© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002

 
Heimkehr zu Gott
Vor 50 Jahren starb der Zeichner und Autor des Romans "Kaiserwetter", Karl Jakob Hirsch
Werner Olles

Ende der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts erschienen zahlreiche Romane, deren Schauplatz nicht die Metropolen waren, sondern die Provinz. Zu den besten "Provinzromanen" der Weimarer Republik gehörte Karl Jakob Hirschs "Kaiserwetter". Nach seinem Vorabdruck in der Frankfurter Zeitung unter dem Titel "Hohenzollernwetter" folgte im Herbst 1931 die Buchausgabe. Von der Literaturkritik als "erzählerisches Kabinettstück" begeistert gefeiert, wurde der Roman ein großer Erfolg. Den Hintergrund bildet die preußische Provinzhauptstadt Hannover, die Leitfiguren entstammen unterschiedlichen Klassen der wilhelminischen Welt. Ironisch, aber dennoch liebevoll entwarf der Autor das Bild einer betulichen Stadt, beschrieb ihre Straßen, Plätze, Villen, Parks und Kneipen und charakterisierte das kaisertreue Bürgertum, das die politische und soziale Ordnung der Republik für unzerstörbar und solide hielt, ebenso genau wie die Arbeiterschaft und die Kleinbürger oder die geächteten Elemente der Halb- und Unterwelt. In einer scheinbar intakten, korrekten und untadeligen Gesellschaft gehören sie alle zu einem Geflecht von Verstrickungen und Leidenschaften, in deren Fassaden sich trotz aller Glanz und Glorie jedoch bereits unübersehbare Risse zeigen, und kleine Erschütterungen die drohende Einsturzgefahr signalisieren.

Es sind der moralische Niedergang und die Sucht nach Genuß, die Gier nach schnellem Geld und sexuellen Ausschweifungen, die für den Autor zum Verfall des Wilhelminismus führen. In dem verlogenen Pathos, der falschen Moral und der Phrasenhaftigkeit einer Gesellschaft, die sich im Glanz des "Kaiserwetters" sonnte, erkannte Hirsch den Chauvinismus eines imperialistischen Systems, dem er die menschenleere Heidelandschaft entgegenstellte: "Da lag das Land im zarten Licht des Morgens, das arme ebene Land mit den Birkenalleen und den Kanälen. Braune Torfflächen und sattgrüne Wiesen unter einem heiteren Himmel, friedlichen Himmel (...) Auf den Weiden sah man das Vieh grasen, hörte Wiehern und Muhen. Unten auf der Chaussee zog wie ein winziger Punkt ein Wagen (...) Der zweite Augusttag ging weiter in den Morgen, in den Mittag, es wurde ein heißer, ein brennender Tag. In irgendeiner Stunde dröhnte der erste Schuß. Der erste Soldat fiel. Der Krieg hatte begonnen."

Karl Jakob Hirsch wurde am 13. November 1892 in Hannover geboren. Der Vater war ein angesehener Arzt, und Hirsch, zu dessen Vorfahren der bekannte Rabbiner Samson Raphael Hirsch gehörte, wuchs in der Atmosphäre des assimilierten jüdischen Bürgertums auf. Er studierte in München Kunstgeschichte, ließ sich zum Maler ausbilden und ging vor Ausbruch des Krieges nach Worpswede. 1916 wurde er eingezogen, doch schon bald an die Heimatfront nach Berlin abkommandiert. Hier setzte er seine künstlerische Arbeit fort. Expressionistische Zeitschriften reproduzierten seine Holzschnitte, Radierungen und Illustrationen. Mit Franz Pfemfert befreundet, gehörte er 1918 zu den Gründern der expressionistisch-revolutionären Künstlervereinigung "Novembergruppe". Hirsch arbeitete zunächst als Bühnenbildner und Ausstatter beim Film, entschied sich aber dann endgültig für das Schreiben. Als freier Journalist und Schriftsteller unternahm er große Reisen durch Europa und Nordafrika. In dieser Zeit journalistischer Tätigkeit entstanden die ersten Manuskripte des Romans "Kaiserwetter".

Als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, kam das Buch auf eine der ersten "schwarzen Listen". Hirsch hatte zwar noch 1933 unter dem Pseudonym Karl Böttner die Erzählung "Felix und Felicia" veröffentlichen können, aber ein Jahr später mußte er emigrieren. Im dänischen Exil schrieb er den Roman "Hochzeitsmarsch in Moll", der in Fortsetzungen in der "Jüdischen Bibliothek", der Literaturbeilage des Israelitischen Familienblattes erscheinen konnte, obwohl sein Autor längst ausgebürgert war. Als Zeugnis einer existentiellen Heimatlosigkeit und Entwurzelung gehört dieses autobiographische Buch, das im Schicksal des jüdischen Intellektuellen Heller Hirschs eigene Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit schildert, die er als Emigrant angesichts der Vertreibung aus Deutschland und der Beraubung seines kulturellen Lebensraums empfand, zu den politisch brisantesten Romanen des politischen Exils. Wie sein Held suchte auch Hirsch verzweifelt nach einem Ausweg aus seiner Glaubens- und Identitätskrise, die eng mit dem Verlust seiner religiösen und politischen Heimat verknüpft war.

Nach einem kurzen Zwischenspiel als Kunst- und Theaterkritiker in der Schweiz übersiedelte er 1936 nach New York. Hier veröffentlichte er seine Exilromane "Heute und Morgen" und "Tagebuch aus dem Dritten Reich" und schrieb für die deutschsprachige Neue Volkszeitung. Seinen Aufrufen zum Kampf gegen den Nationalsozialismus blieb der Erfolg jedoch sowohl bei den Emigranten als auch den Deutschamerikanern versagt. Als ökonomische Probleme hinzukamen, trat Hirsch resigniert in die Dienste des Civil Service ein, wo er mit der Zensur von Briefen befaßt war. 1945 kehrte er nach Deutschland zurück und war in München zwei Jahre für die Amerikanische Militärbehörde tätig. Nach einem erneuten Zwischenspiel in den USA ließ er sich 1948 endgültig in München nieder.

Hirsch kehrte als überzeugter Protestant in die Heimat zurück. Aus dem linksintellektuellen Freidenker und Nachfahren eines Rabbiners war in den Jahren des Exils ein gläubiger Christ geworden. In seinem 1946 erschienenen autobiographischen Buch "Heimkehr zu Gott. Briefe an meinen Sohn" schrieb er: "Mein Weg als Jude führte zu Christus; freudig und ohne jedes Zögern tat ich diesen Schritt, weil ich nicht anders existieren konnte. Es ist der einzige Weg, den jeder Jude begreifen sollte. Wenn einige diesen Schritt, den ich tun mußte, mißverstehen, wenn sie mir vorwerfen sollten, daß ich mich vor dem Judenschicksal retten wollte, so muß ich sagen, daß es nicht um Rettung, sondern um Erlösung geht."

Hirsch verlor durch seine Konversion alle jüdischen Verwandten und Freunde, aber er war dennoch hoffnungsvoll gestimmt, weil er dies, wie er einem Freund gestand, nicht anders erwartet hatte. Aber der literarische Erfolg wollte sich nun nicht mehr einstellen. Als er sich auch noch leidenschaftlich für die friedliche Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten einsetzte, mußte er erfahren, wie schwierig es in den Zeiten des Kalten Krieges war, als politischer Schriftsteller zu reüssieren. Von Resignation, Leid und Not gezeichnet, ließ seine Lebenskraft immer stärker nach. Am 8. Juli 1952 starb Karl Jakob Hirsch nach schwerer Krankheit in München. Sein umfangreicher Nachlaß wird in der Universitätsbibliothek München aufbewahrt.

Karl Jakob Hirsch (1892-1952): Ausweg aus der Glaubenskrise


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen