© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/02 14. Juni 2002


Leserbriefe

Zum Pro & Contra "Familienwahlrecht einführen?", JF 23/02

Gangbare Wege

Professor Isensee ist ein allseits, auch von mir, hochgeschätzter Kollege. Seine Ausführungen zum Thema "Familienwahlrecht" (besser: allgemeines Wahlrecht) überzeugen mich jedoch nicht. Er spricht von "dem Gebot der höchstpersönlichen Ausübung, das dem Grundgesetz eigen ist". Doch davon ist in den Wahlrechtsgrundsätzen des Grundgesetzes gerade nicht die Rede. Wir finden dieses Gebot nur in den Wahlgesetzen.

Warum höchstpersönlich? Darauf kenne ich keine andere Antwort als: damit mit der Stimme kein Unfug betrieben werden kann, wie zum Beispiel verkaufen, versteigern, abnötigen lassen, alles reale Erscheinungen der Wahlrechtsgeschichte. Doch diese Gefahr ist bei der Übertragung des Stimmrechts kraft des Gesetzes ausgeschlossen.

Auch für das "praktische Problem", das Isensee benennt, ist längst ein gangbarer Weg gefunden. Die Eltern brauchen sich nicht zu einigen. Jeder Elternteil erhält für jedes der gemeinsamen Kinder eine halbe Stimme.

Abschließend heißt es in dem Beitrag Isensees: "Befürworter eines Familienwahlrechts hoffen, daß es das politische Gewicht der familiären Interessen steigern könne. Das mag zutreffen." Ja, das ist die Erwartung, die die Befürworter beseelt, abgesehen von dem Gesichtspunkt, daß Gleichberechtigung auch die Würde des Menschen tangiert, die der Minderjährigen eingeschlossen. Dies wiegt für manche noch schwerer.

Prof. Dr. jur. Konrad Löw, Baierbrunn

 

 

Zum Interview mit Uri Avnery, JF 23/02

Doch Nazi-Methoden?

Uri Avnery meinte, Israel den Vorwurf zu machen, "Nazi-Methoden ins Feld zu führen ist absurd." Solche Vorwürfe gegen die Israelis erhob der 1994 verstorbene israelische Philosoph Jesajahu Leibowitz in seiner Schrift "Gespräche über Gott und die Welt": "Heute wiederhole ich mit Nachdruck den Ausdruck 'Judennazi'! Die Besetzungspolitik ist eine nazistische Politik!...Wir verhalten uns in den von uns besetzten Gebieten, der Westbank, dem Gazastreifen und im Libanon, wie sich die Nazis in den von ihnen besetzten Gebieten... verhalten haben." In der jüdischen Monatsschrift semit/times, Nr. 2/1992 bedauerte er die negative Entwicklung des Zionismus: "Die Zionisten sind nicht wie die Nazis, sie sind Nazis." Auch ich teile die Ansicht des Philosophen Leibowitz. Die ganze Siedlungspolitik der Israelis im Westjordanland und Gaza erinnert doch unwillkürlich an die Siedlungspolitik der Nationalsozialisten in Polen.

Georg Wiesholler, Ottobrunn

 

 

Zu: "Im Widerstand gegen den Absolutismus" von Martin Möller, JF 23/02

Reformfrage

Der Autor hat offensichtlich das Prinzip der Steinschen Reformen nicht verstanden - dieses ist "Fortschritt durch Bewahren". Die im wesentlichen auf den Freiherrn von und zum Stein zurückgehenden Reformen waren keine Neuerungen, sondern Verbesserungen durch Rückbesinnung auf das Ursprüngliche. Stein hatte nämlich in seiner Wahlheimat Westfalen, besonders in der ehemaligen Grafschaft Mark, zwei Prinzipien kennengelernt, die sich noch aus der Zeit des Sachsenreiches unter Widukind erhalten hatten: Wie es bei den Sachsen an der Ruhr nie "Unfreie" gegeben hat, gab es in Westfalen nie Leibeigenschaft; ebenso führt man den Grundsatz der städtischen Selbstverwaltung auf Regelungsformen der Sachsen zurück. Stein nannte dies selbst in einem Brief von 1802 "die alte deutsche Verfassung", die sich in Westfalen erhalten hat. 

Hartmut Dichmann, Hagen

 

 

Zu: "Klotz am Bein" von Ellen Kositza, JF 23/02

Wahre Probleme

Ich bin von Ihrem Aufsatz enttäuscht. Dürfen Sie nicht mal als Frau und nicht mal in der JUNGEN FREIHEIT in voller Lautstärke die wichtigsten Punkte nennen, die zu den wenigen Dingen gehören, zu denen Schreien besser als Flüstern paßt? Das wichtigste Argument zeigen Sie mit dem Foto "Familienleben im Individualismus" und es zeigt mehr als die folgenden tausend Worte.

Kinder-/Familienfeindlichkeit fängt - Individualismus ebenso - schon vor dem ersten Kind an, mit der Selbstverständlichkeit, mit der auch von Mädchen (von allen Mädchen) das volle Karriereprogramm erwartet wird.

Wurde ein Mädchen vor 20 Jahren noch ausgelacht, wenn es als Berufswunsch etwa Automechaniker genannt hätte, so wird es heute geschmäht, wenn es wagen würde: "Hausfrau, Mutter" anzugeben. Und eine Frau, die einen - noch oder wieder - kinderlosen Haushalt versorgt, mit ihrem Mann morgens aufsteht und abends eine tägliche Alternative zum Pizza-Service bietet, wird ebenfalls heftig diskriminiert. Sie bemerken richtig, daß es in den Siebzigern diese Welle der Öffnung der Familie gab - auch die Zeit der "Hausmänner": Warum nicht? War ja damals das Schlagwort. Mit dieser Freiheit ist es heute vorbei, Freiheit heißt im ökonomistischen Individualismus als oberste Forderung: Freiheit von Abhängigkeit. Zwischen den Zeilen sagen Sie das ja auch, vermute ich. Aber bitte: Werden Sie doch deutlicher. 

laus Heck, Köln

 

Kostengründe

Nur zu wahr, Frau Kositza. Leider haben wir es heute im Westen mit dem homo economicus zu tun. Ein besseres gesellschaftliches Image von Müttern und Kindern und finanzielle Unterstützung sollten einander ergänzen. Ein Erziehungsgeld, welches Reduzierung der Arbeit voraussetzt, so daß mehr Zeit für Kinder bleibt, an der es vielfach aus purer materieller Notwendigkeit mangelt.

Der Hauptgrund für weniger Geburten ist meiner Einschätzung nach die Industrialisierung, zuletzt der Landwirtschaft. Nicht nur im Kaiserreich kam der Geburtenüberschuß aus den ländlichen Gebieten. Global, auch in den Entwicklungsländern werden im ruralen (bäuerlichen) Bereich mehr Kinder pro Frau geboren, als im urbanen. Da aber in den Industrieländern nur noch ein Bruchteil der Menschen in der Landwirtschaft arbeitet, ist der Rückgang empirisch belegbar.

Weder lassen sich wieder 30 und mehr Prozent auf dem Lande beschäftigen, noch lösen materielle Anreize und Ansehen von Müttern das demographische Problem allein. Aber die Analyse ist Voraussetzung für Lösungsansätze.

Jens Geißler, Berlin

 

 

Zu: "Das gefundene Fressen"von Dieter Stein, JF 22/02 und die Berichterstattung Möllemann/Karsli allgemein

Gemischter Eindruck

Jamal Karslis Aussagen im berühmt-berüchtigten JF-Interview vom 3. Mai haben einen sehr geschmischten Eindruck hinterlassen. Zweifelsohne waren seine Bemerkungen zur moralischen Hemmung der Deutschen im Umgang mit dem israelisch-arabischen Konflikt zutreffend. Doch leider hat Karsli seine Behauptung einer "zionistischen Lobby" mit einem Verweis auf die Lewinsky-Affäre des früheren US-Präsidenten zu untermauern versucht. Selten so gelacht: Warum das pummelige Praktikantenmädchen, das Clinton fast den Job gekostet hätte, mit einer großen "Zionistenverschwörung" unter einer Decke stecken soll, mag verstehen wer will - Herr Karsli hat wohl zuviel arabisches Fernsehen geguckt. Es war deshalb richtig und wichtig, daß Chefredakteur Stein auf der Titelseite der JUNGEN FREIHEIT den Lewinsky-Unsinn deutlich benannt hat.

Felix Heubmann, per E-Post

 

Beweise

Man muß nicht alles von der JUNGEN FREIHEIT lesen, nicht mit allem einverstanden sein. Aber schon dieser Artikel beweist, daß man eine Zeitung liest, die haushoch über das PC-Gesülze dieser Republik hinausragt, und nicht verblödet, sondern aufklärt.

Reiner Schneider, Berlin

 

Wahlsuppe

Es wird immer deutlicher: Der Regierungskoalition Rot-Grün konnte gar nichts Besseres passieren, als die Affäre Möllemann; denn mit Möllemann ist die FDP stigmatisiert und für "politisch korrekte" Wähler nicht wählbar.

Das wiederum macht eine Ablösung der rot-grünen Regierung durch eine schwarz-gelbe unwahrscheinlich. Ich vermute, die Rot-Grünen werden sich erstens mit Rücktrittsforderungen an Möllemann zurückhalten und zweitens versuchen, die Möllemann-FDP-Suppe bis zu den Wahlen im September am Kochen zu halten. 

Fritz Hübner, Köln

 

Uneingeschränkte Narrenfreiheit

Man muß kein Freund von Möllemann oder den Palästinensern sein. Es geht schlicht um eine im Klartext artikulierte, politische Situationsbeschreibung: Michel Friedman vom Zentralrat der Juden hustet - und die kränkelnden, seit Jahrzehnten schon an chronischer Rückgratverkrümmung leidenden deutschen Politiker, praktisch jeglicher Couleur, bekommen fast eine Lungenentzündung. Jürgen Möllemanns mutig ausgesprochene - aber politisch unkorrekte - Wahrheit ist für Paul Spiegel offenbar gefährlicher als jede Lüge. Skandalös und perfide seine Reaktion, in diesem Zusammenhang einen "Aufstand der Demokraten" zu fordern. Was er fordert, ist eine uneingeschränkte Narrenfreiheit für israelische Politik und jüdische Politiker - auch in der Bundesrepublik. 

Ulrich Dittmann, Kirchheimbolanden

 

Hohepriester des Schuldkultes

Selbsternannte Moralrichter wollen in auffallend zunehmendem Umfang ein deutsches Schuld- und Schamsyndrom kultivieren, ja ein kollektives Irresein induzieren.

Ein Volk mit einst geistiger Elite, Kulturträger Europas, hat bitter genug gebüßt für seine Verirrungen und daraus die notwendigen Lehren gezogen. Es kann nun aufrechten Ganges seinen Platz in der europäischen Völkergemeinschaft aufnehmen.

Doch indem die Hohepriester des Schuldkultes ihr Machtinstrument um keinen Preis aufgeben wollen, entlarven sie es in steigendem Maße als solches. Besonders dort, wo nun die Schuld auf Kinder und Kindeskinder ausgedehnt wird. 

Jutta Wendland, Hamburg

 

Meinungsbuhlerei

Bei der gegenwärtig geführten Diskussion um antisemitische Tendenzen in der FDP stellt sich die veröffentlichte Meinung mehrheitlich auf die Seite des Zentralrates und gegen Möllemann. Es hat den Anschein, als ob die meisten Kommentatoren der deutschen Politik nur Meinungen äußern, die mutmaßlich vom Zentralrat abgesegnet werden. Dieses Buhlen dürfte vielen Landsleuten nicht passen und ich erwarte entsprechende Wahlgewinne der FDP, wenn sie sich bei ihrer Kritik an der israelischen Politik nicht beirren läßt.

Kritikpunkte sind die unrechtmäßigen Siedlungen, das Nichtbeachten von UN-Resolutionen und der Einsatz des Militärs gegen die palästinensische Zivilbevölkerung. Mit diesen Maßnahmen kann Israel keine Sympathien gewinnen. Auch der religiöse Anspruch der Juden, Gottes auserwähltes Volk zu sein, schafft in der Völkergemeinschaft keine Sympathie und kann als Arroganz ausgelegt werden.

Auf der anderen Seite können die Palästinenser mit ihren brutalen Selbstmord-Anschlägen bei Außenstehenden ebenfalls keine Sympathie erwerben. Vielleicht sehen sie in diesen Verzweiflungstaten das letzte Mittel im Kampf um einen eigenen Staat, da sie auf militärischem Gebiet hoffnungslos unterlegen sind.

Reinhard Wolf, per E-Post

 

Zweckhysterie

Der Zentralrat der Juden bläst zum "Aufstand der Demokraten" gegen die Möllemann-FDP und den angeblich wachsenden Antisemitismus in Deutschland. Ja, es ist höchste Zeit für einen Aufstand - gegen das undemokratische Zensieren und anmaßende Verketzern aller israelkritischen Stimmen durch die selbstgefälligen Herren Friedman und Spiegel. Diese gebärden sich wie die oberste Aufsichtsbehörde und höchste moralische Instanz der BRD.

Folgsame Vertreter aller Bundestagsparteien und politisch korrekte Medien bestärken den Zentralrat in seinem Größenwahn und malen ihrerseits bei jedem sogenannten "Tabubruch" die Schrecken der NS-Zeit an die Wand. Das ist Zweckhysterie. Die täglich verlautbarten Übertreibungen stehen in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Gefahr eines wieder erwachenden Anti-Judaismus in Deutschland. Deshalb brauchen wir keine Gedankenpolizei, die laufend neue Sprech- und Druckverbote verhängt.

Man muß Möllemann nicht mögen, um zu erkennen: Er hat nur ausgesprochen, was Millionen Menschen in Europa denken. Wer den Staatsterrorismus Israels und seinen Vernichtungskrieg ablehnt, ist deshalb noch kein Judenfeind. Und wer dem larmoyanten "TV-Scharfrichter" Friedman widerspricht, begeht weder Majestätsbeleidigung noch Gotteslästerung.

Warum brach eigentlich kein Entrüstungssturm los, als die Münchner TZ nach dem Start der Friedmanschen-Talk-show vom "Großinquisitor" und einem "zynischen Ekelpaket aus Pomade, Perlweiß, Selbstgerechtigkeit und Besserwisserei" schrieb?

Herbert Rauter, Karlsruhe

 

 

Zur Meldung "Weniger Besucher beim Gotik-Treffen in Leipzig", JF 22/02

Zwischenfälle

Sie schreiben von keinerlei Zwischenfällen beim Festival. Das ist falsch. Bekannte von mir waren vor Ort und berichteten, daß erstens sportlich gekleidete Jugendliche, bei denen man auch sah, daß sie sich nicht für Gotik-Musik interessierten, in Neofolkkonzerten die Besucher musterten, daß zweitens Besucher, die alleine oder höchstens zu zweit das Konzert verließen, überfallen wurden, drittens, daß es Gruppen von sieben bis acht Antifaschisten waren, die auch Messer und Totschläger zum Einsatz brachten und viertens, daß es bevorzugt aus der Deckung von Sträuchern heraus geschah. Das sollte der Festivalleitung eigentlich zu Ohren gekommen sein.

Eva-Maria Schön, Berlin

 

 

Zur Dokumentation "Versailles", JF 22/02

Historische Quellen anzapfen

Die dokumentierte Rede von Philipp Scheidemann vom 12. Mai 1919 ist sehr gut und erscheint mir notwendig. Dies klärt die Menschen mehr auf als tausend Kommentare. In Gesprächen muß man immer wieder feststellen, wie mangelhaft das "historische Grundwissen" ist. Da kann ich nur empfehlen: Weiter so!

Als nächstes wäre wohl geeignet, die Verluste Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg zu dokumentieren, damit jedem bewußt und klar wird, daß der Zweiten Weltkrieg die "logische Folge" des Ersten war. Denn das Ziel der Alliierten bestand doch darin, Deutschland als "Konkurrent" endgültig, gänzlich und für immer auszuschalten. Dazu fällt mir ein Zitat aus den Memoiren von Winston Churchill ein: "Das unverzeihliche Verbrechen Deutschlands vor dem Zweiten Weltkrieg war der Versuch, seine Wirtschaftskraft aus dem Welthandelssystem herauszulösen und ein eigenes Austauschsystem zu schaffen, bei dem die Weltfinanz nicht mehr mitverdienen konnte." Da braucht man höchstens noch hinzuzufügen, daß mit Hilfe dieses "unverzeihlichen Verbrechens" versucht wurde, aus der Falle "Versailles" auszubrechen. In diesem Sinne wünsche ich mir weitere Aufklärung.

Hartmut Jakob, per E-Post

 

Moralisches und ideelles Unglück

Als ich mit 14 Jahren kleine Handzettel mit der Werbung für Dr. Jarres als Nachfolger des verstorbenen Gustav Stresemann anfertigte, gab es bei allen Parteien keinen Zweifel, daß Versailles nicht nur ein materielles, sondern ein moralisches und ideelles Unglück für unser Deutsches Vaterland war. Hier gab es eine umfassende und gemeinsame Überzeugung des gesamten Vaterlandes. Wer redete damals schon von Hitler?

Wenn Walser in dem Gespräch zur Generalursache der Heraufkunft Hitlers machte, so bestätigte er eine Tatsache unserer Geschichte. Jeder, der heute von den Bedingungen der nationalsozialistischen Machtergreifung redet oder schreibt, kann das nicht unbeachtet lassen und ausblenden.

Die demokratischen Regierungen wurden aber schon früher durch Gewaltmaßnahmen der Sieger in höchste Verlegenheiten gebracht. Ich denke nur an die Rhein- und Ruhrbesetzungen 1923 in meiner Heimat, die unter dem Vorwand getätigt wurden, Deutschland habe nicht die Kohlenmengen geliefert, die durch den Versailler Vertrag eingefordert wurden. Im Nürnberger Prozeß durfte über diese Tatsachen nicht geredet werden.

Wilhelm Lehbrink, Vogt


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