© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/02 28. Juni 2002

 
Permanente Revolution
Rumänien: Vor 75 Jahren gründete Corneliu Z. Codreanu die Legion "Erzengel Michael"
Götz Kubitschek

Befehl Nr. 1: "Heute, Freitag, den 24. Juni 1927, am Tag Johannes des Täufers, 10 Uhr abends, wird die Legion 'Erzengel Michael' unter meiner Führung gegründet. Wessen Glaube keine Grenzen kennt, der trete in unsere Reihen. Wer aber zweifelt und schwankt, der bleibe uns fern. Zum Führer der ständigen Wache des heiligen Bildes ernenne ich Radu Mironovici". Das heilige Bild war eine Ikone des namengebenden Erzengels, die Gruppierung selbst verstand sich als Keimzelle eines erträumten nationallegionären Großrumäniens. Ihr selbsternannter Führer war Corneliu Zelea Codreanu, 1899 in der Moldau geboren. Daß die Legion - vor 75 Jahren gegründet - bis heute ein Mythos ist, verdankt sie Codreanu und seinem Sendungsbewußtsein, eine spezifisch rumänische Arbeit am neuen Menschen radikal zu fordern und zu verfolgen. Und es ist letztlich dieser radikalen Überspannung geschuldet, wenn ein nationallegionärer Staat in Rumänien erst 1940 und dann nur für fünf Monate Wirklichkeit wurde.

Der neue Mensch, von dem Codreanu sprach, sollte in einer typisch rumänischen Ausprägung zugleich höchst aktiv und mystisch versunken sein. Im Vordergrund stand der Glaube, der zu jeder Tat fürs Vaterland legitimierte. Gebet und Versenkung gehörten zur täglichen Aufgabe des Legionärs. Da man Gottes Willen ausführte, war jede Form von Heimlichkeit oder - politisch ausgedrückt - Diplomatie fehl am Platz. Zu den Eigenschaften des Legionärs gehörte im Sinne Codreanus eine vorbildliche Ehrlichkeit in geschäftlichen Dingen, Selbstlosigkeit im Einsatz für Volk und Staat, unbedingter Gehorsam den Führern gegenüber, Härte dem Notwendigen gegenüber nach innen und außen, spartanische Lebensführung und vor allem auch: Verantwortungsbewußtsein für alles, was getan wurde. Dies führte im Extremfall dazu, daß Legionäre neben der Leiche eines im Terrorakt Ermordeten voller Verachtung warteten, bis die Polizei kam, um sie festzunehmen.

Daß Codreanu vor allem bei Studenten und Schülern eine Gefolgschaft fand, liegt darin begründet, daß er an ihren idealistischen Impetus appellierte und einen moralischen Aufstand der "reinen" Jugend gegen die "Feinde des Staats" proklamierte. Mit schweren Fehlern machte es ihm die rumänische Politik leicht, Angriffsflächen zu finden. So waren beispielsweise die Hochschulen geöffnet worden, die Studentenzahlen vervielfachten sich. Jedoch bot man den Abgängern keinerlei berufliche Perspektive. Korruptionsfälle wie der gewaltige "Skoda-Prozeß" von 1933 taten ein übriges: In rasender Geschwindigkeit verspielte so der rumäsnische Staat allen Kredit, der ihm nach der glänzenden Situation von 1918 von weiten Teilen der Bevölkerung gewährt worden war.

Die politische Lage nämlich, in die hinein Codreanu zu agieren begann, sah gewaltige Zugewinne an Land und Bevölkerung nach dem Ersten Weltkrieg: Der Traum eines Großrumäniens war Wirklichkeit geworden, versetzte das Land jedoch in eine Drei-Fronten-Lage: Bulgarien forderte die Dobrudscha, Ungarn Siebenbürgen und Rußland Bessarabien zurück. Alle diplomatischen Bemühungen der rumänischen Außenpolitik zielten auf den Erhalt der Gewinne. Innenpolitisch hatte Rumänien mit großen ethnischen Minderheiten zu rechnen und auszukommen, die bezeichnenderweise gerade auch in den neuen Landesteilen oft die Mehrheit stellten. Jedoch konnten die innen- wie außenpolitischen Aufgaben mit dem Vorteil angegangen werden, zu den Siegern der Geschichte zu gehören. Die Wiedereingliederung der Kriegsteilnehmer in die Gesellschaft bereitete so zunächst auch keine Probleme, von einer gedemütigten Generation wie in Deutschland konnte keine Rede sein. Nationalisten wie Codreanu sahen den Staat dennoch auch im Innern gefährdet: In der recht großen und wirtschaftlich starken jüdischen Bevölkerungsgruppe sah man eine Gefährdung rumänischer Selbstbestimmung und Kultursubstanz.

Antisemitismus und Antikommunismus zeigten sich in fast allen europäischen Ländern und wurden auch in Rumänien von unterschiedlichen politischen Parteien abgedeckt. Platz für die radikalen Thesen eines Codreanu gab es nicht von vornherein. Er mußte ihn sich schaffen, und wählte dafür die spektakuläre und kompromißlose Aktion, durch die noch lethargisch verharrende Sympathisanten mitgerissen werden sollten. Codreanus Aktion selbst bewies darüber hinaus, daß Entschlossenheit Respekt fand und zum Erfolg führen konnte, vor allem aber auch: bekannt machte.

Es begann mit symbolischen Handlungen, wenn Codreanu mit wenigen Kameraden die Eingangstüre zur Universität von Jassy sperrte, weil das Semester nicht mit dem gewohnten Gottesdienst eröffnet werden sollte. Tendenzen westlicher Säkularisierung wollte die Legion nicht zulassen. Bald ging die Legion zum Terrorakt über. Codreanu selbst erschoß den Polizeipräfekten von Jassy (1924), der hart gegen die antisemitischen Unruhen eingeschritten war. Ein Schüler verübte einen Anschlag auf den Herausgeber legionskritischer Zeitungen (1930) und schließlich wurde 1933 Ministerpräsident Duca von drei Legionären erschossen. Spektakulär waren auch legionsinterne Fememorde gegen Verräter an der gemeinsamen Sache. Die Verhandlung der Terrorakte in Justiz und Presse zeigt ein schwaches Verhältnis eines Staatssystems gegenüber seinen offensichtlichen Feinden. Natürlich fand Codreanu mit seinen Beteuerungen, alles aus nationaler Not heraus getan oder angeordnet zu haben, Zustimmung weit in gemäßigte Kreise hinein. Wie weit dieses Verständnis reichte, zeigt sich jedoch daran, daß beinahe alle Prozesse mit Freisprüchen für die Legionäre endeten. Dieses Verhalten machte das System vor den Augen der Legion noch verachtenswerter: Sie interpretierte es als Angst vor der legionären Gewalt.

Nach 1933 lassen sich hinter der Duldung der Legion auch diplomatische Überlegungen des rumänischen Staats vermuten: Wie stark die Sympathie des nationalsozialistischen Deutschlands für Codreanus Bewegung war, ließ sich nicht genau ausloten. Im Nachhinein ist deutlich geworden, daß das Deutsche Reich an revolutionären Umbrüchen in Rumänien kein Interesse hatte: Rumänien hatte als Wirtschaftspartner Nahrungsmittel und Erdöl zu liefern, dies so zuverlässig wie möglich. Das zeigte sich in seiner ganzen Konsequenz, als die Legion 1940/1941 an der Regierung beteiligt war, jedoch die innere Revolution immer weiter treiben wollte: In der sich anbahnenden Auseinandersetzung mit der Sowjetunion konnten in Rumänien keinerlei Experimente mehr geduldet werden. So schlug Ribbentrop nach Rücksprache mit Hitler dem regierenden General Antonescu vor, er solle es so machen wie Hitler beim Röhmputsch: die Führer beseitigen, die Legion als Ganzes eingliedern und selber die Führung übernehmen. So geschah es.

Codreanu selbst war schon 1938 in einem Gefängniswagen erdrosselt worden. Die wohl seltsamste faschistische Bewegung Europas hatte damit ihren Führer verloren. Angesichts der Kapriolen der rumänischen (Kriegs-)Geschichte bis 1945 ist es müßig, darüber zu spekulieren, ob Codreanu hätte anders eingreifen können, als das seine Nachfolger taten. Als jung Umgekommener ist er - das hat er mit dem Falangisten Primo de Rivera aus Spanien gemeinsam - einer derjenigen, denen die Verwirklichung noch der unmöglichsten Entwürfe zugetraut wurde.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen