© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/02 21. Juni 2002

 
Deeskalation als Festprinzip
Sachsen: Alljährlich gerät das Stadtfest "Bunte Republik Neustadt" zur Bühne von Krawallmachern
Ellen Kositza

Deeskalation heißt es üblicherweise, wenn Scheiben bersten, Autos brennen und der Mob toben darf, während die Polizei ihre möglichst behutsame Präsenz unaufdringlich in den Hintergrund rückt und Papa Staat wohlwollendes "Fairständnis" zeigt. Immerhin kennt ein geplünderter Laden ja keine Schmerzen.

Mit "Deeskalation" war auch das Konzept der Ordnungskräfte beim letztjährigen Dresdner Stadtteilfest "Bunte Republik Neustadt" (BRN) überschrieben, und genau dadurch drang das über 150.000 Besucher zählende Großereignis 2001 bundesweit in die Schlagzeilen. Damals sah sich die Polizei - hernach habituell dennoch als "Provokateur" gescholten - ein ganzes Wochenende außerstande, dem Treiben von Chaoten Einhalt zu gebieten. Zahlreiche Schwerverletzte und einige nahezu komplett zerstörte Gaststätten waren die Bilanz.

Die Folge war, daß sich in diesem Jahr zur 13. BRN kein Verantwortlicher als Gesamtveranstalter bereitfinden wollte und das Fest noch im Mai am Nein des Stadtrats zu scheitern drohte. Durch eine Vielzahl von Einzelanmeldungen fand die "Bunte Republik" am vergangenen Wochenende nun doch in gewohntem Ausmaß, wenn auch wegen Dauerregens bei deutlich gesunkenen Besucherzahlen statt.

Die Dresdner Äußere Neustadt, der nördliche der Elbe gelegene, im Krieg weitgehend unzerstört gebliebene Stadtteil, ist das, was man ein "Szeneviertel" nennt. Kneipen, Galerien, alternative Modeläden und sogenannte "Headshops" für den Kiffer-Bedarf reihen sich dicht aneinander in den Gassen mit den hohen Altbaufassaden, die Einwohnerschaft ist sehr jung, relativ kinderreich, dabei weniger schick als flippig. So fehlen die volksfestüblichen reinen Bierstände hier, statt dessen beherrscht Clubmusik die Straßen, werden auf Großleinwänden Revolutionsszenen - Mauerfall inklusive - gezeigt, statt Pils vom Faß trinkt man Caipirinha und Mojito, und zwei der Dutzend Straßen gehören ganz den Kindern. Statt der gewohnten Plastik-Hüpfburg zu Kinder-Techno gibt's hier Ganzkörperbeschmierung zu Ethnoklängen und Kissenschlacht im Heu. Tatsächlich ist die BRN ein einzigartiges Volksfest, trotz des gegensätzlichen Anspruchs nahezu völlig monokulturell und mit einem sagenhaft niedrigen Altersdurchschnitt - ab 45 wird man hier zur Attraktion. Die schmalen Gassen, randvoll mit unprätentiös und fröhlich tanzenden Schülern, Bettelpunks und Berufsjugendlichen, dürften ein einmaliges Bild bieten. Unter den Punks, andernorts seit Jahren eine ausgestorbene Spezies, gilt die Neustadt als eine Art Bundeszentrum. Das galt in den letzten Jahren verstärkt während der BRN, wozu Bunthaarige landesweit anzureisen pflegten, um schon mittags volltrunken großräumige Bereiche zu okkupieren und in den späten Abendstunden gemeinsam mit anderen Randalierern ganze Straßenzüge zu zerlegen. Diesjährig stand man bei abweichender Schuldigen-Gruppe vor ähnlichem Resultat: Freitag- und Samstagnacht glichen sich die Bilder, hauptsächlich kapuzenbehangene Hooligan-Typen mit deutlich nicht-sächsischem Akzent waren es, die um Mitternacht begannen, recht unvermittelt Feuerwerkskörper und Schreckschußwaffen gegen Festbesucher zu feuern, eine Dixi-Toilette abzufackeln und schließlich Polizisten - bis dahin in deeskalierender Abwartung -, Notarztwagen und Sanitäter mit herausgerissenen Pflastersteinen und wahlweise Verkehrsschildern zu bewerfen. Die Randalierer beschädigten ferner eine Straßenbahnhaltestelle und etliche geparkte Autos. Unter den knapp 50 vorläufig Festgenommenen der ersten beiden Nächte befand sich nach Polizeiangaben kein Neustädter, am Ende stieg die Zahl auf 74 Festnahmen. Auf Seite der Polizei waren allein 52 zum Teil Schwerverletzte - ein Uniformierter stand durch einen Molotow-Cocktail in Flammen - zu beklagen. Allein der letzte Festabend am Sonntag verlief, von einzelnen eingeworfenen Fenstern abgesehen, ohne Zwischenfälle. Dazu trug die massive Polizeipräsenz bei, 980 speziell geschulte Beamte, auch aus Hessen, Thüringen, Bayern und Nordrhein-Westfalen herangezogen, hatten sich zum frühen Abend hin auf dem gesamten Areal der Äußeren Neustadt postiert. Darüber hinaus waren weitere 500 Polizisten aus dem Freistaat Sachsen präsent. Das entsprach zwar nicht der "Deeskalation", die sich die Veranstalter wünschten, zeigte aber Erfolg. Allein an diesem Tag konnte auf einen Hubschrauber-Einsatz verzichtet werden. Dresdens linksliberaler Oberbürgermeister Ingolf Roßberg (FDP) betonte, daß das Sicherheitskonzept der Stadt funktioniert habe und beschwor in seinem Fazit der ritualgewordenen blutigen Ausschreitungen weiterhin auch medienmäßige "Deeskalation": Verantwortungsvolle Journalisten mögen bitte das fröhliche Fest beschreiben und die "Zwischenfälle" tiefhängen. 


 
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