesse der Revolution und des Terrors war die enge Verbindung der Franzosen zu Kirche und Königtum nicht zu zerstören: Noch 1825 wurde der letzte König Frankreichs, Karl X., nach der überlieferten Weise geweiht und gekrönt. Dem Chrisma, das zur Krönungssalbung herbeigezogen wurde, war ein aus den Scherben der Ampulle geborgener Öltropfen beigemischt.


 
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