© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/02 21. Juni 2002

 
PRO&CONTRA
Zentralabitur einführen?
Holger Zastrow / Walter Hiller

Die Pisa-Studie hat es gezeigt. Deutschland ist auf dem besten Weg zu einem bildungspolitischen Entwicklungsland. Dem Land der Dichter und Denker scheinen die hellen Köpfe auszugehen. Nach Bekanntwerden der ersten Ergebnisse aus der regionalen Pisa-Studie warnt Bundesministerin Edelgard Bulmahn jetzt vor einem Vergleich der Bildungsqualität zwischen den Bundesländern. Doch genau diesen Vergleich braucht unser Land. Die Defizite im Bildungsbereich dürfen nicht länger unter den Tisch gekehrt werden.

Dabei hätten die gravierenden Unterschiede schon längst auffallen können - bei einheitlichen Prüfungsstandards in ganz Deutschland. Ein Abitur in Dresden und Hamburg zu vergleichen, bedeutet heute Äpfel und Birnen gegenüberzustellen. Transparenz in den Leistungen und Fähigkeiten der Gymnasiasten? Fehlanzeige. Statt dem klaren Bekenntnis zum Leistungsvergleich, pflegen die Länderkultusminister lieber ihr bildungspolitisches Hickhack auf dem Rücken von Schülern, Eltern und Lehrern auszutragen. Und die Kultusministerkonferenz? Sie beschäftigt über Jahre einen bürokratischen Apparat, um zu klären, ob man Schiffahrt mit zwei oder drei "f" schreibt. Es wird höchste Zeit, daß auch im Bildungsbereich Wettbewerb zwischen den Bundesländern stattfindet. Dazu braucht es aber klare Regeln. Ein einheitliches Abitur zeigt klar auf, wo Stärken und Schwächen der Bildungspolitik einzelner Bundesländer liegen. Und es erhöht den Druck auf die Verantwortlichen, Defizite zu beseitigen. Denn es kann nicht sein, dass derjenige, der aufgrund seiner Herkunft im "falschen" Bundesland aufwächst, durch die "Sozialauswahl Schule" um seiner Zukunftschancen beraubt wird.

Mit der Einführung zentraler Prüfungsstandards in ganz Deutschland soll die Länderzuständigkeit für die Schulbildung auf keinen Fall abgeschafft werden. Jeder Absolvent muß am Ende seines Schulbesuches ein vollwertiges und vergleichbares Abitur vorweisen können.

 

Holger Zastrow ist Landesvorsitzender der sächsischen FDP.

 

 

Man sagt, das Zentralabitur sei notwendig, damit das Leistungsniveau angehoben, die Chancengleichheit hergestellt, die Verläßlichkeit des Abschlußzeugnisses als Beweismittel für den Lernerfolg des Schülers gesteigert und die Erfüllung des Lehrplanes und der Prüfungsanforderungen gewährleistet würden.

Das Zentralabitur ist jedoch für die Erreichung dieser Ziele weder das geeignete, noch das verhältnismäßige Mittel. Die Einführung würde den in den letzten Jahren verfolgten Zielen der Schulpolitik eines differenzierten und vielfältigen Schulangebotes zuwiderlaufen. "Offensein des Staates für die Vielfalt der Formen und Inhalte, in denen Schule sich darstellen kann", entspricht nach den Worten des Bundesverfassungsgerichtes "den Wertvorstellungen der freiheitlich demokratischen Grundordnung". Diese Einwände gelten für staatliche und freie Schulen gleichermaßen. Im Blick auf die Schulen freier Trägerschaft verschärfen sie sich noch einmal wesentlich, weil hier verfassungsrechtlich geschützte Bereiche berührt werden. Rechtliche Zweifel an der Qualität einer aus dem Schulprofil entwickelten Prüfung können nicht platzgreifen, nachdem der Lehrplan als gleichwertig mit demjenigen anderer staatlicher Schulen vom Kultusministerium genehmigt ist. Damit rechtlich schlüssige Objektivität diesen Bereich bestimmt, sollte sehr viel gründlicher überlegt und souveräner gehandelt werden: Es ist notwendig, die Schulaufsicht unabhängig einzurichten und fachlich so kompetent zu besetzen, daß sie die verschiedenen pädagogischen Formen und Inhalte jeweils sachgerecht beurteilen kann. Die staatliche Unterrichtsverwaltung als Träger des quantitativ größeren Schulsystems muß von dieser Aufgabe entlastet werden, denn sie nimmt, wie jüngst das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, keine neutrale Stellung ein, da sie stets zugleich die Interessen der staatlichen Schulen wahrnimmt, zu denen die freien Schulen in Konkurrenz stehen.

 

Walter Hiller ist Geschäftsführer des Bundes der Freien Waldorfschulen e.V. in Stuttgart.


 
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