© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/02 14. Juni 2002

 
CD: Pop
Reminiszenzen
Holger Stürenburg

Wer das letzte Album der Simple Minds gehört hatte, befürchtete Schlimmstes: Auf "Neon Lights" quälten sich die Jungs um Jim Kerr durch Coverversionen von Rock- und New Wave-Klassikern der siebziger und achtziger Jahre - lieblos, ohne Inspiration und auf Dancefloor getrimmt - wo sie gar nicht hingehören! Auf ihrem aktuellen Album "Cry" spürt man von dieser offensichtlichen künstlerischen Depression nichts mehr. Die CD (Eagle/Edel) schließt an die phantastischen Anfänge der schottischen Band an - ohne jedoch altbacken bzw. fern ab der Zeit zu klingen.

Zu Beginn ihrer Karriere, Anfang der achtziger Jahre, hatten die Simple Minds Rock- und Elektronikelemente miteinander verbunden - und durchaus erfolgreich an den Mann bringen können. Jetzt gibt es auf "Cry" nicht nur eine Kollaboration mit der italienischen Dance-Rock-Band Planet Funk ("One Step Closer"), sondern auch ein Zusammenspiel mit Vince Clarke, dem Gründer von Depeche Mode, Yazoo und Erasure. Trotz vieler moderner Tanzelemente, Synthispielereien und Hip-Hop-Schlagzeug bleiben Kerr und Burchill - beide sind als einzige von der Originalbesetzung übrig geblieben - dem Stil, mit dem sie einst berühmt wurden, treu: Hymnischen, wehenden Melodien ("New Sunshine Morning") neben düsteren Waveballaden ("Cry again") und folk-ähnlichen Kaminfeuersongs wie "Face in the Sun" - immer unterlegt mit modernen Rhythmen und Computerklängen. Diese Mischung von Waverock mit angesagten musikalischen Trends freut nicht nur den Freund synthilastiger Achtziger-Klänge, sondern auch Club-DJs und die mit ihnen Tanzenden. Nach dem Blackout mit "Neon Lights" behaupten sich Simple Minds mit "Cry" wieder als zeitlose Rockband, die sich Neuem nicht verschließt, ihre musikalische Herkunft aber nicht verleugnet. Und Jim Kerrs Stimme klingt auf "Cry" so jung und kraftvoll wie lange nicht mehr!

Relativ neu auf dem Markt ist das Projekt Jamie Clarke's Perfect - aber auch die drei Musiker dieser Band haben ihre Wurzeln in den Achtzigern. Die musikalischen Grundlagen des Trios finden sich nicht nur in Punk und Wave jener Tage, sondern vor allem im Bereich traditioneller Folklore irischen und schottischen, aber auch ungarischen und gar türkischen Ursprungs.

Mitte der 1980er sorgten besonders die irischen Pogues dafür, daß sich eine Mischung aus Punk und Irish Folk in den Hitparaden festsetzen konnte. Jamie Clarke, der Begründer von Perfect, war einst für einige Zeit Mitglied der Pogues. Er heiratete eine deutsche Frau und ließ sich in Karlsruhe nieder. In Norddeutschland spielte der 38jährige vor kurzem, zusammen mit einheimischen Musikern, ein Album ein, das an die besten Momente der Pogues erinnert, aber auch einen deutlichen Blick auf Rock, Punk und New Wave vergangener Zeiten legt. Fünf eigene Kompositionen von Clarke zwischen The Cure und Deacon Blue wechseln sich ab mit akkordeonbetonten Instrumentalfassungen von Pogues-Hits ("Turkish Jam", "Hungarian Dance") und Neuaufnahmen klassischer Rocksongs. Neben "Shake Some Action" von den Flammin' Groovies hört sich besonders Clarkes Folkfassung des Kinks-Hits "Sunny Afternoon" im wahrsten Sinne des Wortes perfekt an. Clarke, der selbst nur Gitarre spielt, setzt bei seinen Arrangements oft traditionelle Instrumente wie Akkordeon, Mandoline, Banjo oder Fiedeln und Streicher ein. Zwar dürfte "Nobody's Perfect" klar an Hitparaden vorbeischlittern, doch nicht nur Pogues-Freunde und Anhänger klassischer irisch-schottischer Rockmusik werden ihre Freude daran haben. Die aufmunternde Grundstimmung des Albums, die Aggressivität und zugleich Verspieltheit bei nahezu allen Songs dürften jedem Freund eingängiger Rockmusik mehr als nur ein Lächeln entlocken.


 
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