© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002

 
Europa, feige und neidisch
USA: Träume und Alpträume der Neokonservativen
Paul Gottfried

Der Anti-Amerikanismus in Europa nimmt zu, aber ebenso der Anti-Europäismus in Amerika. Seit einigen Jahren schon, besonders aber nach den Terrorangriffen vom 11. September, führt die amerikanische Rechte eine Spottkampagne gegen Europa und die Europäer. George Bushs Visite in Deutschland, Frankreich und Italien hat nicht geholfen, sie einzudämmen, im Gegenteil. Allein die Tatsache, daß Bush einen Auftritt in Berlin wählte, um anzudeuten, daß er alle unmittelbaren Pläne für einen Militärschlag gegen den Irak aufgegeben habe, hat die Ressentiments der amerikanischen Rechten gegen die "Euro-Winzlinge" verstärkt. Wenn die Falken ihren Krieg nicht bekommen, dann werden sie mit Sicherheit einen Großteil der Schuld auf den Zynismus Europas schieben, dessen Feigheit - und den pathologischen Antisemitismus der Europäer.

Es gibt in den USA traditionelle Konservative mit viel Sympathien für Europa. Aber die Establishment-Rechte, die gegenwärtig politisch den Marsch bläst und nahe am Ohr des Präsidenten sitzt, diese Rechte ist keinesfalls traditionell konservativ, sondern "neo-konservativ". Ihre Botschaft verbreitet sie über so einflußreiche Organe wie Rupert Murdochs Weekly Standard, die National Review und das Wall Street Journal. Was die Neokonservativen verbindet, ist ihr Glaube an die moralische Notwendigkeit eines amerikanischen Empires und ihr tiefes Mißtrauen gegen die Europäer, die dieses Unterfangen behindern könnten.

Der neokonservativen Anklage gegen Europa liegt die Überzeugung zugrunde, daß die Europäer von Demokratie nichts verstünden. Deshalb seien sie nicht geeignet, hätten nicht den rechten Eifer, beim globalen Kampf gegen die Terroristen mitzumachen. Es ist eine Neuversion des Manichäismus, die in Bushs Warnung anklingt, wer nicht für seinen Krieg gegen den Terrorismus sei, müsse dagegen sein und gerate eventuell ins Zielvisier der Anti-Terror-Allianz.

Frankreich wird von den Europa-Hassern am meisten verachtet, trotz der starken Bande, die einstmals zwischen den jungen USA und Frankreich existierten. In der Tat hätten die USA niemals ihre Unabhängigkeit erlangt, wenn nicht die französische Militärmacht und Spendenfreudigkeit geholfen hätte. Jonah Goldberg, einer der Chefredakteure der National Review und eine konservative Fernsehberühmtheit, hat eine besonders schlechte Meinung von den Franzosen, die er einmal als "cheese-eating surrender monkeys" (in etwa: "käsefressende Angsthasen") bezeichnete. Ende April bemerkte Goldberg, "Frankreich ist immer noch ein Gehege voll linker Esel. Le Pens starkes Abschneiden hat nur die Artenvielfalt ein wenig erhöht." Darüber hinaus sei Frankreichs absurdes politisches System gefährlich für die Demokratie, wenn die USA sich erlauben würden, etwas so Groteskem zu folgen.

Letztes Jahr schon hatte Goldberg verärgert festgestellt, daß die Europäer nicht bedingungslos auf die Linie der amerikanischen Außenpolitik einschwenken wollten, zeige, was für jerks (Wichser) die Europäer doch sein könnten. Er erläuterte, mit dem Begriff wolle er "eine Koalition aus selbsthassenden Intellektuellen und kraftlosen Bürokraten beschreiben, die aus Verstörtheit (wie im Falle Deutschlands) ihre nationalen Identitäten aufgegeben haben oder eine neue europäische Identität als trojanisches Pferd für eigene kulturelle Ambitionen nutzen wollten (wie etwa die Franzosen oder Belgier)". Die Europäer, wußte Goldberg, hätten auch viel mehr Grund sich zu schämen, als es die US-Amerikaner tun: "Amerika hat nun wirklich keine koloniale Vergangenheit wie Europa. Sicher, wir haben die Lateinamerikaner ein wenig drangsaliert, aber das ist kaum zu vergleichen mit der Lenkung ganzer Länder über Jahrhunderte."

Eine andere Feder der National Review, Viktor Davis Hanson, äußerte jüngst ihre Unzufriedenheit mit dem bislang ungekannten Grad der Feindseligkeit, die eine Truppe europäischer Intellektueller den USA entgegenbringe. Nach Hanson beruht die Feindseligkeit auf purem Neid, einer der Hauptsünden der Europäer. Der Neid sei gepaart mit einem wohlfahrtstaatlichen Sozialismus und dem blanken Unvermögen der Europäer, das Ausmaß der amerikanischen Tugend zu erfassen.

Hansons Bemerkungen verraten den Kern der herablassenden Einstellung: Millionen amerikanischer Soldaten, so argumentiert er, stoppten aus uneigennützigen Motiven den Aderlaß des Ersten Weltkrieges und wurden zwei Jahrzehnte später erneut von den trotzköpfigen Staaten Europas in einen weiteren Kampf gezwungen. Hansen beharrt darauf, daß die besetzen westeuropäischen Länder "nur durch den Einsatz kräftiger und unverdorbener Amerikaner befreit wurden". Diese Art der Darstellung ist typisch für die arrogante, ahistorische Rhetorik eines Großteils der amerikanischen Rechten. Sie ist eine Beleidigung der britischen, französischen, polnischen und anderen Truppen, die im Westen kämpften.

Der einflußreiche Weekly Standard drängt ohne Unterlaß, die Europäer moralisch zu unterwerfen, sie einzuschüchtern. Die beiden Chefredakteure Robert Kagan und William Kristol erachten eine amerikanische Dominanz in Europa für notwendig, da die USA eine moralische Mission hätten, die demokratischen Werte dem Rest der Welt zu bringen. Gleichzeitig hätschelt man eine andere beispielhafte Demokratie: Israel. Europäische Opposition gegen amerikanische Herrschaftstendenzen findet der Weekly Standard inakzeptabel. Ein Erklärungsansatz der Diskrepanzen zwischen den USA und Europa kam von Fred Barnes, der vor kurzem titelte: "Warum Bush gegenüber Europa eingeknickt ist". Ganz im Sinne Kristols schrieb Barnes, "Amerika ist nationalistisch, religiös und kriegerisch, wogegen die Europäer post-nationalistisch, post-christlich und pazifistisch sind. Anders als das verrottete Europa glaubt Amerika, besonders Präsident Bush, daß der Nationalstaat in der Weltpolitik der bestimmende Akteur ist."

Die Anklage, daß alle Europäer Memmen seien, geht Hand in Hand mit der Behauptung, sie seien faschistische Rabauken. In den Tagen nach der ersten Runde der französischen Präsidentenwahl Ende April, als man den "rechtsextremen" Nationalisten Le Pen schon ganz nach oben schwimmen sah, da schäumten fast alle konservativen US-Kolumnisten gegen die Rechtsausleger, die angeblich Europas nationalistische Vergangenheit verkörperten. In der Washington Post bezichtigten George Will und Charles Krauthammer europäische konservative Nationalisten, sie hätten die Atmosphäre geschaffen, welche zur Verwüstung jüdischer Einrichtungen in Frankreich oder Belgien führte.

Will lenkte die Aufmerksamkeit auf den "Boom des Antisemitismus" in der alten Welt. "Seit 1945 hat Europa das wirklich bemerkenswerte Phänomen eines Antisemitismus ohne Juden hervorgebracht." Le Pens "wäßrig antisemitischer Populismus" mußte einleitend herhalten, ebenso die Kritik einiger europäischer Führer an Ariel Scharons Besatzungspolitik in palästinensischen Gebieten. Dann bereitete Will die Leser auf das Schlimmste vor: "Europäische Antisemiten sind getrieben von ihrem total irrationalen Haß. Sie attackieren Israel, denn mit so vielen Juden 'konzentriert auf einem Platz' ist es möglich, die Weltjudenheit auszulöschen."

Ein paar Tage zuvor hatte Krauthammer Amerika gelobt, da es "Moralität über Realpolitik" stelle und seine "prinzipielle Unterstützung für Israel" unabänderlich sei. Frankreich dagegen liebe die Nuancen. "Was wir sehen", stellte Krauthammer fest, "ist verhaltener Antisemitismus, das Auslassen eines jahrtausendalten Drangs - mit Israel als Auslöser." Die letzten fünfzig Jahre seien insofern eine historische Anomalie gewesen, als der Antisemitismus sich nicht hervorgetraut habe. "Holocaust-Scham hat den Dämon für ein halbes Jahrhundert in der Flasche gehalten. Aber jetzt ist die Zeit der Buße vorbei. Der Geist ist wieder draußen." Mit solch dramatischen Phrasen traktiert Krauthammer jene, die der selbsternannten amerikanischen Stimme der Moral widersprechen. Sie entweder als "Nazis" oder bibbernde Pazifisten zu beschimpfen ist die bequeme Art, mit der unsere etablierte Rechte Europäer abfertigt, die es wagen, die US-Außenpolitik zu hinterfragen.

Die meisten amerikanischen Neokonservativen geben vor, das Hinscheiden der europäischen Nationalstaaten zu betrauern. Ob sie das ernst meinen, ist die Frage. Was sie zuletzt wollen, sind nationalistische Europäer. Das ist unter allen Umständen inkompatibel mit amerikanischen Interessen. Denn mit Ausnahme der USA und Israel (und einem gefügigen Britannien) fürchten und verabscheuen Neokonservative die Nationalstaaten. Sie gehen dabei soweit, mit der Linken zu paktieren, um nationalbewußte Konservative, besonders diejenigen mit Verbindungen zur einwanderungskritischen Rechten, von der Macht fernzuhalten. Nicht aber, daß der neokonservative Traum der eines US-Nationalstaates im traditionellen Sinne sei: Was sie wollen, ist ein zur Schlacht bereites amerikanisches Empire, das ihre Wünsche erfüllt.

 

Prof. Dr. Paul Gottfried lehrt Klassische Philologie und Staatswissenschaften an der Elizabethtown College der Universität in Pennsylvania. Der vorliegende Aufsatz erschien zuerst in der britischen Zeitschrift "The Spectator", die deutsche Übersetzung erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Autors.


 
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