© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002

 
Furchtbare Juristen
von Franz Uhle-Wettler

Bei den Schlagworten "Furchtbare Juristen, furchtbare Moral" fielen bisher nur NS-Juristen sowie zwei weitere Fälle ins Auge: Kurz nach der Wende wurde DDR-General Erich Mielke wegen zwei 60 Jahre zuvor begangener Morde verurteilt; 1995 erreichte die italienische Justiz nach vier Prozessen das gewünschte "Lebenslänglich" für den fast 90jährigen Erich Priebke wegen einer ebenfalls 60 Jahre zurückliegenden (angeblichen) Straftat. Nun tritt ein dritter Fall hinzu, der dem Fall Priebke ähnelt: 1944 hatten italienische Partisanen (aus anderer Sicht: Terroristen) im Wehrmachtskino "Odeon" in Genua eine Bombe gezündet. Fünf oder sechs Soldaten starben. Als Repressalie erschoß das SS-Kommando Genua unter Leitung des SS-Majors Friedrich Engel 59 Italiener. Die Attentäter werden in Italien bis heute als Helden gefeiert.

Engel konnte - wie Priebke - jahrzehntelang unbehelligt und bald auch unter seinem Namen eine achtbare Existenz aufbauen. Doch in einem veränderten Klima wurde auch er jetzt vor Gericht gezogen. Der Hamburger Richter mußte Engel zugestehen, daß seinerzeit eine Geiselerschießung zulässig war. Aber die Erschießung sei in "gefühlloser Gesinnung" grausam erfolgt. Das rechtfertige 58 Jahre nach dem Geschehen sieben Jahre Haft für einen 93jährigen. Sogar wenn das zutrifft: Einst gab es Verjährung. Vor allem gab es einst Gnade. Doch es gibt sie wohl nicht bei furchtbaren Juristen und einer furchtbaren Moral.

 

Franz Uhle-Wettler, Generalleutnant a.D., war bis 1987 Kommandeur des NATO-Defense College in Rom


 
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