© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002


Internationaler Strafgerichtshof
Europas spätes Erwachen
Dieter Stein

Heftiger Streit ist um die Installierung des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) in Den Haag entbrannt. Insgesamt 139 Staaten haben bislang das Römische Statut des IStGH von 1998 unterzeichnet, 40 von ihnen müssen noch die Ratifikationsurkunde bei der Uno in New York hinterlegen. Zu heftigen diplomatischen Verstimmungen hat geführt, daß sich neben Israel, China und Rußland nun auch die USA weigern, den IStGH anzuerkennen, den sie ursprünglich unter Präsident Clinton unterstützt hatten. Die USA drohen damit, amerikanische Staatsbürger, die vor dem Gericht angeklagt würden, notfalls mit Gewalt zu befreien. Anerkennen wollen die USA den Gerichtshof nur, wenn US-Bürgern Straffreiheit zugesichert wird.

Die USA waren ursprünglich Schöpfer von "Tribunalen" und "Kriegsverbrecherprozessen". Voraussetzung war dabei stets, daß die USA als selbsternannter Hort von Demokratie und Menschenrechten selbstverständlich stets nur auf der Anklägerseite sitzen konnten - trotz Hiroshima, Dresden und Vietnam. Der IStGH birgt nun, insoweit hat sich dies jenseits des Atlantiks herumgesprochen, erstmals die Gefahr, daß sich auch eines Tages der eine oder andere GI oder US-General vor diesem Gericht verantworten muß. Hellsichtig hat deshalb der für Kriegsverbrechen zuständige US-Sonderbotschafter Pierre-Richard Prosper den Strafgerichtshof als "völlig unkontrollierte Einrichtung, wo es dem Kläger freisteht, alles zu tun, was er will" bezeichnet. Das soll vor unabhängigen Gerichten tatsächlich gelegentlich passieren.

Es gibt nun eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder plädiert man für die Internationalisierung des Rechts, dann unterwirft man sich dem auch, oder man legt die Idee von "Tribunalen" und "Kriegsverbrecherprozessen" generell ad acta. Die USA haben sich offenbar nun aus nationalem Interesse für letzteres entschieden.

Die USA lassen damit ehrlicherweise ihre Maske fallen. Es geht also in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht um Gerechtigkeit, sondern um Macht. Überrascht können da nur europäische One-World-Träumer sein.

Viele Europäer haben somit ein heilsames Erweckungserlebnis. Sie sind gezwungen, sich auf ihre eigenen Interessen zu besinnen, die sich - IStGH hin oder her - von den USA unterscheiden. Wenn die USA nun UN-Mandate kippen: gut so! Dann müssen sich die Deutschen und Europäer entscheiden, unter eigener Flagge zu marschieren - ob im Namen der Nato, der EU oder eben überhaupt nicht.

Wenn Europa sicherheitspolitisch nicht als impotenter Wurmfortsatz der USA verkümmern will, kann es nur auf eigenen Beinen stehen. Die derzeitigen Dissonanzen müssen positiv genutzt werden: Stärkung europäischer Verteidigung und Rüstungspolitik, Abkoppelung vom amerikanischen atomaren Schutzschild durch den Ausbau eigener Systeme, Ausstieg aus außereuropäischen Militär-Engagements, Reduzierung amerikanischer Militärpräsenz in Europa. Hoffentlich wachen wir endlich auf.


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