© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002

 
Panik in Sarajevo
Der Streit um das UN-Mandat für Bosnien kaschiert viele Probleme
Carl Gustaf Ströhm

Alle Tiere sind gleich - aber einige sind gleicher als die anderen." Dieser Satz George Orwells trifft auf die Bush-Administration zu. Der US-Präsident macht aller Welt unverhohlen klar, daß die USA als einzige Supermacht eine privilegierte Position in der internationalen Gemeinschaft beanspruchen.

George W. Bush verweigert die Beteiligung am Internationalen "Strafgerichtshof" - also an einem UN-Tribunal, das in Zukunft etwaige Kriegsverbrechen aburteilen soll. Bush verlangt eine Garantie dafür, daß US-Soldaten keinesfalls an einen solchen Gerichtshof ausgeliefert werden dürfen. Während alle anderen, die sich an etwaigen Kampfhandlungen beteiligen müssen - darunter auch Deutsche - sich der "internationalen" Strafjustiz zu unterwerfen haben, genießen US-Soldaten Immunität. So könnten jene US-Piloten, die letzte Woche in Afghanistan eine Hochzeitsgesellschaft irrtümlich bombardierten, nicht einmal wegen fahrlässiger Tötung belangt werden.

Daher wirkt es befremdlich, wenn die USA von Serbien, aber auch von anderen Teilnehmern der Balkankriege bedingungslose Unterwerfung unter das Haager Jugoslawien-Tribunal und Auslieferung aller Verdächtigten verlangen - die eigenen Soldaten aber von jeder Verantwortung ausnehmen. Zugleich haben die USA in Bosnien-Herzegowina damit eine mittlere Lawine ausgelöst: um der Forderung nach Straffreiheit für US-Soldaten Nachdruck zu verleihen, blockiert Washington die Verlängerung des UN-Mandats. Statt um sechs Monate, wurde das Mandat nur um zwölf Tage verlängert.

Das wiederum löste bei den internationalen Statthaltern in Sarajevo Panik aus. Wenn es kommende Woche nicht zu einer Einigung kommt, könnte die westliche Präsenz in der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik zusammenbrechen. Die 1.500 Bundeswehrsoldaten, die in der Stabilisation Force (SFOR) dienen, hängen von einem gültigen UN-Mandat ab. Gibt es dieses nicht, muß der Rückzug in die Heimat angetreten werden.

Die Aussicht hat bei manchen deutschen Bosnien-"Experten" Panik hervorgerufen. Außenminister Joseph Fischer, der sich inzwischen zum Meister der nichtssagenden Floskeln entwickelt hat, kam gar zu der "Einsicht", man müsse zu einem Kompromiß kommen, bei dem einerseits das Statut für den Internationalen Strafgerichtshof nicht negativ verändert, andererseits die "erfolgreiche" Friedensmission in Bosnien fortgesetzt werden kann. Das klingt allerdings nach der altbekannten Aufforderung: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß."

Es wäre nämlich zu fragen, ob die vielzitierte internationale Staatengemeinschaft samt all ihren Soldaten, Polizisten und Bürokraten gerade in Bosnien wirklich so erfolgreich war und ist, wie man es den oft nach Eigenlob schmeckenden Selbstbeweihräucherungen entnehmen kann.

Oft haben die SFOR-Truppen und internationale Bürokraten sich in der diffizilen bosnischen Situation aufgeführt wie Elefanten im Porzellanladen: man denke etwa an den "Überfall" von SFOR-Truppen auf die Herzegowina-Bank in Mostar, die vom inzwischen abgelösten "Hohen Repräsentanten" Wolfgang Petritsch (SPÖ) vor allem gegen die "ungehorsamen" Kroaten inszeniert wurde - und die, trotz vollmundiger Ankündigung, man werde jetzt die "Geldwäscher" stellen, endete wie ein Hornberger Schießen. Solche Vorfälle lassen, ebenso wie der jetzige amerikanisch-europäische Konflikt um die Mandatsverlängerung, bei den Bewohnern Bosniens den Eindruck entstehen, der Westen ge- oder mißbrauche das kriegszerstörte Land für eigene Machtspiele, während das humanitäre Interesse an Bosnien längst abgeflaut ist.

Der katholische Bischof von Banja Luka, Franjo Komarica - ein Mann von hohem internationalen Ansehen - sagte unlängst, ihm sei nicht klar, "was eigentlich die zuständigen internationalen Vertreter hier in Bosnien vorhaben". Diese hätten längst die Möglichkeit gehabt, einen Rechtsstaat zu errichten - aber das sei bisher nicht passiert. In Bosnien besäßen noch immer Hunderttausende Menschen nicht die Grundrechte - etwa das Recht auf Heimat, auf das eigene Haus, auf eigene Identität, Sprache, Kultur und Ausübung der Religion.

In einem Deutschlandfunk-Interview sprach der sonst eher zurückhaltende Bischof von der "Unentschlossenheit, Uneinigkeit, Unredlichkeit und Unehrlichkeit der internationalen Vertreter". Trotz internationaler Präsenz und SFOR seien, so Komarica, "die Kriegsverbrecher (im serbischen Teil Bosniens) noch immer an der Macht". Von 220.000 aus der "Republika Srpska" vertriebenen Kroaten seien bisher nur etwa 6.000 zurückgekehrt. "Für diese Leute", so Komarica, "gibt es weder politische, noch rechtliche, noch materielle Unterstützung."

Was Bischof Komarica sagt, müßte die westlichen Politiker zu beiden Seiten des Atlantiks zutiefst nachdenklich stimmen. Die naive Vorstellung des deutschen Außenministers, man müsse die jahrhundertelang gewachsenen Strukturen, die Religionsgemeinschaften und Nationen nur fleißig "demokratisieren" und alles sei gelöst, geht meilenweit an der südosteuropäischen Realität vorbei. Gerade in Bosnien gilt die Parole: "Weniger internationale Besserwisserei und mehr Einfühlung und Respekt."


 
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