© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/02 05. Juli 2002

 
Verhöhnt, erniedrigt, gedemütigt
Opfer des SED-Regimes: Im Jahr zwölf nach der Vereinigung
Werner H. Krause

Als sich kürzlich im Redaktionsgebäude der Zeitung Neues Deutschland, dem früheren Organ des SED-Zentralkomitees, hohe Stasi-Offiziere trafen, um dort eine von ihnen verfaßte tausendseitige Rechtfertigungsschrift ihrer Untaten mit frenetischem Jubel zu begrüßen, nahmen sie dabei in bewährter Manier anwesende Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft aufs Korn. Herbert Pfaff, der viele Jahre in den Kerkern der DDR Schlimmes zu ertragen hatte, versuchte vergebens, gegen die Rückkehr der Stasi auf der öffentlichen Bühne der deutschen Hauptstadt zu protestieren. Er wurde aus dem Saal gejagt. Sieglinde Paul, die Jahre ihres Lebens in der berüchtigten U-Haftanstalt Hohenschönhausen verloren hatte, wollte die Stasi-Offiziere mit ihrer Vergangenheit konfrontieren. Man brachte sie auf besonders rüde Art und Weise zum Verstummen. Rufe ertönten: "Halt dein Maul, raus mit dir, wieviel Geld zahlt man dir für deinen Auftritt?"

So geschehen im Jahre zwölf nach der deutschen Wiedervereinigung im Windschatten des rot-roten Senats. Die 220.000 ehemaligen Inhaftierten des SED-Regimes sehen sich mehr und mehr als die Parias unserer Gesellschaft. Sie werden von ihren alten Peinigern bereits wieder in der Öffentlichkeit verhöhnt und verspottet und niemand steht ihnen bei.

Die Stasi-Mannen trauen sich nicht zuletzt auch deshalb wieder, ihre Opfer zu demütigen, weil sie aufmerksam registriert haben, daß die Bundesregierung außer gelegentlichen Worthülsen nichts Wirkliches unternimmt, um jenen Menschen, die nicht scheuten, die eigene Freiheit für die Freiheit der Demokratie aufs Spiel zu setzen, einen gebührenden Platz im unserem Land zuzuweisen.

Analysen der Opferverbände über die derzeitige Situation der früheren politischen Häftlinge spiegeln ein geradezu erschütterndes Bild wider. Der Berliner Landesbeauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheit, Martin Gutzeit, hat wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß sich viele Opfer mit niedrigsten Renten abfinden müssen, während für die Täter sich offenbar ihre Treue zum SED-Staat auch noch nach dessen Zusammenbruch auszahlt.

Da gibt es beispielsweise den Fall eines Maurers, der sich am Volksaufstand des 17. Juni 1953 beteiligte, zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde, was ihm heute eine beträchtliche Renteneinbuße "beschert". Ein Berufsschullehrer, der den Mut aufbrachte, in der DDR gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht zu protestieren und mit Berufsverbot bestraft wurde, erhält heute pro Monat 138 Euro weniger Rente, als einer seiner Kollegen, der stets der SED nach dem Munde redete.

Als der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl das als "Gelbes Elend" bekannt gewordene Zuchthaus Bautzen besichtigte, versprach er tief erschüttert all den Menschen, die diese schreckliche Zeit durchgestanden hatten, daß die Bundesregierung sich in die Pflicht genommen sehe, ihnen jetzt die Würde ihres Lebens zurückzugeben. Große Worte, denen keine Taten folgten. Es gab zwei sogenannte SED-Unrechtsbereinigungsgesetze, die dazu führten, daß politischen Häftlingen eine Kapitalentschädigung in Höhe von 600 Mark je Haftmonat gewährt wurde. Zum Vergleich: Das krisengeschüttelte Argentinien zahlt seinen Diktaturopfern umgerechnet über 2.200 Euro je Haftmonat.

Ein ehemaliger DDR-Professor, der politisch Mißliebige bei der Stasi denunzierte, erhält heute nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, wonach die in der DDR erworbenen Rentenansprüche als vom "Grundgesetz geschütztes Eigentum" anzusehen sind, eine Monatsrente in Höhe von 2556 Euro. Ein Hochschulassistent, der ungeachtet seiner fachlichen Befähigung für eine Professur wegen oppositionellen Verhaltens exmatrikuliert und strafrechtlich verfolgt wurde, bekommt heute eine Rente in Höhe von 1.436 Euro. Als der ehemalige politische Häftling Heinz Krönert in einem Brief an das Bundespräsidialamt auf die Verzweiflung der SED-Opfer hinwies, wurde er mit der Floskel abgefertigt ... "dürfen sie gewiß sein, daß der Bundespräsident sich auch künftig den Fragen der Aufarbeitung des kommunistischen Unrechts widmen wird".

In einer noch weit schlimmeren Lage befindet sich jener nicht unbedeutende Teil der Opfer, welcher durch die Haft schwere physische und psychische Schäden erlitten hat. Als Bittsteller bei den Versorgungsämtern holen sich diese Betroffenen eine Abfuhr nach der anderen, man unterstellt ihnen sogar Unglaubwürdigkeit. Roswitha Drabeck aus Zwickau schrieb den Opferverbänden: "Als 17jähriges Mädchen wurde ich wegen versuchter Republikflucht ins Gefängnis Hoheneck verbannt. Es war die schlimmste Zeit meines Lebens, von der ich mich nie wieder erholt habe. Das furchtbare Ereignis hat mein ganzes Leben geprägt. Jetzt muß ich mich für lange Zeit Therapien unterziehen."

Herbert Schneider aus Duisburg, der als Schwerbeschädigter aus DDR-Haft freigekauft wurde, ließ die Opferverbände wissen: "Nach fast 20jähriger Bearbeitung meiner Angelegenheit wird mir noch immer die Anerkennung meiner 50prozentigen Schwerbehinderung versagt. Wo bleibt hier die Menschlichkeit, was ist mit meiner Ehre?"

Frau Editha Stelling aus Hamburg unterrichtete die Opferverbände von einem Schreiben des dortigen Versorgungsamtes, daß sich auf ihren in der DDR wegen Republikflucht verhafteten Mann bezieht. Die entscheidende Passage darin lautet: "Die Haftbedingungen, die Herr Stelling vorfand, scheinen sich nicht so darzustellen, als handele es sich um ein Erleben von kathastrophenartigen Ausmaß oder einer Situation außergewöhnlicher Bedrohung." Dies muß man wohl zweimal lesen, um zu begreifen, wie hier mit dem Schicksal von Menschen Schindluder getrieben wird.

Die Bundesregierung, über die Herzlosigkeit vieler Versorgungsämter von den Häftlingsverbänden informiert, versprach, diese unleidigen Zustände abzustellen. Doch viel geändert hat sich seitdem nicht. Als die Stasi-Schergen ihre hohen Rentenansprüche beim Bundesverfassungsgericht durchsetzten, ließ die Bundesregierung auch den Opfern einen Brosamen zukommen. Sie wies die Versicherungsträger an, eine Neuberechnung der Haftzeiten vorzunehmen. Doch dies verlief nach dem bekannten Motto: Es kreiste der Berg, ein Mäuslein ward geboren. Bei einer Haftzeit von mehr als zwei Jahren machten solche Nachzahlungen lediglich 15 Euro aus.

Aus diesen Gründen unternahmen vor einigen Jahren die Häftlingsverbände einen Vorstoß, allen politischen Opfern des Kommunismus künftig eine Ehrenpension zu gewähren. Die Bundesregierung lehnte dies ab und bezeichnete die bisherigen Regelungen aus den SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen als völlig ausreichend. Ein Vorschlag des stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzenden, Günter Nooke, innerhalb eines dritten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes den Opfern eine Ehrenpension in Höhe von 1.400 Mark zuzuerkennen, fand keine Mehrheit im Bundestag. Auch ein Versuch der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, den 8.000 ehemaligen politischen Häftlingen in Berlin eine Ehrenrente von monatlich 1.000 Mark zu zahlen, stieß auf keine Gegenliebe.

Gegenüber den Häftlingsverbänden gab indes die CDU/CSU-Bundestagsfraktion das Versprechen ab, eine Ehrenpension für die politischen Opfer des SED-Regimes bei veränderten Machtverhältnissen im Bundestag sofort wieder auf die Tagesordnung zu setzen.

 

Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft e.V.: Genslerstr. 66, 13055 Berlin, Tel./Fax 030 / 9 86 08 24 68

Bund der Stalinistisch Verfolgten e.V.: Ruschestr. 103 (Haus 1), 10365 Berlin, Tel.: 030 / 55 49 63 34, Fax: 030 / 55 49 63 35

Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus e.V.: Nikolaiplatz 5-7, 10178 Berlin, Tel. 030 / 2 83 43 27, Fax 030 / 2 80 97 193


 
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