© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/02 21. Juni 2002

 
Gesucht und gefunden
Parteien II: Der Ulmer FDP-Kreisvorsitzende Stefan Havlik wurde das Opfer einer Medienschlacht
Michael Mayer

Der Kreisvorsitzende der Ulmer FDP, Stefan Havlik, ist am Montag, 10. Juni, von seinem Amt zurückgetreten. Der erst Ende vorigen Jahres zum Kreischef gewählte Havlik zog auch seine Mitgliedschaft im FDP-Landesvorstand zurück, bleibt jedoch Parteimitglied.

Der 22jährige war in die Schußlinie der Medien geraten, weil er unter anderem deutsche Fahnen vor deutschen Schulen forderte und mit Israels Politik nicht einverstanden war. Havlik fühlt sich als Opfer "einer hysterischen Medienkampagne". Dem Ulmer Kreisverband hat die Geschichte nicht geschadet: er ist um 20 auf 100 Mitglieder angewachsen, Höchststand seit 1947. Havlik steht nach wie vor zu dem Gesagten. Trotz lokaler Medienschelte findet Havliks Kurs Zustimmung in der Ulmer Bevölkerung.

Nachdem Jürgen Möllemann wegen seiner Äußerungen über den stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, und Israels Ministerpräsident Scharon zum Ziel einer landesweiten Medienkampagne wurde, fahndeten Presse, Funk und Fernsehen in den vergangenen Wochen fieberhaft nach Sympathisanten in der Partei. Die FDP sollte als neues Sammelbecken rechtsradikaler Kräfte vorgeführt werden, die sogar vor "Tabubrüchen" wie der Kritik an israelischer Politik nicht zurückschreckt. Trotz bundesweiter Suche ließen sich zunächst keine liberalen Rechtsradikalen auftreiben. Fündig wurde man schließlich in der Münsterstadt Ulm.

Stefan Havlik war einem Reporter des Stern auf dem Jahreskongreß des CDU-nahen Studienzentrum Weikersheim aufgefallen. Auf der Tagung sprach unter anderem auch Hessens Ministerpräsident Roland Koch. Nach seinen Erfahrungen ist Havlik heute davon überzeugt, daß Reporter gezielt auf Suche nach FDP-Politikern ausgeschickt wurden, um sie als rechtsradikal darstellen zu können. Nach einem Vortrag über den christlichen Glauben in der Bildungspolitik äußerte sich auch Havlik und stellte die Forderung auf, daß Schulabgänger die deutsche Nationalhymne kennen und außerdem vor deutschen Schulen deutsche Fahnen wehen sollten. Havlik erzählt, daß in der Pause der Stern-Reporter aggressiv auf ihn zugetreten sei und ihn mit seinen Äußerungen, in denen es auch um ein "Deutschland jenseits von Oder und Neiße" gegangen war, konfrontiert habe. Havlik sagte, daß er falsch verstanden werde. Tags darauf rief der Stern-Reporter bei Havlik an und fragte nach einem Interviewtermin. Havlik war vorsichtig geworden und setzte sich mit Möllemanns Pressesprecher in Verbindung, der abriet. Die würden nur einen suchen, den sie vorführen könnten, habe der ihm gesagt, so Havlik.

Erhebliche Zweifel an Eignung und Gedankengut

Der Stern-Reporter habe daraufhin gedroht, daß er in jedem Falle schreiben werden: "Und das wird ihnen nicht gefallen." Havlik sagte dennoch ab und der Bericht erschien: "Der Artikel war wirklich übel, da bin ich als einer hingestellt worden, der auf der Nazi-Schiene Karriere machen will." Der Zug war ins Rollen gekommen, viele Zeitungen sprangen auf. "Jeden Tag haben 30 bis 40 Journalisten bei mir angerufen", sagt Havlik. Nachdem er keine Aussagen mehr machte, durchleuchteten die Medien sein Umfeld. Auf Havliks Internetseite wurden die Journalisten fündig. Dort forderte der FDP-Kreisvorsitzende den Rückzug Israels in die Grenzen von 1947, nannte die Politik Scharons "Staatsterrorismus" und fand die EU-Sanktionen gegen Österreich falsch. Jetzt zückten auch die lokalen Zeitungen die Feder. Hans-Uli Mayer von der Ulmer Südwestpresse schrieb, daß es "erhebliche Zweifel an der Eignung und Gedankengut des 22jährigen" gebe. Zwei Tage später verglich der stellvertretende Chefredakteur der Zeitung, Willy Böhmer, Havlik mit einem wegen Betruges strafrechtlich verfolgten jungen CDU-Politiker. "Die wollten mich in die Nähe eines Verbrechers rücken", sagte Havliküber die Verdächtigungen. Auch andere Lokalblätter schossen sich auf Havlik ein; darunter mit beinahe komischen Vorwürfen wie den der Stuttgarter Zeitung, der Havlik schon daran als "Rechtsradikalen" zu erkennen glaube, daß "er in seiner Sprache keine Anglizismen benutze, so sage Havlik zu seinem 'Handy' Handtelefon".

Am 7. Juni folgte eine Krisensitzung der Ulmer FDP. Havlik versprach, sich an die vom Landesvorsitzenden Walter Döring aufgestellten Leitlinien zu halten. Ein Gespräch mit Döring und eine gemeinsame Erklärung folgte. "Wir haben gedacht, die Medien geben jetzt Ruhe", sagte Havlik. Statt dessen nahm der Druck auf den 22jährigen sogar noch zu und zeigte auch gesundheitliche Wirkung: "Ich war so langsam nervlich am Ende." Am 10. Juni trat Stefan Havlik schließlich entnervt von seinem Amt als Kreisvorsitzender zurück. Seine Stellvertreter Bruno Waidmann und Manfred Russ zeigten sich über den Schritt Havliks "froh und erleichtert". Sie führen den Kreisverband vorerst weiter.

Havlik blickt mit Bitterkeit zurück: "Ein gesunder Patriotismus wird uns hier nicht mehr zugestanden." Er zeigt sich tief betroffen über die "politische Opportunität der Politik". In diesem geistigen Klima könnten sich keine jungen Politiker weiterentwickeln, alle würden nur noch "stromlinienförmig denken". Über die Berichterstattung ist Havlik mehr als enttäuscht: "Wo sind die Medien, die noch unabhängig berichten? Ich habe den Eindruck, die schreiben voneinander ab."

Allerdings keimt in Havlik langsam der Verdacht, daß die öffentliche Meinung nicht mit der veröffentlichten gleichzusetzen ist: "Das Echo der Ulmer Bürger war ein anderes, wie das in der Presse", sagt er. Viele Ermunterungen von Ulmern und anderen habe er in den vergangenen Tagen bekommen.


 
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