© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/02 21. Juni 2002

 
"Ein System politischer Apartheid"
Interview: Bruno Gollnisch, Generalsekretär des Front National, Europaabgeordneter und Kandidat für die Nationalversammlung, über die Parlamentswahl in Frankreich
Moritz Schwarz

Herr Professor Gollnisch, Sie gelten als der führende Kopf der Gruppe des Front National im Europäischen Parlament, in dem Ihre Partei dank des Verhältniswahlrechts mit fünf Abgeordneten vertreten ist. Anders als in der französischen Nationalversammlung, in die wegen des Mehrheitswahlrechtes der Front National trotz 11 Prozent Wählerstimmen wieder einmal keinen einzigen Abgeordneten entsenden kann.

Gollnisch: Bedauerlicherweise begnügt sich das politische Establishment in Frankreich nicht damit, unsere Partei politisch zu bekämpfen, sondern mißbraucht das politische System - das ja eigentlich Chancengleichheit und die freie politische Willensbildung des Volkes garantieren soll -, um uns auszuschalten. 1988 wurde unter Jacques Chirac, der damals Premierminister war, das Verhältniswahlrecht zugunsten des Mehrheitswahlrechtes abgeschafft, um den Front National - damals hatten wir 35 Sitze - aus dem Parlament zu drängen. Danach hatten wir kaum einen Abgeordneten mehr, obwohl unser Wähleranteil zeitweise bei 15 Prozent lag.

Allerdings war das ursprüngliche Wahlrecht der fünften Republik das Mehrheitswahlrecht. Erst zur Parlamentswahl 1986 führten die Sozialisten das Verhältniswahlrecht ein.

Gollnisch: Das ist richtig, General de Gaulle führte mit der Gründung der fünften Republik 1959 das Mehrheitswahlrecht ein, um die Kommunisten zu bekämpfen, die in dieser Zeit sehr stark waren. François Mitterrand kehrte dann zur Wahl 1986 wieder zum Verhältniswahlrecht zurück, um die Gaullisten zu schwächen, deren Konkurrenten auf diese Weise auch in die Nationalversammlung gelangten. Als aber unsere Partei auf Anhieb 35 Sitze eroberte, wurde die Wahlrechtsänderung unter Premier Chirac wieder rückgängig gemacht. In Frankreich ist das Wahlrecht also nicht Ausdruck der Volkssouveränität, sondern ein Instrument in den Händen der Herrschenden.

Den Kommunisten gelang es allerdings stets, trotz Mehrheitswahlrecht ins Parlament zu gelangen.

Gollnisch: Und das, obwohl sie weniger Wähler haben als wir. Der Grund ist, daß die Sozialisten stets auch zu Wahlabsprachen mit den Kommunisten bereit waren. Diese Wahlabsprachen sind übrigens das zweite Mittel, um auch noch die letzten eventuellen Einzelerfolge unserer Partei zu unterbinden. In Frankreich finden die Parlamentswahlen in zwei Wahlgängen statt: Im ersten können alle Kandidaten antreten, und nur eine absolute Mehrheit entscheidet. Allerdings qualifiziert sich für den zweiten Wahlgang nur, wer 12,5 Prozent der Stimmen der wahlberechtigten Bürger - das sind in der Regel etwa 20 Prozent der tatsächlich abgegebenen Stimmen - für sich gewinnen kann. Wenn dann im zweiten Wahlgang oft nur noch drei Kandidaten im Rennen sind, darunter einer des Front National, verzichtet zum Beispiel der sozialistische Kandidat zugunsten des gaullistischen, um zu verhindern, daß der FN-Mann gewinnt.

Warum treffen Sie keine Absprachen mit den Gaullisten - wenn man sich überhaupt eines solch fragwürdigen Mittels bedienen will?

Gollnisch: Die Gaullisten begünstigen sogar die extreme Linke. So hat zum Beispiel Jean-Claude Gaudin, eine der Führungsfiguren der Konservativen und Bürgermeister von Marseille, öffentlich erklärt, in einem Wahlkreis, in dem es zum Duell zwischen einem Kommunisten und einem Mann des Front National kommt, solle man lieber den Kommunisten unterstützen. Es geht eben nicht darum, sich mit uns politisch auseinanderzusetzen, wie es die Demokratie eigentlich gebietet, sondern uns auszugrenzen. Deshalb halte ich es auch nicht für ein zu hartes Wort, wenn ich feststellen muß, daß sich in Frankreich in bezug auf uns und unsere Wähler ein System politischer Apartheid etabliert hat.

Zeichnet sich ein unliebsames Wahlergebnis ab, wird also flugs eine Absprache getroffen, um den Wählerwillen zu korrigieren?

Gollnisch: Genau, und zwar zum Nutzen der etablierten Parteien, die sich auf diese Weise nicht um den Willen des Volkes in all seinen Schattierungen zu kümmern brauchen, weil sie ihn sowieso ausmanövrieren. Opfer dieses "Demokratieverständnisses" ist im übrigen nicht nur der Front National und 15 Prozent der Wählerschaft, dieses skandalöse System aus Mehrheitswahlrecht und Absprachen diskriminiert jede neue politische Initiative und damit de facto etwa 40 Prozent der französischen Wähler - so viele Stimmen fallen in etwa bei der Wahl zur Nationalversammlung regelmäßig unter den Tisch. Man muß sich immer wieder klarmachen, daß Frankreich ein Land ist, in dem beinahe die Hälfte der Wähler politisch nicht repräsentiert ist!

Die offizielle Begründung für das Mehrheitswahlrecht lautet, man wolle eine zu starke Zersplitterung des Parlamentes verhindern und damit einer Bedrohung der Regierungsstabilität vorbeugen.

Gollnisch: Deutschland zum Beispiel hat ein Verhältniswahlrecht und ist dennoch ein sehr stabiler Staat. Wir hätten gar nichts dagegen, wenn man auch in Frankreich Mechanismen wie etwa das deutsche "konstruktive Mißtrauensvotum" einführen würde, das verhindert, daß Regierungen über jede Unebenheit in einem nach dem Verhältniswahlrecht gewählten Parlament stürzen. Insofern halte ich diese offizielle Begründung nicht für stichhaltig.

Wie bewerten Sie den Ausgang der Wahl allgemein?

Gollnisch: Wir haben uns dank der Ausgrenzungspolitik gegen uns zwar politisch nicht durchsetzen können, sind aber mit gut elf Prozent - in manchen Wahlkreisen mit über zwanzig Prozent - beim Wähler erfolgreich gewesen. Der große Verlierer ist die extreme Linke, darunter die Trotzkisten, die bei den Präsidentschaftswahlen vor einem Monat noch zehn, nun nur noch drei Prozent auf sich vereinigen konnten. Und auch dem Mouvement national républicain (MNR) des Bruno Mégret, der uns mit seiner Abspaltung verraten hat, hat der Wähler mit nur einem Prozent eine klare Absage erteilt.

Nachdem die Linken stark verloren haben und der Front National trotz 11 Prozent keinen Sitz in der Nationalversammlung erhält, ist die Frage, wer im französischen Parlament noch den Kampf gegen die Globalisierung führt.

Gollnisch: Niemand, in die Nationalversammlung wurden nur Parteien gewählt, die der Globalisierung mehr oder minder das Wort reden. Es bleibt nichts, als diesen Kampf mit friedlichen und gesetzmäßigen Mitteln auf der Straße zu führen.

Jean-Marie Le Pen hatte als Präsidentschaftskandidat vor einem Monat noch etwa 18 Prozent der Stimmen erhalten, jetzt hat der Front National nur gut 11 Prozent bekommen. Auch Sie haben also beim Wähler verloren, warum?

Gollnisch: Ich glaube, viele Menschen sind einfach zu Hause geblieben, weil sie vom politischen System in Frankreich völlig enttäuscht sind. Sie glauben nicht, daß Wahlen noch etwas bewirken. Man kann ihnen auch kaum widersprechen. Und auch der Verrat jeder politischen Moral, der Haß und die Verleumdung, die in der Kampagne gegen Le Pen nach dessen Überraschungserfolg im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl zum Ausdruck kamen, widert viele an, so daß sie resigniert haben.

Diese Erklärung klingt etwas dünn, denn Enttäuschung kann auch dazu führen, um so vehementer eine politische Alternative zu unterstützen.

Gollnisch: Das sollten die Leute tun, aber leider ist es nicht so.

Weist das nicht auf Defizite des Front National hin?

Gollnisch: Ob sie sich die Mühe machen, zur Wahl zu gehen oder nicht, spielt aus Sicht der Protestwähler kaum eine Rolle, da ihre Stimme doch nicht in der Nationalversammlung ankommt, wie Sie an unserem Wahlergebnis sehen können. Wo sind denn unsere elf Prozent? Natürlich finde auch ich, daß die Leute trotzdem zur Wahl gehen sollten, gerade um auf den wahlrechtlichen Mißstand in Frankreich hinzuweisen. Aber so politisch denken die meisten Menschen eben nicht.

Der Front National scheint weitgehend von der Person Jean-Marie Le Pens abzuhängen. Warum ist es in den 30 Jahren seines Bestehens nicht gelungen, einen selbständigen, politisch ernst zu nehmenden Funktionärsstamm aufzubauen?

Gollnisch: Wir haben durchaus entsprechendes Personal in unseren Reihen. Allerdings ist es für uns natürlich ein großes Problem, daß die Ausgrenzung unsere Partei für politisch kompetente Menschen, die aber etwas erreichen wollen, unattraktiv macht. Von den dauernden Anfeindungen gegen die Leute, die sich bei uns engagieren, ganz zu schweigen.

Sie teilen also nicht die Auffassung, daß der Front National mit der politischen Führerschaft Le Pens - der immerhin schon 73 Jahre alt ist - steht und fällt?

Gollnisch: Natürlich ist Jean-Marie Le Pen eine starke und charismatische Persönlichkeit, aber die Partei wird auch nach Le Pen weiterexistieren und beim Wähler politisch erfolgreich sein.

Wie ist das Verhältnis des Front National zu den beiden bürgerlichen Rechtsparteien Rassemblement pour la France (RPF) und Mouvement pour la France (MPF)?

Gollnisch: Diese beiden sehr kleinen Parteien, geführt von Charles Pasqua und Phillipe de Villiers, sind beide aus der Mitte der gaullistischen Partei entstanden. Jahre nach dem politischen Erscheinen des Front National haben sie Positionen formuliert, die weitgehend den unsrigen entsprechen. Wir hätten nichts gegen eine Zusammenarbeit mit diesen Parteien, und es gibt auch, zum Beispiel im Europäischen Parlament, Kontakte zwischen unseren und ihren Abgeordneten. Allerdings sind diese Parteien nicht dazu geschaffen worden, ein Verbindungsglied zu sein. Im Gegenteil, sie sollen verhindern, daß Leute, die Chirac "nach rechts" verlassen, zum Front National wechseln.

Wie ist Ihr Verhältnis zu den Linksnationalisten - eine Position, die es im engen deutschen Parteienspektrum gar nicht gibt -, dem Pôle républicain (PR), um den ehemaligen sozialistischen Innen- und Verteidigungsminister Jean-Pierre Chevènement?

Gollnisch: Er hat viele vernünftige Ansichten, und ohne Zweifel sind diese Leute Patrioten - nur eben von links. Das ist allerdings auch das Problem: Unglücklicherweise trennen uns ihre einschlägig linken Positionen. Ich will aber nicht verhehlen, daß ich mit ihnen sehr gerne politisch näheren Kontakt pflegen würde. Allerdings ist die Partei, darüber muß man sich im klaren sein, sehr klein.

Was halten Sie von Jörg Haiders Vorschlag, eine europäische Rechtspartei zu gründen?

Gollnisch: Wir sind davon überzeugt, daß ein verstärkter Austausch zwischen den europäischen Rechtsparteien notwendig ist, das heißt nicht, daß sie alle in ihren Positionen übereinstimmen müssen. Aber sie müssen das Tabu der political correctness, das in ganz Europa die Freiheit bedroht, gemeinsam zurückweisen.

Der Front National gilt wohl als die "rechteste" Rechtspartei in Europa. Parteien wie die FPÖ, die Liste-Pim-Fortuyn oder die Dänische Volkspartei lehnen eine Zusammenarbeit mit ihnen ab.

Gollnisch: Die österreichische Presse schreibt über uns, wir seien rechtsradikale Finsterlinge, dafür schreibt die französische Presse über Jörg Haider, er sei ein verkappter Nazi. Wir müssen uns besser kennenlernen, um uns ein eigenes Bild zu machen und festzustellen, was an diesen Presseberichten stimmt und was nicht.

Warum gibt es im Europäischen Parlament keine gemeinsame Fraktion der konservativen, rechten und nonkonformen Parteien?

Gollnisch: Die Abgeordneten etwa der FPÖ oder der Alleanza Nationale haben Anweisung, nicht mit uns zusammenzuarbeiten. Es liegt nicht an uns, wir haben stets den Kontakt zu anderen Europäern gesucht. Jean-Marie Le Pen hat schon immer in Anlehnung an Karl Marx und Friedrich Engels die Parole vertreten: "Patrioten aller Länder, vereinigt euch!"

Sozialistische Politiker haben vorgeschlagen, den Front National wegen Rassismus zu verbieten.

Gollnisch: Dieser Vorschlag kommt von ganz links und ist nicht ernstzunehmen, denn der Kampf für nationale Identität hat nichts mit Rassismus zu tun. Wir haben übrigens auch Araber und Moslems in unseren Reihen, was den Rassismus-Vorwurf doch wohl widerlegt. Im übrigen ist Frankreich ein Rechtsstaat, und solch ein Ansinnen hätte vor keinem Gericht auch nur die Spur einer Chance.

Sogar Jörg Haider wirft dem Front National vor, rassistische Positionen zu vertreten.

Gollnisch: Ich vermute, Haider sieht sich durch den Druck der political correctness zu solchen Aussagen gezwungen.

Le Pen ist 1999 in München wegen Aussagen zum Holocaust zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Gollnisch: Die Antisemitismus-Vorwürfe beziehen sich auf eine angebliche Aussage Le Pens, der Holocaust sei ein "Detail der Geschichte". Dieses Zitat ist aber aus dem Zusammenhang gerissen. Le Pens Aussage bezog sich auf die Art der Ermordung der Menschen, nicht auf das Verbrechen ihrer Ermordung selbst. Er hat das aber schon an die tausend Mal klargestellt. Auch ansonsten kann ich den Vorwurf des Antisemitismus mit gutem Gewissen zurückweisen: Der beste Beweis ist, daß unter den Mitgliedern unserer Partei nicht nur Araber und Moslems, sondern auch Juden sind. Natürlich kritisiert uns die linksgerichtete jüdische Lobby, aber uns kritisiert genauso die linksgerichtete katholische Lobby.

Was wird sich nun in Frankreich ändern nach dem Ende der Kohabitation?

Gollnisch: Dadurch wird sich nichts verändern, denn es herrscht dasselbe Establishment nach denselben Doktrinen wie zuvor. Und selbst wenn Jacques Chirac wollte, er wäre gar nicht in der Lage, die notwendigen Reformen durchzuführen. Sehr bald schon wird sich eine große Enttäuschung unter den Franzosen breitmachen.

Der deutsch-französische Politologe Alfred Grosser rechnet mit erheblichen sozialen Unruhen ab Herbst.

Gollnisch: Das vermute ich auch, denn die Linke, die Chirac gegen uns noch unterstützt hat, wird natürlich nun, da die "Gefahr" durch uns bis zur nächsten Wahl gebannt ist, gegen die Politik Chiracs mobilisieren. Und in Ermangelung der notwendigen politischen Stärke wird sie das wie immer auf der Straße tun.

 

Prof. Dr. Bruno Gollnisch, Orientalist, Politologe und Rechtsanwalt, ist seit 1995 Generalsekretär des Front National und seit 1989 Abgeordneter des Europäischen Parlamentes. Der Einzug in die französische Nationalversammlung gelang dem Direktkandidaten trotz 23 Prozent Stimmenanteil nicht.

 

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