© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/02 28. Juni 2002

 
Ein Vorbild
Nachruf: Zum Tode von Fritz Walter
Peter Boßdorf

Während einer Fußball-Weltmeisterschaft zu sterben, ist nur alle vier Jahre möglich. Die Wahrscheinlichkeit sprach also eigentlich dagegen, daß Fritz Walter solches widerfahren könnte. Nun ist es dennoch geschehen, ohne wirklich zu verblüffen. Fußball war sein Leben, so heißt es. Es ist irgendwie konsequent, daß sein Tod zur Vollendung dieser Stilisierung einlädt.

Die WM in Fernost eignet sich als Hintergrund dazu so gut wie schon lange keine mehr. Die DFB-Auswahl verbreitet zwar nicht das Flair mancher zuvor favorisierter Frühheimkehrer, scheint aber gerade aus ihrer Unvollkommenheit Teamgeist zu schöpfen. Ihr Verständnis von Professionalität ist nicht zeitgemäß, sondern an Bildern großer deutscher Fußballvergangenheit orientiert. Eine funktionierende Gruppendynamik kompensiert Mängel in der individuellen Ballbeherrschung. Zuletzt hat dieses Erfolgsrezept 1990 gegriffen. Daß es damals ausgerechnet Andreas Brehme gewesen ist, der im Endspiel den einzigen und daher entscheidenden Treffer erzielte, paßt auf beunruhigende Weise ins Bild: Unter den Augen von Fritz Walter hatte er im Trikot des 1.FC Kaiserslautern seinen Durchbruch als Spieler geschafft. Allerdings war er dann als Legionär erst in Münchner und schließlich sogar in ausländische Dienste getreten, bevor es ihn schlußendlich doch wieder auf den Betzenberg zurückzog.

Der Eindruck, daß die Zeiten längst andere geworden sind, verliert sich erst zwölf Jahre später mit Miroslaw Klose, der Entdeckung im deutschen WM-Aufgebot 2002. Natürlich spielt auch er für die Roten Teufel, und natürlich hat Fritz Walter ihn die Saison über in der Kabine besucht und mit ihm telefoniert. Vor allem aber ist er - jedenfalls bis auf weiteres - bodenständig, daher volkstümlich und zudem bescheiden. Schon lange ist niemand mehr der Hauptfigur des deutschen Fußballahnenkultes so nahe gekommen.

Fritz Walter war das Scharnier zwischen Zeiten, die sonst nur durch sehr wenig verbunden scheinen. In der Elf, in der er am 14.Juli 1940 unter Sepp Herberger sein Länderspieldebüt gibt, steht noch Paul Janes. 1958, bei der Weltmeisterschaft in Schweden, die, nicht allein wegen der ihm dort zugefügten schweren Verletzung den Schlußpunkt seiner internationalen Karriere darstellt, spielt - immer noch unter Sepp Herber­ger - schon Uwe Seeler an seiner Seite. Dazwischen liegen unter anderem drei Jahre Kriegseinsatz als Wehrmachts-Infanterist mit abschließendem Aufenthalt in sowjetischer Gefangenschaft, die abzukürzen ihm ein fußballbegeisterter russischer Offizier geholfen haben soll.

Dazwischen liegt aber vor allem der 4.Juli 1954, an dem ein Fritz Walter im schon besten Bierhoff-Alter und seine zehn Kameraden aus schier aussichtsloser Position die Rückkehr Deutschlands in die Völkergemeinschaft herausspielten. 0:2 nach acht Minuten zurückgelegen und doch noch verdient gewonnen - das stellte den Kriegsverlauf, den die Menschen im Stadion und daheim an den Volksempfängern noch zu gut vor Augen hatten, geradezu auf den Kopf! Man kannte ja das Gefühl, auf dem Papier ohne Chance zu sein!

In Bern wurden ohnmächtige Hoffnungen, die die Deutschen zehn Jahre zuvor in ihren Luftschutzkellern vergeblich gehegt hatten, auf eine zeitgemäße Weise doch noch erfüllt. Eine volkstümliche Version dessen, was der Rittmeister von Brenken auf seinem alten Harro in "...reitet für Deutschland" kinofüllend angestellt hatte, war nun auf dem Rasen märchenhafte Wirklichkeit geworden. Die Zeugen dieses Ereignisses ernteten größeren Respekt der Nachwelt als die in Schweigen gehüllten teilnehmenden Beobachter verlorener Schlachten.

Für die Selbstfindung der Deutschen in der Bundesrepublik gab das "Wunder von Bern" mit seinen "Helden" die richtige Orientierung zum richtigen Zeitpunkt. Ein Land, auf das man in der Europäischen Wirtschafts Gemeinschaft (EWG) und Nato bauen wollte, hatte auf dem internationalen Parkett das "trizonesische" Phlegma abzulegen. Man wundert sich, warum im Internet von den Kennern der diversen Weltverschwörungen nicht längst auch Mutmaßungen über die wahren Strippenzieher des Debakels von Puskás & Co. angestellt werden.

In Fritz Walter fand das auch schon vor dem Fernsehzeitalter existente Verehrungsbedürfnis der Massen jemanden, den man allenfalls für sein Talent und seine Leistungen beneiden konnte. So etwas tut man aber normalerweise nicht. Den Verlockungen des großen Geldes, das er in Spanien hätte machen können, widerstand er. Die Möglichkeiten, in der Epoche vor der Erfindung des Marketings der auch schon damals vorhandenen Öffentlichkeit durch Omnipräsenz auf den Wecker zu fallen, waren noch gering und harmlos. Sein Engagement für einen Sportartikelhersteller degradierte ihn daher nicht zum Hampelmann, den abgehalfterte Weltfußballer heute in witzig gemeinten TV-Spots abgeben müssen. Auch mit einem Schokoriegel hat er sich nicht identifiziert, selbst wenn dieser Dynamik und Leidenschaft verkörperte. Sein altruistisches Image prädestinierte ihn allenfalls zur Leitfigur der Gemeinwohlreklame. Es gibt daher wahrscheinlich keinen Bundespräsidenten, der nicht irgendwann die Gelegenheit genutzt hätte, seinen Namen zu beschwören.

Die Attribute der Marke Fritz Walter waren jene einer Heile-heile-Gänschen- und Schaffe-schaffe-Häusle-baue-Welt, der die geistige Gründung der Bundesrepublik noch bevorstand. Im Zuge der diversen Nostalgiewellen hat man sich immer wieder gerne an sie und ihre bewegenden Momente erinnert. Fritz Walter war einer der wenigen, die das Gefühl vermitteln konnten, daß den heute Lebenden die Mentalität der bundesrepublikanischen Gründergeneration noch verständlich ist. 


 
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