© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/02 05. Juli 2002

 
Nostalgische Wiederkehr
Stadtschloß Berlin: Die Architektur hat die Sehnsucht nach klassischen Formen nicht überwunden
Alexander Barti

Seit Jahren tobt in der Berliner Mitte ein erbitterter Kampf um die Moderne; und es scheint so, daß sie auf den nach 1945 so großzügig freigeräumten Flächen Stück für Stück an Boden verliert.

Die über 350 Jahre alte Straße "Unter den Linden" hat ihren Abschluß am Pariser Platz, vor dem Brandenburger Tor, mit einer erneuten Bebauung und einer bald abgeschlossenen Pflasterung nach historischen Vorbildern wieder erhalten; auf der halben Wegstrecke zum Schloßplatz ist vor wenigen Tagen das letzte freie Grundstück verkauft worden (es handelt sich um die Zahnlücke vor dem Hotel Unter den Linden, Ecke Friedrichstraße), und auch dort soll ein Gebäudekomplex entstehen. Wenn man von dort in Richtung Alexanderplatz weitergeht, verdichten sich die historischen Überbleibsel: die im neobarocken Stil errichtete Staatsbibliothek, das Reiterstandbild des "Alten Fritz", das von ihm geplante Forum Fridericianum mit der barock geschwungenen "Kommode" (heute: Juristische Fakultät), dem gegenüber die Humboldt-Universität, seit neuestem wieder mit rekonstruiertem schmiedeeisernen Zaun, gleich danach die Neue Wache und das Zeughaus, dem gegenüber die Staatsoper und daneben das Kronprinzenpalais.

Wenige wissen, daß etliche dieser Bauten nach dem Krieg komplett neu aufgebaut und zum Teil verändert bzw. um einige Meter verschoben wurden. Beim Gang über die nach der Wende rekonstruierte Schloßbrücke steht der Betrachter auf einem riesigen Areal - dem Schloßplatz - und fühlt sich nur deswegen nicht verloren, weil dort immer etwas los ist: Neben einem Parkplatz findet man ein Veranstaltungszelt, freigelegte Fundamente des Stadtschlosses mit Schautafeln, Rasenflächen in den Abmessungen des Schlosses, eine Baumreihe und dahinter die asbestsanierte Ruine "Palast der Republik", und zwischen all dem Heerscharen von Touristen. Ein jämmerlicher Anblick, ein Un-Ort, auf den "die Linden" zuführen - sagen viele Besucher.

Das muß sich auch Wilhelm von Boddien (60) gedacht haben, als er sich kurz nach der Wende entschloß, mit einem "Förderverein Berliner Stadtschloß" die Rekonstruktion des 1950 gesprengten Hohenzollernschlosses voranzutreiben. Für ihn und seine Mitstreiter stand fest, daß Berlin seine historische Mitte, sein Gleichgewicht, wiedererlangen müsse, um im Konzert der anderen Städte von Rang und Namen mithalten zu können. Boddien hätte es sich am Anfang seines Engagements wohl nie träumen lassen, daß im Bundestag die weitgehende Rekonstruktion des Schlosses zur Abstimmung stehen würde. Seinen Gegnern, die sich vornehmlich auf der linken Seite des politischen Spektrums befanden, nahm er geschickt den Wind aus den Segeln, indem er die politischen Bezüge der Schloßrekonstruktion vehement bestritt und nicht müde wurde zu betonen, daß der Neubau eine Aufgabe für alle Bürger sei. Außerdem signalisierte er den politischen Verantwortlichen die Bereitschaft, die Mehrkosten, die sich aus der Rekonstruktion der barocken Fassade ergeben würden, durch Spendengelder zu decken. Daß die Rekonstruktion des Schlosses in einer Demokratie nur eine ästhetische oder städtebauliche Kategorie sei, bleibt trotzdem fraglich.

Als sich die Moderne vor rund 100 Jahren auch in der Architektur ihren Weg brach, feierten ihre Protagonisten die Überwindung einer traditionellen Harmonie und die Verdammung der Fassade. Neue Bautechniken, zum Beispiel der Stahlskelettbau oder Stahlbeton ermöglichten eine veränderte Gestaltung, die bis dahin nicht möglich war; man ergötzte sich an der Schönheit der technischen Konstruktion, an der Klarheit des Funktionalismus - das rationale Bauen schien die Manifestation der Aufklärung in Raum und Zeit. So ist es nur logisch, daß wesentliche Impulse der modernen Architektur aus der jungen Sowjetunion kamen und nach dem Untergang des zweiten deutschen Kaiserreiches 1919 beim sogenannten "Bauhaus" in Weimar und später in Dessau auch in Mitteleuropa Fuß fassen konnten.

Nach einer kurzen Unterbrechung durch das Dritte Reich, in dem man wieder zu einer imperialen Architektursprache mit einer besonderen Betonung der Fassade zurückgekehrt war ("Flachdach ist undeutsch"), setzte die Moderne ihren Siegeszug auch in Deutschland wieder fort. In den zerbombten Städten wurden die Reste aus Gründerzeit und Mittelalter vielfach abgeräumt, um sie durch funktionale Kästen zu ersetzen. Gepaart mit der ökonomischen Nutzenmaximierung entstanden so die Stadtviertel, in denen die Bewohner schon nach wenigen Jahren der neuen semantischen Gewalt aus Monotonie und Industrienorm zerrüttet waren; wer es sich leisten konnte, floh in die Behaglichkeit neuer Einfamilienhäuser oder begann mit der Restauration eines alten Fachwerkhauses - der finanzschwache Rest deformierte zum sozialen Bodensatz der Gesellschaft.

Aber die moderne Architektur ist mehr als nur "International Style". Gerade in Berlin entstanden auch Bauten der biomorphen Architektur (zum Beispiel Scharouns Philharmonie), die zu neuer Sinnlichkeit einluden und dem menschlichen Maß wieder näherrückten. Nimmt man die Möglichkeiten einer skulpturalen Formensprache, den Dekonstruktivismus und die neuesten Techniken der Gestaltung (Photovoltaik-Fassaden) hinzu, muß man sich fragen, wieso der Rückgriff auf eine Barockfassade im 21. Jahrhundert ernsthaft in Frage kommen konnte. Besonders skurril mutet es an, daß mit Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Bundeskanzler Gerhard Schröder zwei exponierte Sozialdemokraten für die Rekonstruktion des Hohenzollernschlosses sind, als hätte es den Kampf der Demokraten für die "Emanzipation" vom Gottesgnadentum nie gegeben.

Gänzlich unbemerkt von den Grabenkämpfern auf dem Schloßplatz wurde am 28. Juni der Grundstein für eine bemerkenswerte Rekonstruktion gelegt: Unter den Linden Nr. 1 wird der Bertelsmann-Konzern seine Hauptstadtrepräsentanz hinter der Fassade der alten Kommandantur beziehen. Die Kommandantur wurde in der Mitte des 17. Jahrhunderts von dem Festungsbauer Johann Gregor Memhardt als privates Wohnhaus errichtet; es war ein "Gnadenpräsent" des Großen Kurfürsten. Der Stadtchronist von Zedlitz schrieb 1832, daß das Gebäude später in den Besitz der Familie Camman überging und erst in den 1790er Jahren seine spätere Bestimmung erhielt; sein erster Kommandant war Generalleutnant von Götze. Ihm folgten die großen Namen des preußischen Militärs: von Glasenapp, von Lützow, von Brauchitsch - um nur wenige zu nennen. Der letze Hausherr war Generalleutnant Paul v. Hase; er wurde als Beteiligter des 20. Juli 1944 hingerichtet.

Als der Berliner Senat im Juli 1999 das Grundstück ausschrieb, war die originalgetreue Rekonstruktion der Fassade eine Bedingung für die Bewerbung. Bertelsmann erhielt gegen 36 Konkurrenten den Zuschlag. Während der Kölner Architekt Thomas van den Valentyn das Innenleben gestalten darf, bekamen die Berliner Architekten Stuhlemmer & Stuhlemmer den Auftrag für die Fassade. Mit dem Architekturbüro Stuhlemmer wurden Spezialisten berufen, die sich auf dem Gebiet der Denkmalpflege weit über Berlins Stadtgrenzen hinweg einen Namen gemacht haben; der Chef des Büros, Rupert Stuhlemmer, ist überdies stellvertretender Vorsitzender des Boddienschen Schloß-Vereins.

Grundsteinlegung für die Bertelsmann-Repräsentanz in Berlin: Konzernchef Thomas Middelhoff (r.) übergibt die Baupläne


 
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