© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002

 
Als Napoléon der Medien gescheitert
Vivendi-Krise: Aufstieg und Fall des Ex-Konzernchefs Jean-Marie Messier / Französich-amerikanische Firmenehe ohne Erfolg
Charles Brant

Der Sturz war schwindelerregend. Nachdem die Finanzrating-Agentur Moody's ihre Kredit-würdigkeit auf Ramschniveau herabgestuft hatte, verlor die Vivendi-Aktie am 2. Juli 40 Prozent und wurde zeitweilig vom Handel ausgesetzt. Am nächsten Tag büßte die Aktie weitere 21 Prozent ein. Schon seit einiger Zeit stand bei dem größten privaten Arbeitgeber Frankreichs nicht mehr alles zum besten.

Vivendi hat sich von seinem Rekordverlust von 13,6 Milliarden im Jahr 2000 nie ganz erholt und war in Höhe von 34 Milliarden Euro verschuldet. Der Streit mit der Führungsriege des Bezahlfernsehsenders "Canal+" und der Rücktritt von dessen Vizepräsidenten Denis Olivennes im April machte schließlich auch die Medien hellhörig. Damals traute man Messier noch zu, die Krise zu meistern. Wie sollte ein Mann scheitern, der sich selbst den Spitznamen J2M verliehen und daraus den Ehrentitel J6M gemacht hatte: Jean-Marie Messier Moi-Même Maître du Monde, der Meister des Universums höchstpersönlich! Am 3. Juli mußte der französische "Supermann" seine Niederlage endlich eingestehen und gehen. "Ich gehe, damit Vivendi überleben kann", verkündete er heldenmütig.

Zu Messiers Nachfolger für die nächsten sechs Monate ernannte der Verwaltungsrat den als harten Firmensanierer bekannten Jean-René Fourtou. Der mit Ex-Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing befreundete 63jährige Ingenieur und Unternehmensberater wurde 1986 Generaldirektor des staatlichen Pharma- und Chemieriesen Rhône-Poulenc. Der bei Bordeaux geborene Fourtou baute den 1993 privatisierten Konzern radikal um und international aus, steigerte aber auch dessen Schulden und führte ihn so in die Fusion mit der deutschenHoechst AG zur Aventis-Gruppe. Als Vize von Aventis-Vorstandschef Jürgen Dormann sammelte er Erfahrungen mit grenzüberschreitenden Firmenehen. Messier soll seinem Rücktritt nur unter der Bedingung zugestimmt haben, daß ein Franzose den Interimsvorsitz übernahm. Ein Finanzkomitee unter Aufsicht des AXA-Chefs Claude Bébéar soll für Einsparungen und Transparenz sorgen. Die 380.000 Angestellten des internationalen Wirtschaftsgiganten fürchten nicht nur um ihre Arbeitsplätze, sondern rechnen mit einer Zerschlagung des Konzerns.

Messier gefiel sich in der Rolle eines "Napoléon der Medien". Sein Waterloo ist ein klassischer Fall von übermäßigem Ehrgeiz und beendet den kometenhaften Aufstieg eines Produktes der französischen Oligarchie. 1956 in Grenoble geboren, absolvierte er die Elitehochschulen École Polytechnique und ENA (École normale d'administration) und schlug - genau wie Valéry Giscard d'Estaing - zunächst eine Laufbahn als Finanzinspektor ein, bevor er 1986 die politische Bühne betrat. Unter Premier Jacques Chirac leitete er das Büro des Staatssekretärs für Privatisierungen, Camille Cabana, und befaßte sich intensiv mit der Privatisierungspolitik der britischen Premierministerin Margaret Thatcher. Weil er glaubte, in dieser Funktion mehr ausrichten zu können, wechselte er als Berater in Édouard Balladurs Wirtschaftsministerium.

Nach der Wiederwahl François Mitterrands zum Präsidenten 1988 kehrte er dem Staatsdienst den Rücken und wurde Geschäftsführer der einflußreichen Investmentbank Lazard Frères. Nicht zuletzt der Gunst des Präsidenten und Gründers der Großunternehmerverbands AFEP, Ambroise Roux, hatte Messier es zu verdanken, daß er 1994 Generaldirektor der Compagnie générale des eaux (CGE) wurde, die sich mit ihrer Rivalin Lyonnaise des Eaux ein staatliches Wassermonopol teilt und traditionell die Parteienfinanzierung garantiert. Als Messier zwei Jahre später CGE-Präsident wurde, legte er sich zur Feier des Tages den Spitznamen J2M zu.

Messier führte die 1853 gegründte CGE in draufgängerischer Art. Zunächst trieb er sie in Richtung der Telekommunikation: Die CGE wurde Hauptaktionär des Medienunternehmens Havas und betrat mit Cégétel den Telefonmarkt. 1998 wurde die inzwischen mit Havas fusionierte CGE in Vivendi umbenannt. Messier bemühte sich um Geschäftsbündnisse und träumte zeitweilig davon, mit der der deutschen Mannesmann AG zu fusionieren und einen europäischen Telekommunikationsriesen zu kreieren. Sehr bald versuchte er, sein Imperium weltweit auszudehnen. Er prophezeite: "Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Industrien, das 21. wird das der Dienstleister sein."

Pünktlich zur Jahrtausendwende änderte er seinen Namen in J6M. Im März 2000 erreichte die Vivendi-Aktie ihren Höchststand von 150 Euro. Im gleichen Jahr fusionierte Vivendi mit der US-kanadischen Seagram-Gruppe und "Canal+", um als Vivendi Universal nach AOL Time Warner zum zweitgrößten Medienkonzern der Welt zu werden. Wasser interessiert Messier schon lange nicht mehr. Zu seinem Imperium gehören neben den Universal-Filmstudios, Musik- und Zeitungsverlage, Internetanbieter sowie der auch in Deutschland aktive Eisenbahnbetreiber Connex.

Die Medien machen Messier zum Star: Er ziert das Titelblatt sämtlicher Zeitschriften, veröffentlicht ein Buch und trägt Wortgefechte mit dem französischen Literaturpapst Philippe Sollers aus. Messier philosophiert über Frankreichs kulturellen Sonderweg. Über seine Großspurigkeit sieht man gerne hinweg, um seine Tugenden zu loben: Er ist das Sinnbild der französischen Leistungsgesellschaft. Er ist der leibhaftige Fortschritt auf dem Gebiet der neuen Technologien, der kleine Franzose, der sich von den Amerikanern nicht einschüchtern läßt.

Als er sich in den USA niederläßt, erscheinen Fotoreportagen, die ihn in Hollywood oder in seinem 15-Millionen-Dollar-Appartement in der New Yorker Park Avenue zeigen. Die französische Oberschicht ist begeistert davon, wie Messier den "amerikanischen Traum" auslebt. Präsident Chirac und Premierminister Lionel Jospin beglückwünschen ihn. Messier stimmt Lobgesänge auf die Mondialisation an und brüstet sich gleichzeitig, der Verleger des Bauernaktivisten und Globalisierungsgegners José Bové zu sein. Messier hielt es für klug, der Sozialistischen Partei Geld zu spenden, und setzte in seiner Firma eifrig Martine Aubrys Gesetz zur 35-Stunden-Woche in die Tat um. Vivendi überlebte die Seifenblase Internet und die Börsenflaute ab 2001.

Nach Messiers Fall lösten sich die Zungen. Vivendis Großaktionäre, die sich stets der Kritik enthalten hatten, beanstandeten plötzlich seinen selbstherrlichen Führungsstil und seine widersprüchlichen Ziele. Le Monde wirft ihm vor, erst von der Pariser Börsenaufsicht daran gehindert worden zu sein, die Bilanz des letzten Jahres um 1,5 Milliarden Euro zu beschönigen. Andere sagen, er hätte die historischen Funktionen der CGE nicht vernachlässigen dürfen. Die Gewerkschaften melden sich zu Wort und fordern Rechenschaft. Marc Blondel, der trotzkistische Vorsitzende der Gewerkschaft CGT-FO, erklärte, die Affäre Vivendi beweise, daß Frankreich weder auf den Industriesektor noch auf eine dirigistische Wirtschaft verzichten kann. Leitartikler wie Jacques Julliard im Nouvel Observateur machen den Finanzkapitalismus mit seinen Luftschlössern verantwortlich.

Merkwürdig ist auch das Verhalten der Großaktionäre, die Messier erst im allerletzten Moment zum Rücktritt zwangen. Es wird gemunkelt, daß enge Vertraute Chiracs - Claude Bébéar, Henri Lachmann und Jacques Friedmann - auf Weisung aus dem Präsidentenpalast diskret eingegriffen und Messier den beruflichen Todesstoß versetzt haben. Dennoch wagen die wenigsten, ein Schlaglicht auf die inzestuösen Beziehungen zwischen dem französischen Kapitalismus und dem Staat zu werfen - geschweige denn auszusprechen, daß die Regierung ähnliche Funktionen ausübt wie einst die Nomenklatura der Sowjetunion. Auch die mangelnde Stabilität eines Kapitalismus ohne Kapital wird nirgends angesprochen: Anglo-amerikanische und japanische Fonds sichern vierzig Prozent des Kapitals an der Pariser Börse. Die Franzosen legen ihr Geld lieber in Immobilien an.

Messiers Schicksal erinnert an den Schiffbruch eines anderen Ex-Finanzinspektors, der die französischen Steuerzahler teuer zu stehen kam: den des Jean-Yves Haberer an der Spitze der Bank Crédit Lyonnaise. Offensichtlich hatte keiner der beiden Männer das Zeug zum echten Kapitalisten, wie ihn die Nationalökonomen Werner Sombart und Joseph Schumpeter definiert haben.


 
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