© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/02 05. Juli 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Bildungsideale
Karl Heinzen

Nicht weniger alarmierend als die PISA-Studie selbst ist der Versuch einiger Ministerpräsidenten, sie zu Wahlkampfzwecken zu mißbrauchen. Gerhard Schröder hat dies verständlicherweise nicht hinnehmen wollen und die "Kirchturmspolitik" der Bundesländer für die neuerliche Bildungsmisere verantwortlich gemacht. Mit seiner Drohung, ein "nationales Rahmengesetz für die Schulen" auf die Tagesordnung zu setzen, hat er nicht bloß bewiesen, daß er Unmögliches möglich zu machen gesonnen ist. Wenn es um die Zukunft unseres Landes geht, stehen für ihn auch vermeintlich unverrückbare Verfassungsgrundsätze wie der Föderalismus zur Disposition.

Der Kanzler wird jedoch derart drastische Mittel gar nicht bemühen müssen, da die Positionen von Regierung und Opposition, von Bund und Ländern im Grundsatz nicht differieren. Bildung hat einen hohen Stellenwert für den Standort Deutschland, sie ist aber kein Selbstzweck. Ihr Wert bestimmt sich durch die Wertschöpfung, die sie möglich macht. Wer jetzt meint, mit verstaubten humanistischen Bildungsidealen Morgenluft wittern zu dürfen, hat daher die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Die Politik kann niemandem vorschreiben, sich zu einer irgendwie gearteten Persönlichkeit zu entwickeln. Ihr fehlen Anhaltspunkte dafür, was für den Menschen wünschenswert ist. Sie vermag lediglich zu ermessen, was für die ökonomische Entwicklung des Landes förderlich ist. Dazu muß sie in erster Linie auf die Unternehmen hören und nicht auf die vielen guten Ratschläge all derer, die ihre guten Absichten nicht mit Arbeitsplatzangeboten belegen können.

Zukunftsorientiert ist eine Bildungspolitik, die der Verschwendung von Ressourcen Einhalt gebietet. Je früher Kinder eingeschult werden, desto eher stehen sie später dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Ganztagsschulen bieten nicht bloß die Chance auf eine Steigerung des Familieneinkommens oder die Integration von Alleinerziehenden in den Arbeitsprozeß, sie ermöglichen auch den Kindern die frühe Gewöhnung an die zeitliche Inanspruchnahme durch den Beruf. Da es niemandem zuzumuten ist, den ganzen Tag über zu lernen, könnten die Schulen, aufbauend auf den positiven Erfahrungen in Justizvollzugsanstalten, die Jugendlichen nachmittags dazu anhalten, unter Aufsicht Tätigkeiten im Niedriglohnsegment auszuüben. Die hierbei erzielten Einkünfte wären zwischen den Eltern und den Schulen aufzuteilen. Letztere hätten es damit selbst in der Hand, ihre Etats aufzubessern.

Nicht zu kurz kommen darf eine Reform der Lerninhalte. Natürlich ist niemand daran zu hindern, wenn er sich auf eigene Kosten eine Allgemeinbildung aneignen will. Unsere Schulen jedoch müssen ein neues Verständnis dafür gewinnen, was wirklich gebraucht wird. Da wir nach dem Ende der DDR neue Wege gefunden haben, gut ausgebildete Menschen zu importieren, sollten wir aber jeden Euro zweimal umdrehen, bevor wir hier zu viele Schwerpunkte legen.


 
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