© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002

 
Verhöhnung dauert an
DDR-Unrecht: Veranstaltung erinnert an Walter Linse
Theo Mittrup

Mit einer Filmvorführung und anschließender Diskussion erinnerte die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen an die Verschleppung des West-Berliner Rechtsanwalts Walter Linse vor fünfzig Jahren, am 8. Juli 1952, durch Handlanger des Staatssicherheitsdienstes der DDR.

Walter Linse war Mitarbeiter des "Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen" (UfJ), der Unrechtsurteile und andere Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR erfaßte und öffentlich anprangerte. So geriet man früh ins Visier der sozialistischen Geheimdienste, die auch nicht vor der Verschleppung von Mitarbeitern des UfJ zurückschreckten.

Bengt von zur Mühlen zeichnet in seinem 1996 entstandenen Film "Der Fall Walter Linse. Rekonstruktion eines Justizmordes" die Odyssee des frühen Menschenrechtlers nach: Am 8. Juli 1952 wird er unweit seines Hauses in West-Berlin auf offener Straße angegriffen, überwältigt und in ein Auto gezerrt. Da das Entführungsopfer sich verzweifelt wehrt, schießen ihm die Entführer eine Kugel ins Bein. Linse wird in das zentrale Stasi-Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen verbracht. Im dortigen Gefängniskeller wird er brutal verhört und gefoltert. Am 3. Dezember 1952 wird Linse dem sowjetischen Geheimdienst NKWD in Karlshorst übergeben. Hier setzt sich sein Martyrium fort. Im September 1953 wird Linse wegen angeblicher Spionage zum Tode verurteilt. Er wird nach Moskau überführt, wo er nach Ablehnung seines Gnadengesuchs im Dezember 1953 erschossen wird. Seine Familie und die westdeutsche Öffentlichkeit bleiben über Jahre hinweg in Unkenntnis über sein Schicksal. Offiziell gaben sich die sozialistischen Herrscher unschuldig am Verschwinden Linses. Erst die im Rahmen der "Perestroika" mögliche Aufklärung über das stalinistische Unrecht und über die Justizmorde seit Ende der achtziger Jahre brachte eine Wende. Walter Linse wurde schließlich 1996 von den russischen Behörden rehabilitiert.

Vor etwa fünfzig Besuchern würdigte der renommierte Stasi-Forscher Karl-Wilhelm Fricke, einst selber Entführungsopfer der Stasi, den UfJ als eine Einrichtung, die "mäßigend" auf die Verantwortlichen in der SBZ respektive DDR gewirkt habe. Die Machthaber beobachteten nämlich sehr wohl, daß im Westteil Deutschlands ihre Unrechtstaten penibel registriert und sogar Anklage gegen sie erhoben wurde. Trotzdem halte die Diffamierung des UfJ bis heute an, so Fricke. Insbesondere aus Kreisen wie dem der ehemaligen Generäle des Ministeriums für Staatssicherheit - Werner Irmler und Willy Opitz, Mielke-Stellvertreter Wolfgang Schwanitz und Mielkes Redenschreiber Reinhard Grimmer, die jüngst im früheren Redaktionsgebäude des Neuen Deutschland ihr Buch "Die Sicherheit. Zur Abwehrarbeit des MfS" vorstellten - wird der "Untersuchungsausschuß für Juristen" weiterhin im Jargon des Kalten Krieges als "Spionage- und Agentenzentrale" verleumdet.

Während der Publikumsdiskus-sion zeigte sich, daß auch einige ehemalige Entführungsopfer der Stasi den Weg in die Gedenkstätte gefunden hatten. Sie schilderten dem staunenden Publikum die Einzelheiten ihrer Entführungen. Auch ein Augenzeuge der Entführung Walter Linses meldete sich zu Wort. Er hatte damals beobachtet, wie das Entführungsfahrzeug in rasender Geschwindigkeit einen schmalen Fußgängerüberweg an der damaligen Innerberliner Grenze überquerte. Offenbar wurde der Entführer-Pkw bereits erwartet, denn die Grenzpolizisten hätten beim Herannahen des Wagens sogleich den Schlagbaum geöffnet, während ein sowjetischer Soldat seine Kalaschnikow anlegte, um gegebenenfalls zu verhindern, daß Verfolger die Grenze überquerten.

Die Bezeichnung Walter Linses im Film als "Opfer eines stalinistischen Justizmordes" sorgte schließlich noch für eine lebhafte Debatte zum Begriff "Stalinismus". Einige Gäste sahen in ihm eine kommunistische Tarnbezeichnung, die verschleiere, welche Ideologie tatsächlich hinter den Verbrechen stehe. Daß manche Opferverbände den Begriff in ihren Namensbezeichnungen aufgenommen hätten, sei ein strategischer Fehler gewesen. Fricke erwiderte, man könne beim Stalinismusbegriff geteilter Meinung sein, und verwies auf Nikita Chruschtschow, der bereits nach dem Tod Stalins die stalinistischen Verbrechen aufs schärfste verurteilt habe.


 
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