© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/02 05. Juli 2002

 
Integration als Existenzgrundlage
von Rolf Stolz

Wer die Dinge nüchtern und rational betrachtet, muß erkennen, daß Assimilation mit einer zwangsweisen Eindeutschung so wenig zu tun hat wie eine Vergewaltigung mit Liebe. Für Assimilation, also allmähliche ethnische Integration einzutreten, bedeutet nichts anderes, als staatlich und gesellschaftlich den Zuwandernden die freiwillige Annäherung an Deutschland, die Deutschen und die deutsche Kultur zu erleichtern. Allerdings wird überall dort die Chance auf Assimilation zerstört, wo Zwangsmaßnahmen um sich greifen und keine Möglichkeit mehr bleibt, als Zugewanderter ohne ethnisch-kulturelle Integration sich sozial zu integrieren und als respektierter Gast in der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu leben.

Zu der unerläßlichen persönlichen Freiheit, zwischen Assimilation und Nicht-Assimilation zu wählen, gehört auch der Verzicht auf jeden Perfektionismus und die Bereitschaft, mit einer gewissen Rest- und Randgröße von Ausländern zu koexistieren, die sich gegenwärtig weder assimilieren noch sozial integrieren lassen. Das heißt mit einer überschaubaren Anzahl von Fanatikern, die unsere Gesellschaftsordnung ablehnen. Dabei ist die verantwortbare Größenordnung - etwa sechs Zehntel Assimilationsbereite, drei Zehntel Integrationsbereite, ein Zehntel weder zu Assimilation noch zu Integration Bereite - nicht im entferntesten gegeben. Vor allem unter den Muslimen ist von kaum mehr als einem Zehntel Assimilationsbereiten auszugehen. Gerade die Türken werden von ihrer Regierung in jenem Chauvinismus bestärkt, der am Bosporus Generäle, Islamisten und Atatürk-Anhänger vereint. Sie werden zugleich ermuntert, sich immer stärker als Staat im Staate von den Deutschen abzuschließen. So erklärte der türkische Korrespondent Mehmet Canbolat über seine in Deutschland lebenden Landsleute: "Das Heimatgefühl der Türken war immer sehr stark, und deshalb haben sie immer mit dem Gedanken der Rückkehr gespielt. Jetzt ist das nicht mehr so, denn hier haben sie ja alle Möglichkeiten, ihre Identität zu behalten."

Heinrich Lummer macht hierzu einige bedenkenswerte Anmerkungen, auch wenn seine Bescheidung mit einer "Integration" ohne jede Assimilation keine dauerhafte Lösung ist: "Man nenne es Konsens, Konvention oder Tabu - ein Mindestmaß an Homogenität ist für den inneren Frieden in einem Lande erforderlich. Deshalb bleibt das sinnvolle Ziel in Ländern, die Ausländer aufnehmen, die Integration." "Heimat kann man auch verlieren durch Masseneinwanderung", stellt Lummer fest. Deshalb muß die Zahl der Zuwanderer begrenzt sein und am Ziel der Integration festgehalten werden." Festzuhalten bleibt, daß eine Beschränkung nur auf soziale Integration ohne schrittweise ethnische Integration (sprich Assimilierung) nicht dem inneren Frieden dient, sondern jene multiethnischen Gesellschaften erzeugt, die nur in Ausnahmefällen und unter günstigen Bedingungen wie in der Schweiz annähernd friedlich sind. Man vergesse im übrigen nicht, daß auch in der Schweiz das Verhältnis zwischen Deutschschweizern und Romands seit Jahrhunderten unterkühlt und.gespannt ist und sich - wie der Konflikt um den Kanton Jura bewies - durchaus bis zu Gewaltakten zuspitzen kann.

Assimilation darf nicht erzwungen werden, aber sie kann und muß zu einem Ziel der deutschen Gesellschaft und des Staates werden. Wenn das Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Stadt München in seinen "Thesen zur Verbesserung des Zusammenlebens von Deutschen und Ausländern" ausdrücklich für eine Integrationspolitik plädiert, "die keine Assimilation zum Ziel hat, sondern das Zusammenleben im Mit- und Nebeneinander der verschiedenen Milieus fördern will", und dies mit dem Stichwort "Moschee im Stadtteil" illustriert, dann werden diese Diplom-Illusionisten und Phrasendreschexperten genau jenes Gegeneinander ernten, das alle auf Wertfreiheit pochenden Multi-KultiGesellschaften auszeichnet. Noch dazu wird von den Münchner Luftschloß-Baumeistern jenen dummen, bösen Deutschen, die mit dem Möbelwagen abstimmen und die Ausländerghettos verlassen, die Schuld am Scheitern der frommen Integrationspläne gegeben: "Der Wunsch nach Ungestörtheit und der Rückzug ins Private läßt abweichendes kulturelles Verhalten zum Problem werden."

Die Idee Peter Beiers, verstorbener Präses der Rheinischen Landeskirche, zu einer "Assimilation aller an alle" ist nicht einmal als Wunschtraum zu akzeptieren. Um so ernster sollte man aber seine Warnung nehmen, daß die multikulturelle Gesellschaft aufgrund ihrer unvermittelbaren Gegensätzlichkeiten explodieren wird. Von daher ist jede Hinnahme von Doppel- und Mehrstaatigkeit kontraproduktiv. Wie Hans-Peter Uhl sagt, schafft Mehrstaatigkeit "die Gefahr der Rechtsunsicherheit und führt zum Widerstreit von Pflichten gegenüber verschiedenen Rechtsordnungen." Es ist insofern entweder blauäugig oder zynisch, wenn Roman Herzog über die Doppel-Staatsbürgerschaft urteilt: "Sehr groß können die Schwierigkeiten eigentlich nicht sein." Hier spricht der Formaljurist, der alle politisch-psychologischen Implikationen und Konsequenzen ignoriert. Diese Haltung ist unvereinbar mit dem Geist des Europarat-Abkommens von 1963 zur Vermeidung doppelter Staatsangehörigkeiten. Auf diesem Feld ist nicht nur ein "Landgraf, bleibe hart!" erforderlich, sondern eine grundsätzliche Wende, die auch die ein bis zwei Millionen Altfälle von Doppelstaatsbürgertum aufarbeitet.

Es ist eine durch die Geschichte und die allgemeine Lebenserfahrung bestätigte Tatsache, daß das Ausmaß der Integrationsbereitschaft und -fähigkeit nicht bei allen Völkern, Kulturen und Religionen gleich ist. Während die Deutschen sich in der Regel recht schnell in fremde Völker einfügen bzw. in ihnen aufgehen, beharren ausgewanderte Türken, Araber und Albaner (erst recht, soweit sie Muslime sind) meist hartnäckig auf ihrer deutlich abgegrenzten Eigenständigkeit. Daran haben auch die Globalisierungstendenzen nichts geändert - im Gegenteil sind entstandene Ghetto-Medien, durch Satellitenfernsehen, Internet usw. Tendenzen verstärkt worden, in der Fremde Fremder zu bleiben.

Dieses Phänomen der "Ethnifizierung", also die Verweigerung soziokultureller Einpassung bzw. die Nicht-Annahme der Mehrheitskultur durch die Migranten, betrifft zunehmend auch die klassischen Einwanderungsländer. Das amerikanische Staatsziel "E pluribus unum" (aus mehreren eines), die Idee des "melting pot of nations", des "Schmelztiegels der Nationen", erweist sich mehr und mehr als frommer Wunsch.

"Bisher weiß noch keiner eine Antwort auf die Frage, wie die Demokratie in einer multikulturellen Gesellschaft funktionieren soll, in der es keine gemeinsam geteilten Lebensformen und Werte mehr gibt. Wenn wir mit der Zerstörung unserer geistigen, kulturellen und ethischen Gemeinsamkeiten fortfahren, werden wir unsere Demokratie verspielen und sie durch eine Fernsehdemokratie ersetzen, die uns bisher nicht gekannte Manipulationsmechanismen bescheren wird. Wer also diese Gemeinsamkeiten, das gemeinsam ethisch, kulturell und vielleicht sogar religiös geteilte Leben zerstört, der zerstört die Demokratie", schreibt der Philosoph Günter Rohrmoser. Politischer und juristischer Ausdruck dieser Erosion des Staatsvolks und des Wertefundaments der Gesellschaft ist die stete Zunahme von Doppelstaatlern. Cornelia Schmalz-Jacobsen, die frühere Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, schätzt ihre Zahl auf etwa zwei Millionen. Gerade Türken, deren Einbürgerung sich von 1990 bis 1996 mehr als verzwanzigfacht hat auf 46.294 Personen (über 15 Prozent der 302.830 im Jahre 1996 eingebürgerten Aussiedler und Ausländer), und Polen werden von ihren Botschaften und Konsulaten massiv darin unterstützt, nach zeitweiser Abgabe ihres alten Passes sofort wieder einen neuen anzufordern - unter dem Vorzeichen, daß sie sich als loyale Türken bzw. Polen im Sinne ihrer Heimatstaaten betätigen und als Manövriermasse zur Beeinflussung und Erpressung der deutschen Politik zur Verfügung stehen. Dies wird flankiert durch Medien, die dieses kriminelle Verhalten als harmlose "Schummelei" oder "pragmatisches Denken" hinstellen, oder die wie der CDU-Bundestagsabgeordnete Horst Eilmann das Vermeiden doppelter Staatsangehörigkeiten als "antiquierte Doktrin" abqualifizieren. Wenn ein Spiegel-Anonymus die Forderung des BayerischenInnenministers Günther Beckstein, daß "die Staatsangehörigkeit keine Eintrittskarte, sondern das Abschlußzeugnis einer gelungenen Integration" zu sein habe, als "deutschtümelnde Sprüche" beleidigt, dann offenbart sich hier ein ebenso fataler wie fanatischer Wille zum politischen Selbstmord eines Landes.

Multi-Kulti-Propagandisten wie Frau Chong-Sook Kang, Ausländerbeauftragte der Landeshauptstadt München, reduzieren die Integration auf rechtliche Gleichstellung, Chancengleichheit und "Anerkennung des Kulturpluralismus", das soll heißen, daß "ethnische Minderheiten ihre übernommenen kulturellen Traditionen und Wertnormen fortentwickeln können und diese als gleichwertig in der Mehrheitsgesellschaft anerkannt werden". Hier wird ein Kultur- und Werterelativismus gepredigt, der das Demokratieprinzip aushebelt und die Selbstbestimmung des deutschen Volkes negiert. Soll die Mehrheit etwa die Scharia als gleichwertig mit dem Grundgesetz hinnehmen? Wenn dann noch verlangt wird, Türkisch als Pflichtfach in den Schulen einzuführen (so Rahim Öztürker), dann ist man endgültig dabei, den vielen naturwüchsig entstandenen Problemen unseres Landes noch einige am grünen Tisch fabrizierte hinzuzufügen. Die Integration der ausländischen Kinder wird beträchtlich erschwert durch die mangelnde Integrationsbereitschaft vieler Ausländereltern, vor allem unter den Türken. Die Berliner Grundschullehrerin Marlis Barucker, seit gut 20 Jahren an der Kurt-Held-Grundschule in Kreuzberg tätig, unterrichtet inzwischen bereits Söhne und Töchter ihrer ehemaligen Schüler. Sie berichtet: "Für viele bin ich die einzige deutsche Bezugsperson . . . Manchmal erinnert mich das schon an ein Ghetto."

Von 475 Kindern an dieser Schule waren 342 im Jahre 1996 Ausländer - also 72 Prozent. Zehn der 21 Klassen sind reine Ausländerklassen. Von 51 Vorklassenschülern hatten 1996 gerade zwei die deutsche Staatsangehörigkeit. "Die Türken", sagt Gabriele Fayad, Gesamtelternvertreterin der Schule und mit einem Libanesen verheiratet, "wollen nicht integriert werden. Sie können die Deutschen nicht leiden. Keine Ahnung, warum sie überhaupt hier leben." Längst ist deutlich geworden, daß die Probleme sich im Laufe der Zeit nicht abschwächen, sondern zunehmen. Konrad Schuller schreibt in "Deutschland kommt im Alltag nicht mehr vor": "Diese Schulen unterrichten mittlerweile schon die Enkel jener türkischen Einwanderer, die in den sechziger und siebziger Jahren nach Berlin gekommen sind. Die dritte Generation ist da und mit ihr der Abschied von der Illusion, daß die Türken Berlins im Laufe der Zeit gleichsam von selbst mit ihren deutschen Nachbarn an Chancen und Fähigkeiten gleichziehen könnten. Denn die türkischen Schulkinder von heute lernen deutlich schwerer deutsch als ihre Eltern vor zwanzig Jahren. Die waren in ihren Klassen noch in der Minderheit gewesen. Ihre Kinder aber sind in manchen Vierteln heute die Mehrheit. Sie sprechen zu Hause türkisch, auf der Straße türkisch, in der Schule türkisch. Die Schulen, gedacht als Schmelzkessel der Integration, drohen in bestimmten Bezirken zu Brutstätten der Absonderung zu werden... Bloße Koexistenz tritt dann an die Stelle der Kommunikation, die Trennung setzt sich fort von Generation zu Generation." Wenn dann noch die deutsche Mehrheit erlebt, wie eine asoziale bis antisoziale Minderheit unter den Ausländern schamlos die staatlichen Hilfen ausnutzt, wird es bedenklich. Wenn im niedersächsischen Stadthagen der sechzehnjährige Kosovo-Albaner Özcan K. und seine Kumpanen unter ihren Mitschülem eine Atmosphäre der Angst und des Terrors verbreiten und der Schulleiter notiert: "Obwohl es sich bei der Gruppe um eine verschwindend geringe Minderheit handelt, kann die große Mehrheit nicht dazu gebracht werden, sich zu wehren", so wächst auch die Gefahr chauvinistisch-irrationaler Gegenreaktionen.

Es ist von existentieller Bedeutung, daß Staat und demokratische Ordnung erkennen: Ohne einen geistig-moralischen Grundkonsens sind das Land und die Demokratie von vornherein verloren. Staat und Gesellschaft sollten bei aller Liberalität und Neutralität in religiösen und weltanschaulichen Fragen niemals vergessen, daß das Grundgesetz und die in ihm verbürgten Freiheiten alles andere als wertneutral und beliebig sind. Mit der Notwendigkeit der Intoleranz gegenüber den Feinden der Toleranz und der Freiheit ist die Festlegung auf eine Hierarchie von Werten und Prinzipien eng verbunden, die alle in der abendländisch-christlichen Kultur, in Humanismus und Aufklärung wurzeln. Jeder einzelne Bürger muß das Recht haben, den Tröstungen der Religion zu glauben oder nicht zu glauben, die Moralvorschriften der Kirchen einzuhalten oder nicht einzuhalten, aber jeder muß zugleich akzeptieren, daß unsere Kultur ohne ihre christlichen Fundamente in sich zusammenfällt und durch Fanatismus und Fundamentalismus (unter Umständen sogar in christlicher Maskerade) tödlich bedroht wird. Von daher müssen auch die Atheisten und die kirchlich ungebundenen Gläubigen unsere kulturellen Fundamente gegen die sie attackierenden Ideologien und (Ersatz)- Religionen verteidigen. Der Brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm hat gute Gründe, wenn er sich weigert, einen sich der staatlichen Schulaufsicht entziehenden Islam-Unterricht durch Islam-Prediger zuzulassen, und unterstrich, daß der christliche Religionsunterricht "das christlich-abendländische Erbe" weitergibt, "auf dem unsere Kultur ganz stark beruht."

Geht man aber von solchen Positionen aus, die scheinbar bürgerlich-demokratisch sich doch vom "Deutschland verrecke!" der Autonomen nur durch die Wortwahl und eine langsamere Gangart unterscheiden, so wird man natürlich die massenhafte Zuwanderung von Ausländern als geeignetes Instrument ansehen, um Deutschland zu entdeutschen, es zu europäisieren und zu internationalisieren. Nur wird diese Offenheit für alle und jeden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in einer paradiesischen Weltgemeinschaft aller Guten und Edlen enden, sondern in einer rabiaten Gegen-reaktion.

 

Rolf Stolz, 1949, Publizist (u.a. "Kommt der Islam?", Herbig, München), schrieb in der JUNGEN FREIHEIT zuletzt über das "Geschäft mit der Einwanderung" (JF 14/02). Im Herbst 2002 erscheint bei Herbig sein Buch "Deutschland, deine Zuwanderer".


 
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