© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/02 28. Juni 2002

 
Aus der Geiselhaft befreit
Mehr als nur der Freund Caspar David Friedrichs: Eine Ausstellung mit Bildern von Johan Christian Dahl
Thorsten Thaler

In einem seiner Briefe aus Myrdun gibt Ernst Jünger die Legende deutscher Seeleute über die Entstehungsgeschichte Norwegens wieder. Danach habe Gott bei der Erschaffung der Welt einen großen Haufen von Steinen zurückbehalten, die er dann, um sich ihrer zu entledigen, an einer unwirtlichen Stelle ins Meer schleuderte. Auf diese Weise sei Norwegen als ein "im Schöpfungsplane nicht vorgesehenes Land" entstanden.

Jünger war beeindruckt von der Welt der Fjorde, der zerklüffteten, schroffen Gebirgslandschaft. "Wenn man im Boote an ihnen vorüberfährt, ist man versucht, den Atem anzuhalten, denn die Schwerkraft des inneren Gesteins bedrückt wie ein körperlicher Schatten das Herz, und wenig scheint dazu zu gehören, daß eines dieser schlafenden Ungeheuer erwacht", schreibt er unter dem Datum 26./27. August 1935 von Bord eines Schiffes an seinen Bruder Friedrich-Georg.

Hundert Jahre zuvor hatte der norwegische Maler Johan Christian Dahl diese Übermacht der Naturgewalten in seinem Bild "Schiffbruch an der norwegischen Küste" festgehalten. Das 1831/1832 entstandene, großformatige Ölgemälde zeigt ein nahe einer massiven Felsenküste im tosenden Sturm kenterndes Schiff, während drei Besatzungsmitglieder in einem Beiboot sich und einige Habseligkeiten an Land retten. Doch nicht die Rettung steht im Vordergrund der bedrückend wirklichkeitsnahen Darstellung, sondern die gewaltigen Naturkräfte, denen der Mensch hilflos ausgeliefert ist. Anders als bei seinem zehn Jahre zuvor gemalten Bild "Schiffbruch an der Felsenküste von Capri" (1822), auf dem der düster verhangene Himmel aufreißt und Sonnenstrahlen auf ein an der Felsenküste gestrandetes Segelschiff fallen, fehlt hier jedes Erlösungsversprechen.

Die unterschiedliche Deutung nimmt beiden Bildern nichts von ihrer eigentlichen Wirkung auf den Betrachter. Beeinflußt von den niederländischen Landschaftsdarstellungen des 17. Jahrhunderts, pflegte Dahl eine unmittelbare Naturbetrachtung, deren Reiz im Gesehenen selbst liegt. Im Gegensatz zu seinem Freund und Weggefährten Caspar David Friedrich sind Dahls Bilder selten verschlüsselt und verrätselt, weniger gleichnishaft. Es gibt keine verborgenen "Geheimnisse", die Erkenntnis besteht in einer erfahrenen Naturwahrheit selbst da noch, wo es sich erkennbar um Ideallandschaften handelt. Auch fehlt Dahls Bildern jene Entrücktheit und transzendente Durchdrungenheit, die Friedrichs Werk zu eigen ist.

Trotz der verschiedenen Bildsprachen ist Johan Christian Dahl der ständige Vergleich mit dem in Greifswald geborenen und zeitweise an der Kunstakademie in Kopenhagen studierenden Caspar David Friedrich postum zum Verhängnis geworden. Zu Lebzeiten ungleich erfolgreicher, steht Dahl seit der Wiederentdeckung Friedrichs im Zuge der Jahrhundertausstellung von 1906 in der öffentlichen Wahrnehmung im Schatten des deutschen Romantikers und figuriert allenfalls als "der Freund Caspar David Friedrichs". Noch die im vorigen Jahr in Schwerin gezeigte Doppelausstellung "Zeichnungen der Romantik" (JF 33/01) war hierfür ein beredtes Beispiel.

Dahl aus dieser Geiselhaft zu befreien, ist denn auch eines der verdienstvollen Anliegen einer monographischen Ausstellung der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf, die noch bis Sonntag in Schleswig zu sehen ist und vom 12. Juli bis 13.Oktober im Münchner Haus der Kunst gastiert. Mit 75 Gemälden und mehr als 60 Aquarellen, Zeichnungen und Radierungen ist es die umfangreichste Einzelausstellung zum Werk Johan Christian Dahls in Deutschland.

Als Sohn eines Fischers und Fährmanns wird Johan Christian Dahl am 24. Februar 1788 in Bergen geboren. Er wächst in bescheidenen Verhältnissen auf und entdeckt früh sein Interesse am Zeichnen und Malen. Nach einer Lehre als Dekorationsmaler, die er mit dem Gesellenbrief abschließt, besucht er von 1811 bis 1817 die Kunstakademie in Norwegen, gefördert durch wohlhabende Bürger seiner Heimatstadt. Der künstlerische Durchbruch gelingt ihm 1815 mit einer Ausstellung auf Schloß Charlottenborg, auf der 14 Gemälde von ihm gezeigt werden.

Eine große Studienreise soll ihn ab 1818 durch Deutschland und die Schweiz nach Italien führen. Im September kommt er in Dresden an, wo er dem fast 14 Jahre jüngeren Caspar David Friedrich begegnet. Dahl wird Mitglied der Akademie in Dresden und heiratet Emilie von Bloch. Nach einem Aufenthalt auf Schloß Quisiana am Golf von Neapel und in Rom kehrt Dahl nach Dresden zurück und entscheidet sich, dauerhaft in Deutschland zu bleiben. Er fühlt sich dem Dresdner Künstlerkreis um Caspar David Friedrich, Ludwig Tieck (1773-1853) und Carl Gustav Carus (1789-1869) eng verbunden. Dahl zieht in das Haus An der Elbe Nr. 33, in dem auch Friedrich wohnt. 1824 wird Dahl zum außerordentlichen Professor an der Dresdner Kunstakademie ernannt. Eine Berufung an die Akademie in Kopenhagen lehnt er vier Jahre später ab.

Auf die Entwicklung des künstlerischen Lebens Norwegens hat Johan Christian Dahl dennoch maßgeblich Einfluß genommen. Seine Sammlung alter Meister bildete den Grundstock für die Einrichtung der Nationalgalerie in Kristiana (1836), später wirkte er an der Gründung von Kunstvereinen in Bergen (1838) und Trondheim (1846) mit. Außerdem engagierte er sich für die Erhaltung von norwegischen Kulturdenkmälern.

Seine erste ausgedehnte Reise in die Heimat unternahm er von April bis Oktober 1826; die während dieser Zeit gewonnenen Eindrücke, festgehalten in zahlreichen Zeichnungen und Studien, ermöglichten Dahl eine ausdrucksstärkere Darstellung nordischer Landschaften. Bis 1850 reiste Dahl noch vier weitere Male für jeweils mehrere Monate nach Norwegen. Aus dem Gedächtnis und anhand von Vorlagen entstanden als Resultat dieser Reisen beeindruckende Bilder von imposanten Gebirgsketten, unwegsamen Schluchten mit rauschenden Wasserfällen, Wäldern, einsamen Berghütten und bäuerlichen Gehöften.

Daß Dahl es nicht gelernt habe, Menschen und Tiere darzustellen, die in seinen Gemälden "nie so recht wissen, was sie da eigentlich sollen", wie der Rezensent der FAZ behauptete und wie es auch der Einführungstext zum ansonsten vorzüglichen Ausstellungskatalog nahelegt, ist freilich nur die halbe Wahrheit. So wenig der Mensch in Dahls Bildern eine herausgehobene Rolle spielt, so sehr dient er ihm als Maßstab für die gewaltigen Ausdehnungen der Naturlandschaften. Die Wanderer in den Bildern "Nordische Landschaft mit einem toten Baum" (1815) und "Nordische Landschaft mit einem Wasserfall" (1817), die Fischer an der "Nordischen Küste bei Mondlicht" (1817), der Einsiedler in der "Gebirgslandschaft mit einem Bauerngehöft" (1823), der Reiter in der "Landschaft in Naerødalen" (1832), die Ruderer in der "Ansicht des Tyssefoss im Bolstadfjord" (1836) oder die Müller in der "Ansicht des Feigumfoss im Lysterfjord" (1840) - sie alle hat Dahl, wenn auch vielleicht unbeholfen, aber doch sicher mit Bedacht in diese Landschaften gestellt. Ihre unaufdringliche Anwesenheit unterstreicht die gewaltigen Dimensionen und kündet zugleich von einem Leben inmitten einer übermächtigen Natur.

 

Die Ausstellung "Wolken - Wogen - Wehmut" ist noch bis zum 30. Juni auf Schloß Gottorf in Schleswig zu sehen, danach vom 12. Juli bis 13. Oktober im Münchner Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1. Der reich bebilderte Katalog kostet 28 Euro.

 

Johan Christian Dahl, "Schiffbruch an der norwegischen Küste" (Ölbild, 1831/1832): Gewaltige Naturkräfte, denen der Mensch hilflos ausgeliefert ist


 
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