© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/02 28. Juni 2002

 
Spielwiese über dem Straßenpflaster
Von der Großstadtwirklichkeit eingeholt: Zum Monatsende werden die Berliner Seiten der "FAZ" eingestellt
Doris Neujahr

Anfang Juni 2001 - in Berlin eskalierte gerade die Krise der Großen Koalition - wurde der Geheimplan für einen Berliner Notsenat aufgedeckt: Regierender Bürgermeister sollte Pfarrer Friedrich Schorlemmer werden, der als erste Amtshandlung an die Bevölkerung Peitschen verteilen wollte - zur allgemeinen Selbstgeißelung. Verlegerwitwe Friede Springer hätte als Wirtschaftssenatorin die Initiative "Enteignet Berlin" angestoßen und die Hauptstadtökonomie auf Trab gebracht. Bildungssenator Götz George sollte im Alleingang die Jugendkriminalität auf Null drücken, und mit Innensenator Georg Gafron - nebenberuflich Chefredakteur des Boulevardblatts B.Z. - wäre der Senat endlich der allgemeinen Verkommenheit in der Stadt Herr geworden. Justizsenator Arnulf Baring schließlich wäre die Aufgabe zugefallen, in knallharten Verhandlungen den Bund zur Kapitulation zu zwingen.

Dieser Gag schaffte es in der Berlin-Beilage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung großflächig auf die erste Seite. Daneben, in der äußersten linken Spalte, wurde züchtig der 50-Punkte-Plan des damals gerade noch Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU) zur Sanierung der Stadtfinanzen plaziert: Eine noch größere Albernheit als der angebliche Geheimplan, wie man heute weiß.

Solche Verfremdungseffekte waren das Markenzeichen der Berlin-Beilage der FAZ und bezeichnend für den Versuch eines ironisch-feuilletonistischen Zugriffs auf das Geschehen in der Hauptstadt. Sie bot ein Neben- und Ineinander von politischem Artikel, Gesellschaftsreportage, Essay, Tagebuch, Gerichtsbericht, Glosse, gepflegtem Stadtklatsch. Jetzt wird die Beilage zum Monatsende nach nicht einmal ganz dreijähriger Erscheinungszeit eingestellt.

Sie war eine der besseren Ideen des FAZ-Mitherausgebers Frank Schirrmacher, der Versuch, einen modernen Großstadtjournalismus zu kreieren: Weg von den Besinnungs- und Leitartikeln über Hauptstadtfunktionen und die Nation als solche, hin zur punktuellen, scharf fokussierten Betrachtung des Konkreten und Lebendigen. Aus der nur auf den ersten Blick planlosen Parallelität des Unterschiedlichen und Zufälligen sollte sich das collageartige Tagebuch Berlins ergeben.

Man las Berichte über die Hoch- und die Subkultur, erfuhr, zu welchen Problemen die russisch- und türkischsprachige Presse der Stadt sich aktuell äußerte. Die in mehreren Generationen gewachsene Riesenbibliothek des 1997 verstorbenen DDR-Gelehrten Jürgen Kuczynskis wurde als ein erratisches Überbleibsel alter Bildungsbürgerlichkeit vorgestellt, das sich wundersamerweise durch National- und Realsozialismus erhalten hatte und mit dem das "Neue Berlin" nun gar nichts anzufangen weiß. Man erfuhr den Sitzplan in der Paris-Bar, dem Promi-Treff im alten West-Berlin, und daß sie von Nobodys lieber gemieden werden sollte, andernfalls sie in der Nähe der Klotür plaziert werden. Berichte über die Techno-Szene oder die Welt der Drag-Queens standen gleichberechtigt neben einem wehmütigen Artikel über die Abwicklung des Preußeninstituts. Oder eine Journalistin begleitete Berliner Polizisten, die sich um mißhandelte und verwahrloste Kinder kümmern. Und nirgendwo sonst sind die Eskapaden des - inzwischen in die Privatwirtschaft gewechselten - Schweizer Botschafterehepaares Bohrer-Fielding so elegant und mit vergleichbar dezent vergifteter Freundlichkeit begleitet worden wie hier. Oder der Historiker Jochen Staadt stellte seine neuesten Entdeckungen in den SED-Archiven vor. Eine trockene Materie wie das Viermächteabkommen über Berlin wurde bei ihm zu einem Lesevergnügen.

Bei weitem nicht jeder Artikel war gelungen. Vielen war die Anstrengung anzumerken, die es kostet, um jeden Preis originell zu erscheinen. Berichte über die Love Parade und andere Großereignisse waren Vorwände, die Kenntnisse ihrer Verfasser über die Kunst- und Kulturtheorie à la Adorno ff. darzustellen, als ginge es darum, bereits der Gegenwart eine Bedeutung zuzuschreiben, die sich erst im Rückblick erweisen kann, und sich nebenbei selbst zu bestätigen, bei großen Dingen dabei gewesen zu sein. Manches war einfach bloß schnöselhaft oder kunstgewerblich. Doch das Positive - und nur darauf kommt es am Ende an - überwog bei weitem.

Andererseits stellte sich die Frage, ob und wozu man soviel Schönes braucht und ob das Blatt mit der Großstadtwirklichkeit tatsächlich soviel zu tun hatte, wie es vorgab. Man spürte, daß die Berliner FAZ viel Geld, folglich viele Redakteure (rund ein Dutzend) und freie Autoren (etwa 50) hatte und diese deshalb Zeit und Muße besaßen, um an ihren Texten zu arbeiten, sie geistvoll anzureichern und am sprachlichen Feinschliff zu feilen. Klar war auch, daß die Berlin-Beilage eine Spielwiese und nur als Zugabe einer soliden Mutterzeitung möglich war.

Doch die Hoffnung der FAZ, mit ihr die Abonnentenzahl in der Hauptstadt und im Umland deutlich zu steigern, konnte sich nicht erfüllen. Von nur 2.000 Neuabonnenten ist die Rede. Vor einigen Wochen wurde die Seitenzahl von sechs auf vier reduziert, jetzt wird der künstliche Rasen der Spielwiese eingerollt, darunter kommt das brutale, schadhafte Berliner Straßenpflaster zum Vorschein. Und die FAZ verliert, während sie drüberrumpelt, ein weiteres Stück Lack.


 
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